Jugend in Russland

Warum gerade die Jungen für Putin sind

Wladimir Putin beim 200. Jahrestag der Eröffnung des Lyzeums in Tsarkoye, Selo, Oktober 2011
Wladimir Putin ist bei jungen Russinnen und Russen äußerst beliebt. © picture alliance / dpa / Aleksey Nikolskyi
Von Ute Zauft · 21.07.2015
Seit der Krimkrise ist die Zustimmung für Putin in Russland wieder gestiegen. Vor allem bei den 20- bis 30-Jährigen ist der russische Präsident beliebt, auch weil seine aggressive Rhetorik gut ankomme. Ein Soziologe spricht von der "verlorenen Generation".
Der Moskauer Gorki Park ist eine vom Verkehr umrauschte Oase mitten in der Großstadt: An einem künstlichen See spielen Kinder im Sand, unter Bäumen liegen überdimensionale Sitzkissen, auf denen ganze Familien Platz finden, und junge Pärchen schlendern Hand in Hand an bunten Blumenbeeten vorbei. Mechti, Georgij, Xenia und Daria stecken mitten in den Abschlussprüfungen für das laufende Semester, doch heute haben sie entschieden, zumindest kurz eine Lernpause einzulegen. Sie studieren an ihrer Universität unterschiedliche Hauptfächer, kennen sich aber von einem deutschsprachigen Zusatzprogramm, verfolgen die aktuelle Politik und diskutieren häufig darüber.
"Mir tut es sehr leid, dass sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland immer weiter verschlechtern. Schließlich ist Deutschland einer der wichtigsten Partner Russlands in Europa. Aus meiner Sicht ist die jetzige Situation für beide Seiten nicht profitabel und ich wünsche mir, dass sich in Zukunft die Situation zum Besseren wendet. Aber natürlich gibt es eine Reihe von Fragen, die nicht allein zwischen Russland und Deutschland geklärt werden können."
Der 21-jährige Mechti ist schmal, spricht leise und setzt seine Worte mit Bedacht. Seine Eltern kommen aus Aserbaidschan, und er hat es mit Fleiß und guten Noten auf eine der angesehensten Hochschulen des Landes geschafft. Die Moskauer Staatliche Universität für Internationale Beziehungen gilt noch immer als Kaderschmiede für die zukünftigen Diplomaten des Landes. Das, was zwischen Deutschland und Russland liege, sei die Krim-Frage, sagt der Student.
"Aus Sicht der Europäischen Union inklusive Deutschlands hat Russland die Krim annektiert. Aus russischer Sicht ist die Krim dagegen freiwillig beigetreten. Dieser Stein des Anstoßes zwischen Russland und Deutschland ist kaum aus dem Weg zu räumen, weil die Mehrheit der internationalen Gemeinschaft davon ausgeht, dass Russland beim Vorgehen auf der Krim internationales Recht gebrochen hat. Deswegen ist es schwierig, diese Frage zwischen Russland und Deutschland zu lösen."
Mechti studiert im Hauptfach Internationale Beziehungen. Selbst wenn das Referendum auf der Krim im Rahmen internationalen Rechts abgelaufen wäre, sagt er, hätte die Bevölkerung der Krim für den Beitritt zu Russland gestimmt – die Zustimmung wäre nur nicht ganz so hoch ausgefallen. Sein Studienkollege Georgij ist das komplette Gegenteil von dem zurückhaltenden Mechti: Groß gewachsen ist er heute im Anzug unterwegs, hat eine Sonnenbrille auf der Nase und meist sein Smartphone in der Hand. Im Gegensatz zu Mechti überlegt er nicht lange, bevor er antwortet. Sicherlich sei die Position Putins aus seiner Sicht in vielen Punkten nicht richtig, aber Georgij kann sich trotzdem gut in den russischen Präsidenten hineinversetzen.
