Journalist zweifelt an Fähigkeit afghanischer Sicherheitskräfte

Gerd Nowakowski im Gespräch mit Gabi Wuttke · 16.04.2012
Die Angriffe der Taliban auf Botschaften, Regierungsgebäude und Polizeieinrichtungen seien auch von der ISAF nicht erwartet worden, sagt Gerd Nowakowski, leitender Redakteur beim "Tagesspiegel", im Mediengespräch. Er bezeichnet sie als "spektakuläre Aktion und Offensive". Weiteres wichtiges Thema der in Berlin erscheinenden Zeitung ist der Prozessauftakt in Norwegen gegen Anders Breivik.
Gabi Wuttke: Das NATO-Hauptquartier meldete noch vor ein paar Tagen, "kein Anzeichen für eine Frühjahrsoffensive der Taliban in Afghanistan". So böse kann man sich täuschen. Ausgerechnet dort, wo die Sicherheitsmaßnahmen am höchsten sind, heulten gestern die Alarmsirenen: im Botschaftsviertel von Kabul. Die Offensive in mehreren Städten Afghanistans ist heute das Aufmacherthema im "Tagesspiegel". Am Telefon begrüße ich zum "Mediengespräch" den leitenden Redakteur Gerd Nowakowski. Guten Morgen!

Gerd Nowakowski: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: War das Überraschungsmoment dieser Attacken der Grund, das Thema groß auf der ersten Seite zu platzieren, oder welche anderen Gründen hatten Sie dafür?

Nowakowski: Es ist ja doch eine spektakuläre Aktion und Offensive gewesen in Afghanistan und es war umso überraschender, weil noch vor einer Woche der ISAF-Sprecher in Kabul gesagt hat, es gäbe keinerlei Anzeichen für eine geplante koordinierte Aktion der Taliban. Da waren wohl die ISAF und auch der Geheimdienst nicht besonders gut informiert. Und das, was dort passiert ist, signalisiert ja, wir können angreifen wann wir wollen und wo wir wollen, und das gleichzeitig in vier Provinzen und in der Hauptstadt. Das ist ein starkes Signal, was die Taliban dort gesendet haben.

Wuttke: Der "Tagesspiegel" hat ja dann umgehend den langjährigen Afghanistan-Kenner Thomas Ruttig in Kabul angerufen. Der wiederum war nicht überrascht.

Nowakowski: Ich glaube, dass das ein Zeichen ist, dass wir hier doch manchmal auch gefärbte Einschätzungen kriegen. Man erinnert sich auch daran, dass im September vergangenen Jahres, als die Taliban schon mal eine Offensive gemacht haben, der US-Botschafter damals gesagt hat: Na ja, wenn die Taliban nicht mehr drauf haben … – sehr abfällig. Da wird etwas unterspielt, natürlich auch mit politischem Interesse, weil ja die Abzugstermine 2014 stehen und hier immer gesagt wird, die afghanischen Sicherheitskräfte werden immer besser in der Fähigkeit, auf so eine Situation zu reagieren, die Kontrolle zu bewahren. Da muss man natürlich Zweifel an der Fähigkeit dieser afghanischen Sicherheitskräfte bekommen.

Wuttke: Mit Blick auf 2014 – Sie haben es gerade gesagt - haben Sie beziehungsweise der "Tagesspiegel" mit Thomas Ruttig auch über die Wahrscheinlichkeit gesprochen, dass Hamid Karsai bereits im nächsten Jahr die nächsten Präsidentschaftswahlen ansetzen könnte. Für wie hoch halten Sie diese Wahrscheinlichkeit?

Nowakowski: Es spricht einiges dafür, dass Karsai frühzeitiger wählen will, weil es logistisch ja besser zu organisieren ist vor dem Abzug der ausländischen Truppen aus Afghanistan. Es ist aber politisch und rechtsstaatlich eigentlich ein bisschen fragwürdig, weil die Verfassung eben gebrochen wird, wenn Karsai vorzeitig wählen will, egal ob er dort selber antreten will oder jemand aus seiner Partei oder aus seinem Familienclan dort antreten möchte. Das kann zusätzliche Spannungen bringen. Das muss man abwarten, welche Kandidaten sich dort dann profilieren und ob Karsai dieses Vorhaben wirklich umsetzen möchte.

Wuttke: Ein zweites großes Thema an diesem 16. April ist der Prozessbeginn gegen Anders Breivik. Der "Tagesspiegel" kommentiert auf der ersten Seite, berichtet dann aber erst wieder auf der letzten. Welche Gründe hatte denn diese Entscheidung?

Nowakowski: Na ja, wir haben in den letzten Tagen schon andere Berichte auch gehabt aus Norwegen und wir haben heute die letzte Seite gewählt, um dort insbesondere die Inszenierung der Verteidiger von Breivik zum Thema zu machen, die sehr kontrovers diskutiert wird in Norwegen, wie bereitet sich die Verteidigung vor. Sie wollen begründen, dass Breivik aus Notwehr gehandelt hat, und das schlägt erhebliche Wellen in Norwegen und löst die Frage aus, ob die Verteidigung damit zu weit geht, über den Auftrag hinausgeht, den man als Verteidiger von einem Angeklagten erhält, ob das nicht eine zusätzliche Verhöhnung und Diffamierung der Opfer ist von Breivik. Das nehmen wir jetzt zum heutigen Auftakt, einen Blick auf diese Verteidiger-Crew zu werfen, als einen angemessenen Anlass.

Wuttke: Im Mediengespräch der Ortszeit Gerd Nowakowski, leitender Redakteur beim "Tagesspiegel".

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Links bei dradio.de:

Vorerst Ruhe in Kabul nach Anschlagserie -
FDP und Grüne für Verhandlungen mit den Taliban