Journalismus

Ungarns Medien kämpfen um ihre Existenz

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban lässt sich nach der Parlamentswahl von seinen Anhängern feiern.
Unter Ministerpräsident Viktor Orbán haben es nicht-konservative Medien schwer. © dpa/ picture alliance / Szilard Koszticsak
Von Jan-Uwe Stahr · 10.09.2014
Unabhängiger Journalismus scheint in Ungarn kaum mehr möglich zu sein: Eine neue Werbesteuer bringt die Einnahmen kleiner privater Medien in Gefahr, regierungskritische Formate werden abgeschafft. Doch es gibt Widerstand, vor allem im Netz.
Ein ungarischer Fernsehspot wirbt für Schoko-Pralinen. Sie versüßen der ganzen Familie das Leben – so die Botschaft. Auf alle Fälle bringt sie den ausstrahlenden Sendern Geld. Neuerdings allerdings deutlich weniger als bisher. Denn die Werbeeinnahmen der privaten Fernsehsender, aber auch der Radiostationen, Print- und Online Medien müssen jetzt mit bis zu 40 Prozent versteuert werden – so beschloss es kürzlich die ungarische Regierung.
Die ungarische Medienbranche ist sauer: Mit einem "Black-out" auf Fernseh- und Computerbildschirmen, sowie leeren Zeitungsseiten protestierte sie ungewohnt einhellig auf den Steuer-Vorstoß der Orbán-Regierung. Manche Medien fürchten wegen der neuen Werbesteuer sogar um ihre Existenz. Das liegt an einer Eigenart des ungarischen Werbemarktes. Nur wenige private Unternehmen können große Anzeigen und teure Werbespots schalten. Im Gegensatz zu staatlichen Einrichtungen und Betrieben. Die Abhängigkeit von ihren Werbeetats wächst somit.
Das hat Auswirkungen auf die Berichterstattung. Medien, die sich allzu kritisch mit der Regierung auseinandersetzen, bekommen schon mal einen Auftragsrückgang zu spüren. Oder anderweitigen Ärger.
Regierungskritischen Chefredakteur gefeuert
Einige tausend Bürger demonstrierten im Juni in Budapest für die Pressefreiheit. Wieder einmal. Der Anlass: Die neue Werbesteuer und die Geschehnisse bei dem Online-Dienst "Origo" – ein buntes Nachrichten-Portal, das zur ungarischen Tochter der Deutschen Telekom gehört. Ihr Eigentümer hatte kürzlich den Chefredakteur gefeuert, weil es Beschwerden aus dem politischen Umfeld von Ministerpräsident Orbán gab. Der Vorwurf lautete, einige Berichte seien zu regierungskritisch gewesen. Also handelte der Eigentümer von "Origo", um es sich mit der Regierung nicht zu verscherzen. Er sah einen lukrativen Staatsauftrag für die Breitband-Internet-Verkabelung in Gefahr.
Bereits kurz nach seiner Machtübernahme vor vier Jahren, sorgte Viktor Orbán mit rigoroser Medienpolitik für Aufregung. Die parlamentarische Zwei-Drittel-Mehrheit seiner Fidesz-Partei nutzte er dafür, öffentlich-rechtliche TV und Radiosender politisch auf die neue, nationalkonservative Linie zu bringen. Auch einer der bis dahin populärsten Fernseh-Stars bekam das zu spüren.
"Zár Óra", auf Deutsch etwa Ladenschluss, so hieß die Talkshow der heute 34-jährigen Journalistin Alinda Veiszer. Abend für Abend porträtierte sie dort ungarische Schauspieler, Schriftsteller und Wissenschaftler – auf eine Art, die Publikum und Gäste gleichermaßen faszinierte. Die mitternächtliche Sendung war ein anspruchsvoller Höhepunkt des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Ungarn – und ein Quotenerfolg. Noch immer ist die deutschsprachige Alinda stolz auf ihre Show:
"Ich habe Preise gewonnen. Unser Team hat Preise gewonnen. Wir waren so anerkannt und alles was du haben willst, wenn du anfängst mit dieser Sendung."