"Als Mensch, der sehr lange darüber gesprochen und immer wieder erklärt hat, dass man die Interessen Russlands berücksichtigen muss. Als Mensch, der in einer sehr speziellen Schicht in der Sowjetunion, dem Geheimdienst, aufgewachsen ist, für den immer die nationalen Interessen des Staates über allem standen, der in diesem großen Reich lebte. Er ist der Absprachen müde und er hat genug davon, dass ihm immer wieder vermittelt wird, dass seine Zeit und die seines Landes vorbei sei. Auf menschlicher Ebene kann ich seine Politik verstehen."
Die Vier kommen gern in den Gorki Park, der schon zu Sowjetzeiten das verfassungsrechtlich festgeschriebene Recht auf Erholung sichern sollte. In den 90er-Jahren wurde das Gelände dann zum Rummel mit lauter Musik, Achterbahn und einer unübersichtlichen Anzahl von Essbuden und Kiosken. Doch seit vier Jahren ist alles anders: Die meisten Fahrgeschäfte wurden abgebaut, die Rasenflächen sind gepflegt und sauber und statt Buden mit Bier gibt es weiß gestrichene Holzhäuschen, die auf Schiefertafeln selbstgemachte Limonaden und Muffins anbieten. Hier fühle es sich fast an wie in Europa, sagt der zurückhaltende Mechti und lacht etwas verlegen.
Veränderungen mit Putins Machtantritt
Am Tag zuvor wurde im Park der Neubau von Russlands größtem Privatmuseum eröffnet. Als Museum für zeitgenössische Kunst ist die sogenannten "Garage" in Moskau bisher einzigartig. Anlässlich der Eröffnung ist heute freier Eintritt, und die Studenten besichtigen neugierig die Ausstellung der in Berlin lebenden Künstlerin Katharina Grosse. Im Vorraum lassen sich die Vier auf eine Bank fallen. Die 20-Jährige Xenia trägt ihre halblangen Haar offen, flache Schuhe zu schmal geschnittener Hose und weitem Oberteil. Sie erklärt, dass auch sie bei den nächsten Wahlen Putin wählen würde, wenn er denn antrete. Seitdem er an der Macht sei, habe sich sehr viel verändert.
"Für mich ist das besonders sichtbar, weil mein Vater Staatsangestellter ist. Als ich jung war, waren wir eine ziemlich mittellose Familie. Mein Vater musste nachts als Taxifahrer arbeiten. Man kann sich vielleicht vorstellen, wie schwer das ist. Erst den ganzen Tag im Büro und dann nachts im Taxi. Aber jetzt hat sich alles verändert und auch ich habe viel mehr Möglichkeiten. Natürlich kann ich nicht für ganz Russland sprechen, aber an meiner Familie kann ich sehen, was Moskau und den staatlichen Sektor betrifft, gibt es eine Bewegung zum Besseren. Und auch wenn noch Einiges fehlt, das ist ein Fortschritt."
Auch Mechtis alleinerziehende Mutter ist als Lehrerin Angestellte des Staates. Und auch er spürt eine deutliche Verbesserung ihres Lebensstandards. Inzwischen könnten sie sich zumindest auch mal leisten, in den Urlaub zu fahren. Plötzlich wird klar, wie sehr er sich in einem Zwiespalt fühlt.
"Es ist schwierig, Kritik zu üben, wenn Du in diesem Land geboren und aufgewachsen bist, weil es Deine Heimat ist. Ja, wir können über Mängel und über Negatives im Land und in der Politik des Präsidenten sprechen. Gleichzeitig: Diese Erfolge, die sich auf unser Leben auswirken: Ist es nicht wert, dafür dankbar zu sein, was wir haben? Wenn wir anfangen, die Macht zu kritisieren, unter der sich unser Leben zum Besseren geändert hat, ist das aus meiner Sicht nicht gut."
