John-Coltrane-Doku: "Chasing"

Wie ein Coffeetable-Kunstbuch

Der Saxophonist John Coltrane gibt 1965 ein Konzert in Paris.
John Coltrane im Jahr 1965 © AFP
Von Laf Überland · 19.12.2017
Er wollte alle Musik der Welt in seine eigene einbringen und brachte das Saxophon klanglich ebenso an seine Grenzen wie Jimi Hendrix später die elektrische Gitarre: John Coltrane. Nun zeigt ein Dokumentarfilm das Leben des Musikerneuerers und Familienmenschen.
"To be a musician is really something. Goes very very deep."
John Coltrane, 1926 in North Carolina geboren, wo er als Einzelkind in der Großfamilie seines Opas lebt - eines Baptistenpredigers, bis innerhalb von zwei Jahren Vater, Großvater, Onkel und Großmutter wegsterben und Coltrane mit zwölf beginnt, mit sein Gedanken, Gefühlen und Hoffnungen – in sein Saxophon zu flüchten.
Später kann er dann mit dem Spielen seine kleine neue Familie ernähren, voller Liebe: Die Stieftochter erzählt von diesem Gig im Schneesturm, den Coltrane nicht absagt, weil sie unbedingt neue Winterschuhe braucht! Das Leben ist gut, - aber es gibt ein Problem:
"Wir spielten in Nachtclubs, wo die Zuhälter und Nutten sich rumtrieben", erzählt Coltranes Kollege Jimmy Heath, "und wir waren total von der Rolle, und dann: Ey, Mann, nimm was von diesem Zeug, dann geht’s dir gut … Und dann hängste dran fest."

In der Hölle des kalten Entzugs

Und ehe er sich’s versieht, ist Coltrane heroinsüchtig und säuft wie ein Loch. Zwar lieben ihn immer noch alle, weil er so ein netter Kerl ist, aber Miles Davis schmeißt ihn trotzdem raus, weil er unzuverlässig wird. Und John Coltrane stürzt aus dem Himmel (denn kein Gig der Welt ist damals wie ein Miles-Davis-Konzert!) – und begibt sich selbst in die Hölle, in dem er einen kalten Entzug durchzieht, ohne medizinische Hilfe, aus eigener Kraft clean wird. Der Stieftochter kommen jetzt noch die Tränen, wenn sie Tranes Cold Turkey beschreibt. Doch als er clean ist, beginnt seine musikalische und spirituelle Wucht sich zu entfalten: denn beides geht nur Hand in Hand bei diesem Mann.

Erhellend und unterhaltsam

Und weil alte Jazzer gern ziemlich lustige Vögel sind, sind einige der Interviews nicht nur erhellend, sondern äußerst unterhaltsam. Und der Philosoph Cornel West spielt, wie ein Prediger-Clown, ganz hinreißend die Historie nach. Aber das Miraculum in diesem Film ist – neben den Symbiosen mit Monk und Miles, nach Trennungs- und Liebesgeschichten und Foren sicherer? Analyse seines Spiels - der Weg des sanften Giganten Coltrane vom elenden Leiden zur spirituellen Erleuchtung – und zur vollständigen Revolutionierung der Musik:
"Als er sich zuletzt dann wochenlang im Obergeschoß ihres Hauses auf Long Island einschließt und schließlich wie Moses vom Berg die Treppe runterkommt und sagt: Zum ersten Mal habe ich alles hintereinander!"
"A Love Supreme" wird tatsächlich sein Meisterwerk, das die Musik, das die spirituelle Blackness, wie man heute vielleicht sagen würde, unumkehrbar veränderte: Aber weiter kommt das heilige Genie nicht mehr. Denn sein Abflug in noch fernere Sphären (als er sich mit seiner Frau Alice der Avantgarde zuwendet und die Hälfte des Publikums vor seinem neuen, schreienden, quietschenden Saxophonton aus den Konzerten flieht) – hört kurz nach dem Abheben - durch seinen Tod an Leberkrebs mit 40 Jahren – 1967 einfach auf.