Jüdische Feste

"Wie der Hirsch schreit nach den Wasserquellen"

Ein Buch mit hebräischen Schriftzeichen in Jeschiwa, der Talmud-Hochschule in Frankfurt am Main.
Ein Buch mit hebräischen Schriftzeichen in Jeschiwa, der Talmud-Hochschule in Frankfurt am Main. © Tobias Felber / dpa
Von Evelyn Bartolmai · 10.10.2014
Sie inspirierten Felix Mendelssohn-Bartholdy zu einer seiner schönsten Kantaten: Die Tora-Psalmen 42 und 43 erzählen in starken Bildern eine Geschichte über die Sehnsucht nach Gott.
"Wie der Hirsch schreit nach den Wasserquellen, so sehnt sich meine Seele zu Dir, oh Gott!", besagt der Text und schildert nicht nur äußere Bedrängnis durch Spötter und Feinde, sondern auch innere Seelenqual eines Menschen, der sich verlassen fühlt."
In der Liturgie werden die beiden Psalmen als eine Einheit gesehen und auch so gebetet, sie erzählen eine in sich geschlossene Geschichte, die in der Vergangenheit beginnt und in die Zukunft führt. Die sprachliche Verbindung beider Psalmen und gleichsam Brücke durch die Zeiten ist die dreifache Wiederholung eines Verses, mit dem der Dichter sich selbst Mut zuspricht und die Schlussfolgerung für sein eigenes Handeln zieht:
"Was beugst du dich, meine Seele, und was jammerst du in mir? Harre auf Gott, denn noch werd' ich ihm danken, dem Heil meines Antlitzes und meinem Gotte!"
Symbol für das spirituelle Dürsten der menschlichen Seele nach Gott
Es ist die Geschichte eines Mannes, der sich weitab vom Heiligtum befindet und sich wehmütig daran erinnert, mit welcher Freude er einst zum Tempel gewallfahrtet ist und welches Glück er empfand, als er schließlich der Allgegenwart Gottes gewahr wurde. Seit der Rückkehr nach Hause muss er sich allein mit Erinnerungen begnügen. Die Kluft zwischen seiner Sehnsucht und der Pein des Alltags bedrückt und beunruhigt ihn.
In der Tradition steht der physische Durst nach Wasser als Symbol für das spirituelle Dürsten der menschlichen Seele nach Gott. Das Heiligtum in Jerusalem, zu dem die Menschen dreimal im Jahr und eben auch zum Sukkot-Fest hinaufziehen sollen, wird mit der Fülle an Wasser – und damit: gutem Leben – verglichen, wie es an den zahlreichen Wasserquellen im Norden des Landes Israel möglich ist. Das Gedeihen von Mensch und Tier in dieser üppig-grünen Landschaft ist Sinnbild, aber auch Erinnerung an die fröhlich lärmende Menge, die zum Heiligtum hinzieht und sich der Gunst Gottes sicher weiß.
Der Dichter ruft sich selbst zur Ordnung
Doch der Alltag hat den Mann nicht nur räumlich, sondern auch geistig vom Heiligtum weggeführt. Längst werden die Erinnerungen an das Freudenfest im Heiligtum vom Hohn und Spott der Feinde, die Gottes Allgegenwart infrage stellen, übertönt. Darüber gerät der Dichter derart in Erregung, dass er sich gleichsam selbst zur Ordnung ruft und beschließt, mit aller Kraft zu den Wasserquellen, zum Leben und zur Heiligkeit und damit zu Gott zurückzukehren.
Hören wir noch einmal einen Ausschnitt aus dem Doppelpsalm 42/43, in einer Aufnahme der osteuropäischen Chasidei-Chabad-Tradition mit Kantor Eli Lipsker.