Job

Produktiv bis in den Schlaf

Eine junge Beschäftigte schläft am Arbeitsplatz ein.
Welche Folgen hat die neue Arbeitswelt für den Schlaf? © dpa / picture alliance / Rene Fluger
13.11.2014
Trotz E-Mail-Flut auch im Urlaub und Gedanken zum Social Freezing bleiben Ecken und Winkel im Leben, die noch nicht für Konsum und Karriere verplant sind, meint Martin Tschechne - und denkt an den Schlaf. Der Journalist ist schon mal gespannt auf den nächsten Vorschlag.
Was wird eigentlich aus den Ritualen der Arbeitswelt, wenn alles andere sich neu erfindet? Wird es nicht Zeit, auch da ein paar Dinge neu zu regeln?
Da bietet etwa der weltweit für seine tollkühnen Ideen bekannte Unternehmer Richard Branson seinen Angestellten an, sie könnten Urlaub nehmen, wann und wie lange sie möchten. Vorausgesetzt nur, der Betrieb läuft ungestört weiter, und das persönliche Pensum wird hundertprozentig erfüllt. Mindestens hundertprozentig.
Und Microsoft, der Innovationsgigant aus dem Silicon Valley, setzt noch eins drauf und sagt seinen Leuten: Okay, bleibt zu Hause, wann immer es euch gefällt. Arbeitet im Bett oder im Liegestuhl, nutzt die Morgendämmerung oder den Sonntagnachmittag - uns interessiert allein, dass die Qualität stimmt, dass ihr entspannt seid, kreativ und bei Laune, und dass ihr am Ende richtig gute Arbeit abliefert.
Ist das nicht toll? Aber was passiert? Betriebsräte werden nervös; die Gewerkschaft warnt vor Ausbeutung in einer besonders hinterhältigen Form, vor totaler Kontrolle und einem Wettbewerb, der keine Schranken mehr kennt: keinen Feierabend, kein Wochenende, keine Rücksicht auf einen Lebensentwurf, in dem vielleicht nicht alle wachen und inspirierten Momente gleich für die Karriere reserviert sind.
Und als Apple und Facebook kürzlich anboten, die Familienplanung ihrer Mitarbeiterinnen zu übernehmen, damit die kostbaren Jahre zwischen 20 und, sagen wir: 50 ganz dem Unternehmen gewidmet werden können – da ging ein Aufschrei durchs Land, als sollten die Frauen ihre Seele an den Teufel verkaufen.
Nein, dreimal Hurra sollten wir schreien! Endlich bewegt sich was in dieser bis zur Versteinerung durchregulierten Arbeitswelt! Wie viele Monate und Jahre im Laufe einer Biografie gehen verloren mit Nebensächlichkeiten? Allein der Weg von der Wohnung ins Büro! Und welche galaktischen Distanzen liegen erst zwischen all den Konferenzen und Tagungen mit ihren präzise choreografierten Machtspielchen und den ohnehin immer gleichen Ritualen?
Die Grundlage bleibt naturgemäß flach
Dabei setzt uns der Computer doch längst in die Lage, jederzeit mit jedem in Kontakt zu treten, ob der nun in New York sitzt oder auf dem Gipfel der Zugspitze. Hurra also, wenn die Bürotürme aus der Innenstadt verschwinden. Vielleicht taugen sie ja als Wohnungen – von denen aus sich dann sehr effizient arbeiten ließe ...
Überhaupt, die Welt der Büros! Hurra, wenn diese Biotope der gespreizten Mittelmäßigkeit aufgelöst werden. Nur, wer nie hinter die spiegelnden Fassaden geschaut hat, glaubt noch daran, dass in diesen selbstgenügsamen Systemen wirklich Ideen zur Welt gebracht würden.
Nein, es wird dort verwaltet und revidiert, beantragt, abgelehnt und weitergereicht, es wird geflüstert und gekuscht, Kaffee gekocht und präsidiert. Gearbeitet natürlich auch, ja. Bis es Zeit ist für die Pause. Oder Freitagmittag.
Also, weg damit! Und ein drittes Hurra für die klug inszenierte Erinnerung daran, dass jeder für sich selbst Verantwortung trägt. Nur, wer den Fahrtwind der Konkurrenz im eigenen Haar verspürt, wird auch wissen, wann es genug ist mit dem Urlaub, dem Feierabend oder überhaupt: mit dem kündigungsgeschützten Herumgelümmel' im Sicherheitsnetz des Arbeitgebers.
So weit der ironisch überhöhte Teil dieser Betrachtungen; die Grundlage bleibt naturgemäß flach: Auch in einer vermeintlich schönen neuen Welt der Arbeit werden keine Geschenke verteilt. Vorsicht, wenn es so angekündigt wird. Der ideale Arbeitnehmer ist einer, der seine Arbeit mit nach Hause nimmt, im Kopf, im Herzen und, damit er daran erinnert wird, auf dem Laptop.
Aber wenn auch die Zeit für Familie und Kinder sich gegen ein biochemisches Versprechen abkaufen lässt, wenn auch Freunde, der Garten, die Urlaubsreise, das Motorrad ... , wenn jede Freizeit also Geltung hat allein als Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft – es bleiben Ecken und Winkel im Leben, die noch nicht für Konsum und Karriere verplant sind. Der Schlaf zum Beispiel. Warten wir mal ab, was da als nächster Vorschlag kommt.
Martin Tschechne, Journalist und promovierter Psychologe, lebt in Hamburg und arbeitet meist zu Hause. Manchmal früh am Morgen, oft in der Nacht – aber er genießt es, nie mehr an einem betriebsinternen Motivations-Meeting teilnehmen zu müssen.
Martin Tschechne
Martin Tschechne© privat
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