Joachim Król über "Der erste Mensch"

"Ein ganz anderer Camus"

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Der Schauspieler Joachim Król am 10.1.2018 in Bremen im Rahmen der Lesereise mit Albert Camus' autobiografischem Roman "Der erste Mensch" © picture alliance / Carmen Jaspersen/dpa
Moderation: Joachim Scholl · 15.01.2018
Vom Analphabeten-Kind zum Literaturnobelpreisträger: Seine beispiellose Lebensgeschichte beschreibt Albert Camus in seinem Roman "Der erste Mensch". Jetzt tourt der Schauspieler Joachim Król mit diesem Text durch Deutschland – mit Musik von l'Orchestre du Soleil.
Joachim Scholl: "Der erste Mensch", das ist die autobiografische Geschichte einer Kindheit, geschrieben vom Literaturnobelpreisträger Albert Camus, und in letzter Zeit haben viele Menschen in etlichen deutschen Städten davon gehört, aus dem Mund nämlich von Joachim Król. Der Schauspieler gestaltet zusammen mit dem l’Orchestre du Soleil literarisch-musikalische Abende mit diesem Text. Gestern war Auftritt in Oldenburg, und jetzt ist Joachim Król am Telefon. Guten Morgen!
Joachim Król: Guten Morgen!
Scholl: Wie war es denn gestern?
Król: Es war wunderbar. Das war eine besonders schöne Vorstellung in einem besonders schönen Theater. Wer immer die Chance haben sollte, da mal hinzukommen, sollte das unbedingt tun. Das war die zehnte von rund 25 Vorstellungen, die wir spielen, und wir sind wieder – wenn ich das so unbescheiden sagen darf – gefeiert worden.

Die Musik in dem Text entdecken

Scholl: Wie müssen wir uns so einen Abend vorstellen? Was machen Sie da genau, Herr Król?
Król: Wir haben diesen Text, den mein Regisseur und Produzent Martin Mühleis vorgestellt hat, aus dem Romanfragment "Der erste Mensch". Wir konzentrieren uns auf die Kindheit und Jugend Jacques, also das Alter Ego von Albert Camus, und wir haben einen Score von l’Orchestre du Soleil, fünf hervorragenden Musikern, gewissermaßen eine – in Anführungsstrichen – "Filmmusik", komponiert von Christoph Dangelmeier, unserem Bassisten, und diese Musik liegt über dem ganzen Abend.
Die Musiker solieren auch mal, aber im Wesentlichen betonen und akzentuieren sie die Orte, wo die Geschichte spielt oder die Musik hebt die Figuren hervor, und ich ich versuche die Musik in dem Text zu entdecken und spreche quasi vor diesem Hintergrund, erzähle die Geschichte dieses kleinen Jacques.
Literatur-Nobelpreisträger Albert Camus 1957
Literatur-Nobelpreisträger Albert Camus 1957© dpa / picture alliance /
Scholl: Das unvollendete Manuskript dieses "ersten Menschen" fand man am Ort des Unfalls, handgeschrieben, wo Camus 1960 starb, in dem Unfallauto nämlich, 1994 ist es erst posthum veröffentlicht worden. Herr Król, was fasziniert denn Sie so daran, dass Sie also wirklich gesagt haben, hey, ich will damit auftreten?
Król: Dass es ein ganz anderer Camus ist. Also mein Leseerlebnis Camus liegt schon eine ganze Weile zurück. Ich musste da viel auffrischen, aber Martin Mühleis sagte mir, schau dir das an, das ist eine Geschichte, die ganz nah dran ist an dem Menschen Camus. Er wollte sich ja damals, als er ausgeschrieben galt nach der Verleihung des Literaturnobelpreises und als passé, wollte er sich ja neu erfinden und den Erzähler in sich entdecken, und das haben ja viele große Schriftsteller gemacht.