Anspruchsvolle Talkshow wird abgesetzt
Den Medienpolitikern der Orbán-Regierung gefiel Alindas Talkshow allerdings nicht. Im Sommer 2011 war Schluss mit "Zár Óra"
"Auf einmal haben sie gesagt: Das gibt es nichts weiter. Warum? Ich weiß es nicht, auch heute weiß ich es nicht."
Die Sendung passte offenbar nicht zum neuen medienpolitischen Kurs der nationalkonservativen Fidesz-Partei. Nicht nur Politik- und Kultursendungen wurden damals radikal ausgetauscht – auch das Personal.
"Das waren ganz andere Leute. Die kommen aus anderen Medien, aus so gesagten konservativen Medien. Wir haben uns noch nie getroffen, die waren wirklich ganz neu für mich."
Über 500 Journalisten wurden vor die Tür gesetzt. Doch die populäre Moderatorin Veiszer durfte bleiben. Sie bekam eine neue Sendung angeboten. "Ejjeli örjarat" – "Nachtwache". Ebenfalls eine Kultur- und Porträtsendung. Allerdings mit neuen Arbeitsbedingungen: Die Gäste, die eingeladen wurden, mussten nun zuvor "von oben" genehmigt werden, sagt die Journalistin. Und nicht nur die Gäste – auch die Fragen! "Ich sollte nun eine Frageliste einreichen", erzählt Alinda empört, während sie ihre kleine Tochter beim Spielen beobachtet.
"Das war ganz interessant. Sie meinten, ich solle diese Frage ein bisschen anders stellen. Ich fragte warum? Weil wir eine andere Antwort bekommen möchten, sagten sie. Aber das interessiert mich nicht!"
Das erzwungene Ende einer glänzenden Karriere
Die Journalistin stellte sich quer. Doch es gab keine Diskussionen, und auch keine Informationen über die offensichtlich neue redaktionelle Linie der öffentlichen Sender. Alles blieb im Nebulösen. Auch Alindas "Nachtwache" wurde schließlich aus dem Programm gekippt. Wegen "Umstrukturierungen" hieß es offiziell, weil "zu kritisch", hinter vorgehaltener Hand. Man unterbreitete ihr nun ein Angebot, von dem klar war, dass sie es nicht annehmen würde: Ansagerin bei einer Volksmusik-Hitparade im Hörfunk. Ausgestrahlt auf einem Kurzwellensender. Alinda lehnte ab und wurde Ende 2013 gekündigt. Ihre bis dahin glänzende Karriere wurde beendet. Sie kann es noch immer nicht begreifen.
"Für mich war das ein Ziel, unabhängig zu sein. Ich habe immer Menschen von den rechten und den linken Seiten eingeladen. Weil ich glaube, dass öffentlich-rechtlichen Medien bei uns das machen sollten. Also keine Frage, dass ich das gemacht habe. Jetzt ist das egal."
"Ich kann noch immer nicht emotionsfrei darüber sprechen", entschuldigt sich Alinda. Was sie heute macht? "Ich arbeite noch immer als Moderatorin", sagt sie. Jetzt aber nicht mehr für Hunderttausende im Fernsehen, sondern bei kulturpolitischen Diskussionsabenden in kleinen, meist freien Theatern.
Medienzensur auch unter den Sozialisten
Die öffentlich-rechtlichen Medien als Sprachrohr der Regierung zu nutzen und dort alle wichtigen Posten mit eigenen Parteileuten zu besetzen, ist in Ungarn keine Erfindung der Nationalkonservativen. Auch die zuvor regierenden Sozialisten haben das so gehandhabt. Allerdings hat das Orbán-Lager heute auch bei fast allen privaten Medien die Meinungsführerschaft. Noch zu Oppositionszeiten baute Viktor Orbán systematisch ein konservativ ausgerichtetes privates Medienimperium auf – mithilfe ihm politisch nahestehender Großunternehmer. Die Folge: Orbáns Fidesz-Regierung kann heute weitgehend ohne kritische Medienkontrolle schalten und walten. Parteiunabhängiger, kritischer Journalismus ist in Ungarn absolute Mangelware. Trotzdem: es gibt noch einige mutige Journalisten, die sich trauen, auch heikle Geschichten zu recherchieren und zu publizieren.
