Jürgen Todenhöfer über den IS

"Morden mit einer historischen Mission"

Porträt von Jürgen Todenhöfer in Anzug und Krawatte
Der Publizist Jürgen Todenhöfer: "Pegida spielt das Spiel, das sich IS ausdrücklich gewünscht hat." © dpa / Karlheinz Schindler
Jürgen Todenhöfer im Gespräch mit Anke Schäfer und Christopher Ricke · 23.12.2014
Der Publizist Jürgen Todenhöfer nahm über Facebook Kontakte zu den IS-Milizen in Mossul auf. Im Dezember hielt er sich zwei Wochen im Machtbereich des so genannten Islamischen Staates auf. Er ist überzeugt, dass der IS einen Völkermord plant – dieser könne aber noch verhindert werden, sagte er im Deutschlandradio Kultur.
Der IS plane eine religiöse Säuberung, "bei der mit Ausnahme der drei Buchreligionen - Juden , Christen und IS-Muslime – niemand überleben soll. Das heißt, alle Schiiten, alle Jesiden, alle Hindus, alle Atheisten, alle Politheisten sollen sterben und die Frauen versklavt werden", sagte Todenhöfer.
Im Gespräch mit IS-Kämpfern sei ihm auf seinen Einwand, es gebe doch ungefähr 150 Millionen Schiiten, gesagt worden: '150 Millionen, 500 Millionen, das spielt alles keine Rolle.'
Todenhöfer sagte, es gebe im Gebiet des so genannten Islamischen Staats eine religiöse Säuberung "in einer Gewalttätigkeit, die die Geschichte noch nicht erlebt hat, zumindest ist sie geplant".
Die IS-Milizen sähen sich "in einer historischen Mission" – sie glaubten etwas Großes zu vollbringen – nämlich "den reinen Islam, den die vier ersten Kalifen angeblich gelebt haben, zu praktizieren". Und das bedeute, dass alle anderen Religionen, außer den Buchreligionen, zu verschwinden hätten.
"Wen man sich die Hinrichtungen angesehen hat, die es in Mossul gegeben hat, die Massenhinrichtungen, Massenexekutionen, Massenvertreibungen aus Mossul (…), wenn man sieht, dass 130.000 Christen vertrieben worden sind, dann kann man nicht mehr sagen, das existiert nur in den Hirnen. Und da sage ich: Währet den Anfängen!" - so Todenhöfer. "Für mich war es das Phänomen, dass diese Leute mit einer Begeisterung am Werk sind, die man sich hier überhaupt nicht vorstellen kann. Und dass jeden Tag Hunderte aus dem Westen dazu kommen, mit leuchtenden Augen, weil sie den wahren, echten, so genannten Islamischen Staat realisieren wollen."
Bombardements gegen den IS haben "überhaupt keinen Sinn"
Er glaube, das angesichts des großen Erfolges des IS, der immerhin ein Land erobert habe, das größer als Großbritannien ist, bisherige militärische Strategien keinen Erfolg haben können. Vor allem Bombardements hätten "überhaupt keinen Sinn".
In einer Stadt wie Mossul lebten etwa 3 Millionen Einwohner und dort gebe es 5000 Kämpfer, die auf die ganze Stadt verteilt seien – "die wohnen alle nicht zusammen, und die können sie nicht ausschalten, es sei denn, sie legen die gesamte Stadt in Schutt und Asche".
Eine Lösung könne allein ein Friedensprozess im Irak bringen. "Die einzigen, die diese historisch mächtige Terrorbewegung stoppen können sind die gemäßigten irakischen Sunniten. Aber die sind aus dem politischen Leben im Irak seit dem Einmarsch von George W. Bush 2003 ausgeschlossen und sie wurden von der Maliki-Regierung schwer diskriminiert."
Derzeit würden die gemäßigten irakischen Sunniten verfolgt oder seien in Gefängnissen. Sie seien aktuell "nicht bereit, die schiitische Unterdrückungsregierung (…) zu verteidigen. Aber wenn die wirklich in den Irak integriert würden, wenn es im Irak einen nationalen Versöhnungsprozess gebe, dann könnten diese gemäßigten Sunniten die radikalen IS-Sunniten schlagen."
Todenhöfer forderte zudem, dass westliche "Aggressionskriege" gegen den Mittleren Osten aufhören müssten, ebenso die Diskriminierung von Muslimen in der westlichen Welt.
Wörtlich sagte Todenhöfer: "Ich habe mit den IS-Leuten viel über dieses Thema gesprochen, und die setzen geradezu darauf, dass jetzt ihre eigenen Grausamkeiten und Brutalitäten und Säuberungsprogramme im Westen zu Aggressionen gegen Muslime führen und dass dann irgendwann die Muslime zurückschlagen. Genau das findet ja im Augenblick statt: Pegida spielt das Spiel, das sich IS ausdrücklich gewünscht hat."
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