"Sehr persönlich, sehr emotional"

Er ist dann erstmal in seine Biografie eingetaucht, auf der Suche nach seinem Vater, den er nie kennengelernt hat, und auf der Suche nach seiner Kindheit. Er sagt, ich wollte in die Kindheit eintauchen, in das Geheimnis des Lichts, und der Armut, die damals sein Leben bestimmt hat. Das ist sehr, sehr persönlich, sehr emotional und sehr bildhaft, und das macht einfach Spaß, diese Figuren, also im Wesentlichen Jacques, seine Mutter, seine Großmutter, seinen Onkel Etienne, seinen kleinen Freund Pierre, zum Leben zu erwecken.
Scholl: Sehen Sie da eigentlich Motive auch in Ihrem eigenen Leben, Herr Król?
Król: Das war ganz verblüffend beim ersten Durchlesen. Es gibt eine Schlüsselszene, dass sein Lehrer, sein Volksschullehrer, Herr Germain, beschließt, dem Jungen, wie er wörtlich sagt, Türen zu öffnen und ihn auf das Gymnasium zu schicken, und er geht zur Verblüffung des Kleinen ins Elternhaus oder in das Haus seiner Mutter und Großmutter – den Vater gibt es nicht –, um diese armen Leute – das sind Analphabeten, die am Existenzminimum mit Hungerlöhnen eine Familie aufrechterhalten –, überzeugt die, dass dieser Junge auf das Gymnasium gehört, und so eine Szene…
Also, ich möchte mich jetzt nicht vergleichen mit einem Kind der 20er-Jahre in Algerien in einem Analphabetenhaushalt, aber ich komme aus einem Arbeiterhaushalt in Herne, und diese Szene hat es bei uns auch gegeben. Plötzlich klopft es an der Tür oder es schellt an der Tür, und mein Lehrer steht da, ich denke, ich habe was angestellt, dem war aber in dem Fall nicht so, und er kam nur vorbei, um meinen Vater und meiner Mutter zu sagen, dieser Junge gehört auf das Gymnasium, und das war eine Schlüsselszene für mein Leben. Ganz, ganz ähnlich.

Wir müssen mehr in Bildung investieren

Scholl: Sie haben schon im Zuge Ihrer Tournee jetzt auch öffentlich erklärt, Herr Król, dass Sie diese Abende durchaus auch als ein kleines Bildungsprogramm sehen, und das sei bitter notwendig in unseren Zeiten. Warum?
Król: Natürlich, aber das war Theater ja immer schon. Diese Qualität hat Theater ja schon immer gehabt, ein Bildungserlebnis zu sein, und in dem Fall geht es aber tatsächlich um die, wie es im Text steht, um das Öffnen neuer Horizonte, das Entdecken der Welt, und das geht nur über Bildung. Und ich denke, dass wir da viel, viel mehr investieren müssen. Die Zustände an den Schulen sind nicht gut, die Aufgaben, die die Lehrer haben heutzutage, sind viel, viel umfangreicher und schwieriger geworden, und da sehe ich wirklich Probleme, die schon existieren, und noch viel größere Probleme auf uns zukommen.
Scholl: Sieht es das Publikum auch so? Wie reagieren denn die Menschen, wenn Sie nach den Auftritten vielleicht Zuschauer treffen und sprechen?
Król: Im Wesentlichen geht es mir natürlich um einen Theaterabend, um das Erlebnis. Dafür kommen die Leute, um den Autor zu hören, den Text zu hören, vielleicht mich zu erleben und das Musikensemble zu erleben. Das ist mir das Wichtigste. Was dann da bei den Zuschauern passiert, ist das nächste, aber ich habe natürlich schon Resonanz bekommen, und das sind Dinge, die mich auch berühren und, und, und. Nein, aber das trägt jeder privat mit sich nach Hause, und was er daraus macht … Wenn er dann der Meinung ist, da müsste was getan werden, dann freut mich das natürlich.

Lesungen in weiteren deutschen Städten stehen an

Scholl: Joachim Król und "Der erste Mensch" von Albert Camus. Die nächsten Lesungen zusammen mit dem Orchestre du Soleil finden in dieser Woche in Stuttgart statt, am Donnerstag und Freitag im Theaterhaus …
Król: Morgen in Freiburg.
Scholl: Morgen in Freiburg, in der nächsten Woche dann in Hamburg und viele weitere Termine.
Król: Dortmund, Düsseldorf.
Scholl: Dortmund, Düsseldorf, in ganz Deutschland. Alles Gute, Joachim Król auch für diese Abende und danke für dieses Gespräch!
Król: Ich habe zu danken!
Scholl: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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