Fünf Männer und eine Frau sitzen vor aufgeklappten Laptops an zusammengerückten Tischen. Darauf liegen ein Kabelgewirr, Getränke-Dosen, Chips-Tüten und mittendrin ein Router für den drahtlosen Internetzugang. Es ist Redaktionskonferenz des Enthüllungs-Netzwerkes "Atlatszo". Es arbeitet in einem alternativen Kulturzentrum in Budapest
Ein glatzköpfiger junger Mann berichtet über seine Recherche-Ergebnisse in der Neonazi-Szene. Er hat einen Hintermann ermittelt, der rechtsextreme Hetzseiten im Internet verbreitet. Es ist ein ungarischer Geschäftsmann aus Kalifornien.
Dann geht es um den neuesten Stand in einer großen Steuerbetrugssache beim Export ungarischer Agrarprodukte. Die ungarischen Behörden haben gegen die falschen Täter ermittelt und die richtigen laufen lassen - "Atlatszo" hat es aufgedeckt. Die Fakten kann jedermann auf der Internetseite des Netzwerkes nachlesen. Die Geschichte wird immer größer, sagt Chefredakteur Tamás Budoky. Bis vor drei Jahren arbeitete der 45-jährige Journalist noch bei Ungarns größtem Nachrichtenportal "Index.hu", dann warf er dort hin.
"Das war ein großer Skandal als ich ging. Ich recherchierte gerade eine Geschichte über eine Autorennstrecke in der Nähe des Plattensees, deren Bau von der Regierung subventionierte wurde - der so genannte Balaton-Ring."
Fidez-Mitglieder in Korruptionsfall verwickelt
Das ganze Projekt war hochgradig korrupt, erzählt Chefredakteur Budoky. Einige Politiker spekulierten mit den Grundstücken, die für die Rennstrecke benötigt wurden. Erst sah es so aus als seien nur Sozialisten in den Korruptionsskandal verstrickt. Doch dann fand Budoky auch Hinweise, die zum konservativen Fidesz-Lager führten.
"Es gab deutliche Spuren hin zu Orbán-Kreisen.… Politiker beider Lager teilten sich den Profit. Das war der Grund, warum Fidesz den Fall nicht aufgriff. "
In die Korruptionsaffäre verstrickt war aber der Eigentümer des Online-Nachrichtenportal "Index.hu", für das Budoky damals arbeitete. Doch darüber durfte der Journalist dann nicht mehr berichten. Für ihn war das der Anlass den gut bezahlten Job hinzuwerfen. 2011 gründete Buodoky dann seine eigene Online-Seite "Atlatszo", auf Deutsch: "Transparenz". Finanziert wird das nicht-kommerzielle Projekt mit privaten Spenden und Geldern einer norwegischen Stiftung.
"Mir geht es vor allem darum, dass die Verantwortlichen, nämlich die Regierung kritisiert werden muss, egal ob Sie links oder rechts ist. Denn sie ist an der Macht, sie gibt das öffentliche Geld aus. Wir kritisieren die Regierung, egal wer sie gerade stellt."
Ihre Recherche-Ergebnisse stellen Tamás Budoky und seine Mitstreiter anderen Medien zur Verfügung - kostenlos. Doch nur wenige trauen sich in Ungarn, diese auch zu veröffentlichen. Bei der ausländischen Presse dagegen findet Atlatszo große Aufmerksamkeit. Zum Ärger der ungarischen Regierung. Sie versucht nun, die finanzielle Unterstützung durch ausländische Stiftungen zu unterbinden. Verbieten lässt sich kritischer Journalismus allerdings auch in Ungarn nicht. Und gerade im Internet gibt es junge Medien, die über Politik berichten, ohne sich vereinnahmen zu lassen. Und dazu auch noch populär sind. Zum Beispiel das Online-Nachrichtenportal 444.
