Josef H. Reichholf: "Haustiere"

Die unbekannten Lebewesen daheim

Cover "Haustiere" von Josef H. Reichholf
Cover "Haustiere" von Josef H. Reichholf © Matthes & Seitz Verlag/imago
Von Johannes Kaiser · 15.12.2017
Seit Jahrtausenden lebt der Mensch mit Haustieren. Aber wie kamen sie zum Menschen? Wie sieht ihr Leben aus? Und wer hat hier wen domestiziert? Der bekannte Evolutionsbiologe Josef Reichholf erzählt geschichtenreich von unseren tierischen Mitbewohnern.
Keine Frage: Der Wolf ist auf den Hund gekommen. Genetisch jedenfalls ist die Abstammung eindeutig. Nur wie es zur Zähmung des Raubtiers kam, darüber herrscht Uneinigkeit. Der Zoologe Josef Reichholf ist überzeugt davon, dass sich der Wolf selbst domestiziert hat, also sich an den Menschen anpasste.
Der bayrische Experte ist bekannt für seine fächerübergreifenden, bisweilen provokanten Thesen zu Flora und Fauna. Allerdings sind sie stets plausibel und nachvollziehbar begründet und so verständlich formuliert, dass sie jeder versteht.
So deuten jüngere Forschungsergebnisse darauf hin, dass sich Wölfe unseren jagenden Vorfahren anschlossen, um von deren Jagderfolg zu profitieren. So näherten sie sich den Menschen an und begannen, sie gegen fremde Wolfsrudel zu verteidigen. Zudem passte das Sozialverhalten von Wölfen und Jägern und Sammlern gut zusammen.

Ausbeutung des Wolfes

Erst als die Menschen sesshaft wurden, fingen sie an, die Wölfe, die sich ihnen angeschlossen hat, gezielt zur Zucht auszuwählen. Und damit begann "die Ausbeutung des zum Hund gemachten Wolfes", schreibt der Biologe. Durch jahrhundertelange Zucht entstanden dann die Hunderassen vom Mops bis zum Hütehund.
Da es den sesshaft gewordenen Menschen früher an Fleisch mangelte, änderte sich auch die Ernährung der Hunde. Sie bekommen bis heute Gemüse und Getreide ins Futter gemischt. Das führt bisweilen, so Reichholf, zu einem Verhalten, dass so manchen Hundefreund ekelt. Ihre Lieblinge fressen Exkremente anderer Hunde oder in Asien auch Menschenkot, denn darin befinden sich von Verdauungsbakterien erzeugte Eiweißstoffe, also wichtige Proteine. Ein Verhalten, das auch auf Kaninchen und Hasen zutrifft.
Trotzdem ist der Fleischbedarf von Hunden und Katzen riesig. Allein in den USA verschlingen sie so viel Fleisch wie die französische Bevölkerung. Und dennoch bricht Josef H. Reichholf für die Haustiere eine Lanze, weil sie für das seelische Wohlbefinden vor allem einsamer Menschen wichtig sind.

Gewalt gegen Nutztiere

Zu den Haustieren zählt Josef Reichholf aber nicht nur Katzen und Kaninchen, sondern auch Pferde und Esel sowie die armseligen Geschöpfe der Massentierhaltung wie Schweine, Kühe oder Hühner. Dabei stand das Wohl des Menschen stets an erster Stelle. So schneidet man, um nicht verletzt zu werden, den Kühen die Hörner ab. Die aber sind extrem gut durchblutet und dienen dem Rind als Wärmeabfuhr, verhindern eine Überhitzung des Körpers, vor allem des Gehirns.
Eine echte Perversität: Die trächtigen Mutterschafe der Karakulschafe werden so lange geschlagen, bis sie eine Frühgeburt erleiden. Deren Fell ergibt dann den Persianer.
Viele Tiere leben in Gemeinschaft mit uns, egal ob erwünscht oder gehasst. Ratten und Mäuse, Spinnen und Silberfischchen, Flöhe und Läuse lieben uns und unsere Abfälle, plündern unsere Vorräte.
Josef Reichholfs Buch ist ein geschichtenträchtiges, persönlich gefärbtes, wortgewandtes Plädoyer für eine artgerechte Haltung sowohl unserer unmittelbaren Haustiere wie Hund oder Katze als auch unserer Nutztiere wie Kuh, Schwein oder Huhn. Man sieht seine Mitbewohner plötzlich mit ganz anderen Augen.

Josef H. Reichholf: Haustiere. Unsere nahen und doch so fremden Begleiter
Matthes & Seitz, Berlin 2017
196 Seiten, 28,- EUR

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