Johann Sebastian Bach reloaded

Von Michael Hollenbach · 01.12.2012
In den letzten fünf Jahrzehnten haben sich Künstler aller Genres an Weihnachtsliedern versucht. Ein ganz und gar ungewöhnliches Projekt gibt es nun in Hannover: Dort haben rund 70 Jugendliche in den letzten Monaten "ihre" Version des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach erarbeitet: ein Crossover-Projekt zwischen Klassik, Rap und Poetry Slam.
Ewgeniy Ussach ist einer der beiden Rapper des "Weihnachtsraptoriums", sozusagen iener HipHop-Version von Bachs Barockopus. Berührungsängste mit "musikalischen Schwergewicht" Johann Sebastian Bach) hat er nicht.

"Man kann Bach rappen….Meines Erachtens passt es sehr gut zusammen, weil im Original-Bach so viele Rezitative drin sind, dass man das ganz prima über den Rap in die moderne Sprache übersetzen kann."

Sabine Busmann vom Musikzentrum Hannover ist die Leiterin des Projektes, das sie gemeinsam mit der Jugendkirche Hannover organisiert.

"Das ist eine Kombination. Es sind auf jeden Fall auch noch Originalzitate in den Neu-Arrangements enthalten, aber der Text ist von den Jugendlichen. Sie mussten sich sowohl mit der Thematik als eben auch mit der klassischen Seite auseinandersetzen."

Neben den beiden Rappern mischt ein Jugendorchester aus Musikstudierenden mit, eine Popband mit dem "Wir sind Helden"-Gitarristen Jens Eckhoff sowie ein Chor und eine Tanzgruppe. Das Raptorium hält sich zum Anfang noch an die klassischen Vorgaben, wechselt dann aber immer stärker in den Rap. Der Reiz des Projektes ist aber natürlich der culture clash: Hochkultur trifft auf Rap - geht das überhaupt?

"Rap ist immer alles gewesen," betont der hannoversche Rapper Spax: "Es gibt Leute, die haben sehr poetische Sachen gerappt, ( ... ) es gibt Gangsta-Rapper, es gibt Leute, die haben heilige Schriften zitiert. Rap ist immer alles gewesen. Es ist nicht so, dass es immer um Slang geht. ( ... ) Rap ist keine Einschränkung, sie muss Gangsta sein und man muss eine Mütze tragen. Rap ist im Prinzip Rhythm and Poetry, rhythmisch gesprochene Poesie."

Ein Weihnachts-Raptorium - das bedeutet auch, Passagen aus der Bibel oder zumindest das Weihnachtsevangelium zu rappen.

"Das war anfangs ein Problem. (..) Es ist eine Herausforderung, bei der ich mir dachte, ich nehme das mal an und versuche einfach, mich da hineinzuversetzen."

Der aus Russland stammende Ewgeniy Ussach kommt aus einer christlich-orthodoxen Familie. Die Weihnachtsbotschaft ist ihm nicht fremd - aber als Rapper in einer Kirche auftreten?

"Es ist auf jedem Fall ein kleiner bisschen seltsam. ( ... ) Ich gehöre ja auch zu den Rappern, die bestimmte Worte benutzen, die nicht in eine Kirche reingehören. Und so habe ich versucht, zu filtern, so dass diese Worte auf keinen Fall darin fallen. ( ... ) Es ist jetzt nicht so, dass ich mich total unangenehm dabei gefühlt habe, aber es ist ein komisches Gefühl, weil es ist kein gewöhnlicher Platz für Rap."

"Wenn meine Message, meine Botschaft ein und dieselbe bleibt, dann ist es keine Zensur. Ich achte nur darauf, dass bestimmte Worte (..) bei bestimmtem Publikum nicht fallen. Wobei die Botschaft nicht verändert wird, sondern nur die Verpackung."

Verbunden wird die Musik - durch Jesus. Der Rapper Spax - katholisch erzogen - hat einen 2012 auf die Erde wiederkehrenden Jesus kreiert, der die Bedeutung von Weihnachten ins Heute übersetzen soll.

"Es ist im Prinzip ein klassischer Vater-Sohn-Konflikt, der da rauskommt. Die Frage, die wir uns gestellt haben: die stand über allem: wie würde Jesus heute agieren, wenn er heute auf die Welt kommen würde. Wo würde er auf die Welt kommen? Wäre Jerusalem wieder der Ort oder würde man ihn nach Brasilien schicken? Hätte Jesus eine facebook-Seite?"

Gespielt wird dieser postmoderne Jesus von Tobias Kunze, dem local hero der hannoverschen poetry-slam-Szene. Er geht durch die Kirche und lässt Jesus über Gott und die Welt sinnieren:

"Immer dieses Puristische. ( ... ) Es muss mal ein bisschen anders laufen. Allein dieses Bürokratische: Gottesdienst, wie das schon heißt. Wir dienen ja nicht Gott. Gott hat uns erschaffen, damit wir sein können, und im Grund können wir das ja mal feiern. Lass uns mal drüber nachdenken, wie wir das hier besser machen können. ( ... ) Ein DJ legt auf, Familien bringen sich was zum Knabbern mit und dann kommen wir gleich viel besser zusammen. Lasst uns mal feiern. Dass das verboten ist, hat niemand gesagt: auch nicht mein alter Herr da oben."

Das Weihnachts-Raptorium ist ein ambitioniertes Projekt - nicht nur künstlerisch, sondern auch organisatorisch. 80 Jugendliche zusammen zu bekommen und so lange bei der Stange zu halten, ist nicht einfach, erklärt Projektleiterin Sabine Busmann:

"Wir proben jetzt acht Monate und eigentlich ist das ein Zeitraum, der viel zu lang ist. Die müssen zum Fußball, die müssen so viele Klausuren schreiben, haben andere Verpflichtungen, haben Freunde, da ist sehr, sehr schwierig."

Die Tänzerinnen Paula und Xenia tanzen Modern Dance zur Orchestermusik und Breakdance zu den Rap-Passagen. Sie sind auf jeden Fall jetzt schon begeistert.

"Ich fand die Idee von Anfang cool. Es gibt sehr wenige Jugendliche, die Bach hören würden ( ... )
Es ist mal was komplett Anderes, und so kommt man mal an Klassik ran, ohne gleich eineinhalb Stunden Klassik hören zu müssen. Ist für jeden was."

Aber kurz vor der Premiere und der Tournee durch Niedersachsen sind die beiden schon mächtig aufgeregt:

"Ja. Lachen. Vor so vielen Leuten und in so vielen verschiedenen Kirchen zu tanzen. Ich habe gehört: es werden pro Kirche 300 bis 400 Karten verkauft, und einmal tanzen wir im Theater, da sind jetzt schon 700 Karten weg. ( ... ) wenn man es dann verpatzt, ist es sehr ärgerlich."

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