Jüdischer Philosoph Martin Buber

Anti-Dogmatiker und Religionskritiker

Der Religionsphilosoph Martin Buber nimmt am 3. Juli 1963 in Amsterdam den Erasmus-Preis aus der Hand von Prinz Bernhard der Niederlande in Gegenwart von Königin Juliana der Niederlande und Prinzessin Beatrix entgegen. Buber wird für seine Verdienste um das europäische Geistesleben ausgezeichnet.
Martin Buber (Mitte) wurde in Wien geboren, starb aber 1965 in Jerusalem. Hier nimmt er eine Auszeichnung aus der Hand von Prinz Bernhard der Niederlande entgegen. © dpa / picture alliance / ANP
Von Klaus Englert · 12.06.2015
Das Gottesverständnis des jüdischen Philosophen Martin Buber galt als weltlich durchdrungen. Das machte Buber zu seinen Lebzeiten für viele, die mit dem jenseitigen Gott haderten, attraktiv. Gedanken zu seinem 50. Todestag.
1923 publizierte der jüdische Philosoph Martin Buber das Büchlein "Ich und Du". Es zog zunächst christliche und jüdische Intellektuelle in den Bann. Die Schrift verleitete sie dazu, an den dogmatischen Positionen ihrer Religion zu rütteln. "Ich und Du" traf die intellektuelle Zeitströmung und formte daraus eine religiös motivierte Existenzphilosophie. Faszinierend war seine Philosophie des Dialogs - zwischen "Ich und Du", zwischen dem einen und dem anderen Volk.
Nur eine am Dialog orientierte Politik würde die Völkerverständigung befördern. Andernfalls, so Buber, würde die Kultur erstarren. So sprach der Religionsgelehrte 1921 während des Karlsbader Zionisten-Kongresses, als die so genannte "arabische Frage" – gemeint war der Palästinakonflikt - auf der Tagesordnung stand. Martin Buber war besorgt, weil die Juden, die in zunehmender Zahl nach Palästina emigrierten, einen Konflikt mit den arabischen Bewohnern des Landes heraufbeschworen.
Der Wiener Philosoph sah bereits einen "jüdischen Nationalismus" heraufziehen, der zu gewaltsamen Konflikten mit den Palästinensern und zu Querelen mit der britischen Schutzmacht führen konnte. Bubers Ethik war geleitet von der geistigen und moralischen Integrität der zionistischen Bewegung und der jüdischen Siedler. Deswegen propagierte er nicht den zionistischen Staat, sondern die Kibbuzim-Idee: In ihr sah Buber die Knospe einer sozialistischen Genossenschaftsbewegung, von der er hoffte, sie könne auf die arabischen Gebiete übergreifen.
Starke weltliche Wurzeln
Der Israeli Admiel Kosman, der in Potsdam Rabbinische Studien lehrt, ist davon überzeugt, dass Bubers Gottesverständnis starke weltliche Wurzeln besitzt. Das mache Buber für viele, die mit dem jenseitigen Gott hadern, attraktiv.
"Historiker schrieben über viele Aspekte bei Buber, doch nur sehr wenige verstanden, dass die Religion im Mittelpunkt seiner Aktivitäten und seines Zionismus steht."
Martin Buber suchte das verbindende religiöse Erlebnis, er erforschte die mystische Tradition der Kabbala – jenseits von Rationalität und Tora-Interpretation. Er beruft sich dabei auf den osteuropäischen Chassidismus eines Bal Schem Tov, für den Volksfrömmigkeit, aber auch heitere Tanzformen einen hohen Stellenwert besitzen. Asher Biemann, Professor für Jüdische Studien an der Universität von Virginia, erklärt, warum sich so viele amerikanische Juden für Bubers Chassidismus begeisterten:
"Der eine Ausgangspunkt ist, dass schon sehr früh, in den 1920er Jahren Bubers chassidische Schriften in Amerika zugänglich wurden, die dann später interpretiert wurden als eine Lebensform, die mit dem nicht-institutionellen Religiösen zusammenfällt."
Asher Biemann erläutert, was amerikanische Zuhörer an dem Gast aus dem fernen Jerusalem faszinierte:
"Martin Buber war kein säkularer Denker. Aber er hat die Autorität des jüdischen Gesetzes in Frage gestellt. Und obwohl Buber nicht gegen Halacha, gegen das jüdische Gesetz war, sah er es auch nicht als unverbrüchliche Autorität im Judentum."
Religion als Treue gegenüber einer Institution lehnte er ab
Für Martin Buber erschließen sich Welt und Religion, Mensch und Gott ausschließlich in wechselseitiger Durchdringung. Deswegen verstand sich Buber als Anti-Dogmatiker und Religionskritiker. Denn die Religion als Treue gegenüber einer institutionell verankerten Glaubensrichtung lehnte er ab. Demgegenüber verstand er Religiosität als persönlichen Gottesbezug. Admiel Kosmann meint, für Buber sei Religiosität zentral für sein ethisches Weltverständnis:
"Religiöse Institutionen, würde ich sagen, töten die Religiosität. Doch die Religiosität ist von Bubers Glauben nicht zu trennen."
Martin Buber wollte eine Wiedergeburt jüdischen Lebens, eine kulturelle Erneuerung. Kurz: eine andere Religion, ein anderes Judentum:
"Man begegnet Gott, wenn man sich auf den anderen einlässt, mit ihm spricht, ihn als ein Subjekt sieht und nicht als auszubeutendes Objekt. In diesem Zwischen, und nur dort, gibt es für Gott einen Ort, in dem er wohnen kann."
Die zionistische Bewegung erneuern
Bubers Prämisse war: Wenn wir die gesamte Schöpfung als heilig ansehen, dann hat die Religion unrecht, die materielle Welt aufzugeben, die Erde vom Himmel, das Diesseits vom Jenseits zu trennen.
Martin Buber wollte die zionistische Bewegung erneuern. Er träumte von einem Zionismus, der den Weg zum dialogischen Handeln ebnet. Seine Maxime angesichts des Palästinakonflikts: Nur Einfühlung und Dialog führen zu Frieden und Gerechtigkeit.
An Bubers dialogbereiter Haltung orientiert sich heute Admiel Kosman. Er setzt die Hoffnung auf die jungen Israelis und Palästinenser. Israelische Jugendliche sollten die Naqba – die Vertreibung der Palästinenser vom israelischen Territorium besser verstehen. Und die palästinensischen Jugendlichen lernen, was Shoah und Erez Yisrael für Juden bedeutet. Dann könne – meint Admiel Kosman - Martin Bubers Erbe fortleben:
"Buber kann in der Politik äußerst wichtig sein. Das betrifft besonders das Verhältnis zu den Arabern und zu anderen Nicht-Juden in Israel, das betrifft die Siedlungsproblematik und den traurigen, langen Krieg zwischen Juden und Arabern. In der Politik und in der Erziehung ist die Lage so verworren, dass eine Erziehung Not tut, die sich dem ‚'Zwischen', dem 'Ich und Du' widmet: In das Gesicht des anderen schauen, in seine Augen sehen. Sein Gesicht zu erblicken, das ist der Weg, Gott zu begegnen."
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