Die verlorene Generation
Fragt man Lew Gudkow nach Menschen wie Mechti, Georgij, Daria und Xenia, nach denjenigen, die seit Putins erster Präsidentschaft vor 15 Jahren erwachsen geworden sind, schüttelt der Soziologe resigniert den Kopf. Die Generation Putin sei eine verlorene Generation, sagt er. Seit 2006 leitet Gudkow das unabhängige Meinungsforschungsinstitut Lewada und könnte mit seinen 68 Jahren längst in den Ruhestand gehen. Stattdessen blättert der Mann mit den zerzausten grauen Haaren durch bunte Grafiken und Tabellen, die vor ihm auf dem Tisch liegen. Schließlich tippt er mit dem Finger auf eine blaue Kurve, die seit der Krim-Krise im Februar 2014 steil nach oben geht. Inzwischen hat die Unterstützung für Präsident Wladimir Putin im Juni dieses Jahres ein neues Rekordhoch von 89 Prozent erreicht. Besonders viele Befürworter gebe es unter den 20- bis 30-Jährigen.
"Gerade diese Altersgruppe, diese Generation ist unter Putins Regime groß geworden und spricht besonders stark auf dessen Rhetorik an: Die militärische, aggressive, antiwestliche Rhetorik, die vermitteln soll, dass wir uns von den Knien erheben und Russland wieder auflebt. Deswegen unterstützen gerade die Jungen Putin besonders stark.
Der Soziologe erklärt das damit, dass Putin all das verkörpere, was junge Menschen toll finden – zumindest, wenn man den staatlich lancierten Bildern glaubt: Putin fährt Panzer, fliegt Flugzeug, macht Fotos mit Tigern und taucht nach antiken Vasen. Er sei quasi der Model-Macho an der Spitze des Staates. Diese Propaganda wäre allerdings längst nicht so erfolgreich, fiele sie bei der Bevölkerung nicht auf so fruchtbaren Boden.
"Putin spielt mit dem verletzten Selbstwertgefühl der Bevölkerung, des einfachen Menschen. Die Menschen haben in der postsowjetischen Zeit das Gefühl verloren, einer Groß– oder Supermacht anzugehören. Dieses Gefühl war ein wichtiger Bestandteil des Massenbewusstseins und kompensierte die Abhängigkeit vom Staat, das Gefühl der Armut, die täglichen Erniedrigungen. Ja, sagten sich die Menschen, wir sind arm, wir leben schlechter als in Europa, wir hinken hinterher. Doch dafür sind wir eine Supermacht, und alle achten uns, weil sie Angst hatten."
Putins Imagegewinn mit der Krimkrise
Bis zur Krim-Krise hatte Putin in den Ratings viele Punkte verloren und lag Ende 2013 bei einem Tief von 61 Prozent. Erst danach habe sich das schlagartig geändert, so der Sozio-loge Gudkow. Inzwischen sei die Darstellung von Stärke der wichtigste Mechanismus zum Ausgleich des russischen Minderwertigkeitskomplexes. Während im März 1999 vor Putins Amtsantritt lediglich 31 Prozent der Befragten glaubten, dass Russland eine Supermacht sei, hat sich diese Zahl bis zum März dieses Jahres mehr als verdoppelt. Für die besondere Zustimmung unter den Jungen, sieht Gudkow noch einen weiteren Grund:
"Für die junge Generation sind ihre Eltern, die in den 90er-Jahren lebten, eine Generation der Verlierer, die in Armut lebten, nichts in ihrem Leben erreicht haben. Sie sind kein Vorbild. Für sie ist die Generation der Eltern eine Generation der Looser. Dagegen klingen die Erzählungen ihrer Großeltern von der großen Sowjetunion wie ein Märchen: Es war einmal ein großes Land, das stärkste überhaupt, das sich schnell entwickelt hat. Sie können das nicht überprüfen, aber für sie ist es ausgesprochen wichtig, und sie nehmen all diese Bilder, auf die auch die Propaganda abzielt, ziemlich unkritisch auf."
