Jugendexperte: Nationaler Ausnahmezustand verschärft Krise in Frankreich

10.11.2005
Der Professor für Neuere und Neuste Geschichte an der Universität Saarbrücken, Dietmar Hüser, hat die Verhängung des nationalen Ausnahmezustands in Frankreich als "absolut übertrieben" kritisiert.
Den Ausnahmezustand national auszuweiten auf der Basis eines Gesetzes aus dem Algerienkrieg, verschärfe die Krise und diene nicht dem Rückgang der Gewalt, sagte Hüser im Deutschlandradio Kultur anlässlich der Jugendkrawalle in französischen Vorstädten. Eine Ausgangssperre an einzelnen Brennpunkten hingegen könne durchaus sinnvoll sein.
Hüser widersprach dem Eindruck, es handle sich vor allem um Migrantenprobleme. Der Protest gehe vielmehr allgemein von Jugendlichen aus, die sich sozial ausgegrenzt fühlten und von der Gesellschaft respektiert werden wollten. Dazu zählten auch Franzosen ohne Migrationshintergrund. Zudem ließen sich Migranten und ursprüngliche Franzosen nur schwer voneinander abgrenzen, da etwa bei einem Drittel der französischen Bürger mindestens ein Eltern- oder Großelternteil Einwanderer seien.
Er sehe keinen erstarkenden Islamismus in den Vorstädten, sagte Hüser. Es gebe zwar Tendenzen islamischer Gruppen, dort Fuß zu fassen. Dabei handele es sich aber vor allem um säkularisierte Gruppen, die soziale Aufgaben übernähmen, weil der Staat Sozialprogramme gestrichen habe.
Hüser sieht keinen Zusammenhang zwischen französischer Rapmusik und der Gewalt in den Vorstädten. Es sei "ein Kurzschluss", anzunehmen, der Rap habe die gewaltbereite Szene aufgestachelt. Gewaltverherrlichende Texte spielten in der französischen Rapmusik im Gegensatz zu der Szene in den USA eine sehr untergeordnete Rolle, sagte der Experte für französische Jugendkultur. Zudem seien Musiktexte immer eine künstlerische Ausdrucksform, die Jugendliche nicht eins zu eins in die Realität übersetzten.