Jugendroman

Briefroman in digitalen Zeiten

Das Symbol "Neue E-Mail-Nachricht" wird auf einem Computer Monitor angezeigt.
Briefwechsel? Lange ist es her, heute schreibt man sich auf andere Art und Weise. © picture-alliance/dpa/Jan-Philipp Strobel
Von Sylvia Schwab · 28.10.2014
Nach einer Abtreibung zieht sich die 15-jährige Lise zurück. Per E-Mail und SMS bleibt sie mit ihrer Oma in Kontakt. In "Alles Liebe, deine Lise" erzählt Brigitte van Aken, wie sich Menschen schreibend ihr Herz öffnen. Leider bedient sie einige Klischees.
Die fünfzehnjährige Lise geht nach einer Abtreibung in ein Internat, wo ihr Hobby Fotografie schwerpunktmäßig unterrichtet wird. Dort soll sie Abstand gewinnen von dem, was passiert ist, und von Nishan, dem Vater ihres ungeborenen Kindes. Lise hat Sehnsucht nach zu Hause, nach dem Vater, der mit seiner neuen Freundin zusammenlebt, nach der ehrgeizigen Mutter, die nie Zeit für sie hatte, nach dem geliebten Nishan und nach ihrer Oma, die gerade in ein Seniorenheim gezogen ist.
Jeden Mittwoch schreiben sich Lise und ihre Oma E-Mails. Sie erzählen sich, worüber sie vorher kaum gesprochen haben - von ihrem Alltag und ihren Freundinnen, von ihrer Liebe und von ihren Schuldgefühlen. Lise entdeckt so mit der Zeit viele Parallelen zwischen ihrem eigenen Leben und dem der Großmutter. Die Oma wuchs in einem Waisenhaus auf, sie selbst lebt im Internat. Auch die Oma hatte eine Freundin, von der sie verraten wurde. Und auch sie wurde von ihrer großen ersten Liebe schwanger. Je länger sich die beiden Frauen schreiben, umso mehr begreift Lise, warum die Großmutter sich bei der Diskussion um die Abtreibung immer auf ihre Seite gestellt hatte.
Zwei Ich-Erzählungen
Brigitte van Akens "Alles Liebe, deine Lise" zitiert nicht nur die Form des Briefromans in moderner Variante, in E-Mails, mobilen Kurznachrichten und Telefongesprächen. Auch auf das Romeo-und-Julia-Thema spielt sie an, auf den Internats- und den Entwicklungsroman: "Das schwierige Mädchen zieht in die Welt hinaus", sagt Lise einmal über sich selbst. Doch was sie und die Großmutter sich gegenseitig erzählen, wirkt nicht immer glaubwürdig – besser gesagt, wie sie sich erzählen: In seitenlangen szenischen Situationsbeschreibungen mit ausführlichen, direkt wiedergegebenen Dialogen. Es sind zwei Ich-Erzählungen, die Brigitte van Aken abwechselnd beschreibt. Oft viel zu lang für eine E-Mail, deren Präsenz ja in der Knappheit, in der Geschwindigkeit und auch in der Lockerheit liegt.
Innig, manchmal auch melodramatisch ist der Ton, in dem die beiden miteinander korrespondieren. Poesie und Pathos liegen so nahe beieinander. Doch das ist altersgemäß, eine 16-jährige darf ebenso wie eine 75-jährige sprachlich ins Schwärmen geraten. Wobei die pragmatische alte Dame auch eine Menge kluger Lebenseinsichten von sich gibt und Lise manches starke Bild in ihre Erzählungen einfließen lässt.
Zu viele Klischees
Und doch gibt ein paar Zufälle und Klischees zu viel in diesem Roman, und ein paar Überraschungen und innovative Ideen zu wenig. Aber eines zeigt „Alles Liebe, deine Lise" sehr schön: Wie das Schreiben mehr sein kann als Gespräch oder Erzählung. Beide, Lise und die Oma, öffnen schreibend ihr Herz, klären ihre Gefühle, kommen sich selbst und der Anderen näher.
Auf Briefpapier hätte wohl keine der beiden diese langen Berichte über sich selbst und das Leben geschrieben. Und so erweist sich das Internet dann doch noch als wunderbares Kommunikationsmittel zwischen den Generationen: Als eine echte Chance vor allem auch für Großeltern und Enkelkinder, die weit auseinander leben!

Brigitte van Aken: Alles Liebe, deine Lise
Aus dem Niederländischen von Birgit Erdmann
Mixtvision, München 2014
248 Seiten, 16,90 Euro

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