Eine der letzten kritischen Stimmen
Zu den wenigen noch existierenden kritischen Medien gehört die dreimal wöchentlich erscheinende Zeitung "Nowaja Gaseta". Durch die Etage mit den Redaktionsräumen ziehen sich verwinkelte Gänge, von denen die Büros durch Milchglas getrennt sind. Unten neben dem Hauseingang hängt eine bronzene Gedenktafel für die 2006 erschossenen Journalistin Anna Politkowskaja. Im gleichen Jahr hat Elena Kostyuchenko bei der Zeitung angefangen, und seither sind drei weitere ihrer Zeitungskollegen ermordet worden. Die 27-Jährige hat ihre Schuhe von den Füßen gestreift, ein Bein angezogen und tippt noch schnell eine Nachricht in ihren Computer. Ihr Job hier: Reporterin für besondere Aufgaben.
"Als ich 2006 anfing, hier zu arbeiten, war das schon zu Zeiten Putins, und es gab schon nicht mehr sehr viele unabhängige und qualitativ hochwertige Publikationen, bei denen ich arbeiten wollte. Jetzt gibt es fast keine mehr."
Schon in ihrer Heimatstadt Jaroslawl – fast 300 Kilometer nordöstlich von Moskau – hatte sie neben der Schule für eine lokale Zeitung geschrieben, bis sie das erste Mal eine Ausgabe der "Nowaja Gaseta" in der Hand hielt und kurzerhand nach Moskau zog. Jetzt schreibt sie Geschichten über Menschen am Rand der Gesellschaft, über Prostituierte, Obdachlose und Morphin-Abhängige. Sie sei keine Meinungsjournalistin, betont sie, sondern wolle den Ungehörten eine Stimme geben. Wie zum Beispiel dem verletzten Soldaten aus Burjatien, den sie in diesem Frühjahr im ostukrainischen Donezk interviewt hat. Zum ersten Mal sprach ein Kämpfer öffentlich darüber, dass er von der russischen Armee dorthin geschickt worden war. Natürlich weiß sie, dass ihre Artikel nur einen Bruchteil der Bevölkerung erreichen, und die meisten hinter Putin stehen. Einen der Hauptgründe dafür sieht sie in der staatlich gelenkten Propaganda.
"In den vergangenen beiden Jahren wurden die Menschen sehr stark propagandistisch bearbeitet. Unsere TV-Kanäle präsentieren Putin als den einzigen Menschen, der das Land retten kann vor Chaos und Zerfall. Der das Land schützt vor äußeren und inneren Feinden wie zum Beispiel mich. Und wenn es Putin nicht gebe, so die Devise, würden wir Russland zerstören."
Schizophrenie im Land
Zugleich herrsche im Land eine absurde Schizophrenie: Alle schimpften auf Europa und die USA, doch wenn der Rubel falle, liefen doch alle wieder zu den Wechselstuben, um ihr Geld in Euro oder Dollar umzutauschen. Elena Kostyuchenko steckt sich eine lange schmale Zigarette an und fährt sich durch die nachlässig nach oben gebundenen Haare. Sie glaubt nicht, dass sie mit ihrer Arbeit direkt etwas verändern kann. Schließlich schreibe sie die Dinge nur auf, in Aktion treten müssten dann die Leser. Auch sie selbst macht das, um für ihre Rechte als junge homosexuelle Frau zu kämpfen. Zum Beispiel dann, wenn sie vor dem russischen Parlament, der Duma, bei einer Kiss-in-Aktion in aller Öffentlichkeit ihre Freundin küsst oder an der regelmäßig untersagten Gay Pride in Moskau teilnimmt.
"Ich bin lesbisch und mich stört es sehr, dass ich keine Rechte hab, dass es in den nächsten Jahren keine zugelassene Gay Parade geben wird. Außerdem würde ich gerne eine Familie gründen und will, dass mein Kind geschützt wäre, Rechte hätte und zwei Eltern wie andere Kinder auch."
Viel Hoffnung, dass sie das in naher Zukunft ändern könnte, hat sie derzeit nicht. Aufgeben will sie aber noch längst nicht.
Mehr zum Thema