"Auf der ungarischen Computer-Tastatur ist das Ausrufezeichen dort, wo die Vier ist. Wenn man schnell schreibt und dabei vergisst die Shift-Taste zu drücken beim Ausrufezeichen, dann hat man eine Vier geschrieben. Besonders beim Chatten passiert es häufig, da dort sehr schnell geschrieben wird."
Sagt der 28-jährige Redakteur Gergö Planko. Auch bei 444, Ungarns jüngstem Online-Nachrichtenmagazin, wird extrem schnell geschrieben. Besonders die Kurznachrichten in der linken Spalte.
Politiker sind an schmeichelnde Fragen gewöhnt
"Auf der linken Seite sieht man etwas Neues. Vorbild war dafür war die Pinnwand bei Facebook. Dort stehen kurze Nachrichten. Es gibt jeden Tag zwei Moderatoren, die diese Kurznachrichten zusammenstellen. Manchmal wird aus einer kurzen Nachricht auf der linken Spalte auch eine größere Geschichte für die rechte Seite. "
"Politik, Technik, Kultur, Sport und ziemlich viel Quatsch aus dem Internet – wir machen alles", sagt Gergö. Längere, selbst recherchierten Geschichten und Videoreportagen gibt es auch. "Wie bei den klassischen Nachrichten-Portalen, nur etwas frecher vielleicht, meint der junge Onliner und klickt ein aktuelles Video auf seinem Bildschirm an.
Das Video zeigt den Kollegen Bence. Mit einem Kameramann lauert er in der Parlamentslobby auf Abgeordnete der Regierungspartei. Seine Frage an die Politiker ist immer die gleiche: Wie können sie über einen Vertrag abstimmen, dessen Inhalt sie gar nicht kennen? Es geht um das neue ungarische Atomkraftwerk, das eine russische Firma bauen soll. Eine dazugehörige Studie über die Wirtschaftlichkeit hält die Regierung unter Verschluss.
Manche Politiker versuchen den 444-Reportern aus dem Weg zu gehen. Andere sondern nichtssagende Floskeln ab. Sichtbar genervt. Die einfache Journalistenfrage ist ihnen unangenehm.
"Der Grund dafür ist, sie sind daran gewöhnt, weiche Fragen gestellt zu bekommen. Sämtliche Pressekonferenzen gehen so über die Bühne, dass niemand eine relevante Frage stellt. Aber wenn man zulässt, dass ein Politiker bequem wird, dann wird er auch bequem. "
Online-Nachrichtenmagazin von Werbung unabhängig
Der üblichen Hofberichterstattung etwas entgegenzusetzen. Das sehen die jungen Journalisten von 444 als ihren Auftrag. Ohne Rücksicht auf politische Lager. Das kommt an bei den Nutzern. 100.000 sollen es täglich sein. Tendenz steigend. Vor allem bei den jungen Ungarn, die sich ansonsten kaum noch für die Politik interessieren.
"Die meisten Medien versuchen ja, gezielt die Jugendlichen anzusprechen. Aber das wirkt meistens ziemlich gewollt. Anscheinend gelingt uns das ganz mühelos. Vielleicht wegen des Designs oder wie wir die Nachrichten präsentieren. Um ehrlich zu sein, ich weiß auch nicht genau, aber es freut uns sehr, dass es so ist."
Große Werbekunden hat das junge Portal 444 noch nicht. Keine Schokoladen-Spots, von deren Werbeerlösen sie fast die Hälfte an den ungarischen Staat abgeben müssen. Vielleicht ein Glücksfall, denn so können sich die jungen Journalisten die Unabhängigkeit bewahren, die andere Online-Portale bereits aufgegeben haben.
Allerdings entfaltet die neue Werbesteuer der ungarischen Regierung auch unvorhergesehene Wirkungen: Der größte, bisher völlig unpolitische, TV-Sender "RTL-Klub" entdeckt neuerdings den kritischen Journalismus: Fast täglich berichtet der internationale Privatsender nun über Korruptionsgeschichten aus dem Fidesz-Lager. Und rächt sich so für Orbáns neue Werbesteuer.
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