Johannes Bobrowskis - "Briefe"

Einzelgänger zwischen Ost und West

1928 zog Johannes Bobrowski nach Königsberg, wo er das humanistische Stadtgymnasium Altstadt-Kneiphof besuchte.
Cover von "Johannes Bobrowski, Briefe 1937-1965", im Hintergrund das zerstörte Königsberg (Ostpreußen) nach dem Luftangriff im August 1944. Hier ging der Autor aufs Gymnasium. © picture alliance / dpa / Wallstein Verlag
Von Helmut Böttiger · 08.04.2017
Zum 100. Geburtstag des Ostberliner Lyrikers Johannes Bobrowski ist eine vierbändige Sammlung seiner Briefe erschienen. Sie erlaubt einen genauen Blick auf den Autor in allen Phasen seines kurzen Lebens und ist ein spannendes Stück deutsch-deutscher Literaturgeschichte.
Johannes Bobrowski starb 1965 im Alter von 48 Jahren an einer Blinddarmentzündung, und sein fulminantes Gesamtwerk, das ihn zu einem der bedeutendsten Schriftsteller der letzten Jahrzehnte machte, entstand in den wenigen Jahren von 1961-1965. Über seine näheren Lebensumstände war bisher nicht sehr viel bekannt, außer der spezifischen Aura, die ihn schon in seinen späten Jahren umgab: ein souveräner Solitär zwischen Ost und West, wohnhaft im Ostberliner Stadtteil Friedrichshagen, dessen Haus zu einer Pilgerstätte von westdeutschen und Westberliner Autoren wurde, zu einem einzigartigen Ort der Begegnung nach dem Bau der Mauer.

Tiefer Verbundenheit mit Ostpreußen

Die von Jochen Meyer umfassend und detailreich kommentierte, große vierbändige Briefausgabe erlaubt nun zum ersten Mal einen genauen Blick auf das Phänomen Bobrowski. Aus den zahlreichen Briefen aus allen Lebensphasen lässt sich mühelos eine differenzierte Biografie dieses geheimnisvollen Dichters rekonstruieren, der Anfang der sechziger Jahre mit der lyrischen Beschwörung des sarmatischen Raums hervortrat – eine Bezeichnung des antiken Geografen Ptolemäus für das Gebiet zwischen Ostsee und Schwarzem Meer.
Bobrowski stammte aus dem Memelland um Tilsit, ging im ostpreußischen geistigen Zentrum Königsberg aufs Gymnasium, und die Tiefe der Verbundenheit zu diesem Herkommen zeigt sich bis zum Schluss in Briefen an Landsleute und in genealogischen Forschungen. Auch mit Soldaten seiner Einheit blieb er lange in enger Verbindung. Interessant ist seine Wandlung zum überzeugten Kommunisten, die er auch noch eine Zeitlang nach dem Kriegsgefangenenlager im Donezbecken aufrechterhielt. Angesichts der innenpolitischen Entwicklung in der DDR trat jedoch schon bald eine Desillusionierung ein.
Berlin / Köpenick, 18.04.1998: Ortsteil Friedrichshagen: Dichters Ort: Johannes Bobrowskis Wohnhaus, Arbeitszimmer.
Berlin / Köpenick, 18.04.1998: Ortsteil Friedrichshagen: Dichters Ort: Johannes Bobrowskis Wohnhaus, Arbeitszimmer.© picture-alliance / dpa / Berliner_Kurier / Sabeth Stickforth

Überforderung durch den westdeutschen Literaturbetrieb

Es gibt viele einzelne Geschichten, die diese Briefe erzählen: der Abstand zum Literaturbetrieb, die völlig autonome Entwicklung einer eigenen poetischen Sprache, der plötzliche Ruhm. Die Freundschaft zu dem ungestümen Lyriker Peter Jokostra, der bald in die Bundesrepublik floh, weicht schnell einem Entsetzen über dessen Geltungssucht. Doch die Fähigkeit zur Freundschaft ist eines von Bobrowskis größten Talenten, man spürt das, wie er an seine engsten Gefährten schreibt: vor allem an den viel jüngeren Christoph Meckel und dessen Malerfreundin Lilo Fromm, an den Surrealisten Max Hölzer, an den Trinkgenossen Günter Bruno Fuchs oder den hellsichtigen Lektor und späteren Verleger Klaus Wagenbach.
Die Überforderung durch den westdeutschen Literaturbetrieb, das Wettbieten der Verlage um seinen Roman "Levins Mühle" rückt atmosphärisch äußerst nah. Und auch die Gefährdungen seiner Position in der DDR werden sehr deutlich: die Überwachung durch die Stasi, das notwendige Taktieren, um die innere Unabhängigkeit abzusichern – mit all den zwiespältigen Begleiterscheinungen, die das zwangsläufig mit sich brachte.
Dieser Briefwechsel ist eine spannende deutsch-deutsche Literaturgeschichte, mit vielen bisher unbekannten Informationen und Seitensträngen, und er zeigt wieder einmal, dass große Literatur vor allem gegen die Zeitläufte und ihre Moden entsteht.

Johannes Bobrowski: Briefe 1937-1965, hg. von Jochen Meyer
Wallstein-Verlag, Göttingen 2017
4 Bände, insgesamt ca. 2500 Seiten, 199 Euro

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