Jesuitenorden ist ein "revolutionäres Element in der Kirche"

Friedhelm Hengsbach im Gespräch mit Ute Welty · 15.03.2013
In der Wahl des Jesuiten Jorge Mario Bergoglio zum Papst erkennt der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach einen Bruch mit dem unabhängigen Charakter der Orden. Deren Mitglieder sollten sich eigentlich nicht in die "verkrustete" und "starre Hierarchie" der Kirche einbinden lassen.
Ute Welty: Sie sind anders als andere Orden: Die Jesuiten tragen keine besondere Ordenskleidung, sie haben kein gemeinsames Chorgebet und sie verpflichten sich durch ein ausdrückliches Gelöbnis zu besonderem Gehorsam gegenüber dem Papst. Wie sehr sich also Papst Franziskus als Jesuit sich selbst verpflichtet fühlt, das wird der 76-Jährige wohl mit sich selber ausmachen, vielleicht auch mithilfe dessen, was er an der Katholischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main gelernt hat. Dort hat Franziskus einen Teil seiner Ausbildung absolviert, und dort hat man die Tatsache seiner Wahl mit großer Aufmerksamkeit und auch mit Freude aufgenommen.

Große Freude also an der Katholischen Hochschule Sankt Georgen. Dort hat auch studiert und später gelehrt der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach. Einen guten Morgen wünsche ich!

Friedhelm Hengsbach: Guten Morgen, Frau Welty, ich grüße Sie!

Welty: Sie und der Papst sind beide Jahrgang 37, Sie sind beide Jesuiten, Sie haben beide eben Sankt Georgen besucht, mal länger, mal etwas weniger lang. Können Sie sich vielleicht besser als andere in Franziskus hineinversetzen, auch wenn Sie sich nie begegnet sind?

Hengsbach: Ja, hineinversetzen kann ich mich eigentlich durch den ersten Auftritt, den dieser Papst, der neue Papst gewählt hat. Er hat ja erst mal in sehr einfacher Kleidung auch deutlich gemacht: Er ist kein Ratzinger zwei – also Spitzenröckchen und rote Schuhe, die kann sich der Modedesigner jetzt erst mal abschminken.

Das Zweite: dass er als Bischof von Rom sich bezeichnet hat. Der Bischof von Buenos Aires wurde gewählt von den Kardinälen als Bischof von Rom. Das bedeutet ja auch, dass er praktisch mit den anderen Bischöfen, mit dem Kollegium der Bischöfe auf Augenhöhe spricht und verhandelt.

Und das dritte Bemerkenswerte ist der Name Franziskus. Es gibt ja eine Anekdote: Franz von Assisi oder Ignatius von Loyola bekommen einen 1000-Euro-Schein geschenkt. Franziskus verbrennt ihn, Ignatius von Loyola investiert ihn in eine Schule. Diese beiden Komponenten, auf der einen Seite das entschlossene Handeln, um etwas strukturell zu verändern, und auf der anderen Seite ein sehr distanzierter und skeptischer Umgang mit Geld und mit Macht – wenn das den neuen Papst auszeichnet durch diesen Namen Franz von Assisi, dann, denke ich, wird der Vatikan im Laufe dieser Legislaturperiode ein anderes Gesicht bekommen.

Welty: Auf der anderen Seite ist Franziskus bisher nicht bekannt für moderne Positionen, eher für sehr konservative. Wenn es sich nicht um den Papst handeln würde, dann könnte man vielleicht von einem Wolf im Schafspelz sprechen.

Hengsbach: Das Entscheidende ist der Lebensstil, diese einfache Art, auch der Kleidung, dann, dass er in Buenos Aires die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt hat, dass er in einer Mietwohnung gewohnt hat und nicht in einem bischöflichen Palast – das zeigt, dass er davon überzeugt ist, dass strukturelle Reformen nicht durch große Theorien, beispielsweise die Theologie der Befreiung, oder durch Strukturveränderungen in erster Linie in Gang kommen, sondern durch eine Änderung des persönlichen Lebensstils.

Das kann glücken, das kann aber auch schiefgehen. Und seine Theorie, also seine Sexualmoral, die scheint ja so verklebt zu sein, wie das bisher immer der Fall war in der katholischen Kirche. Frau Kirchner, die Präsidentin, sagt ja, man hörte das dicke, tiefe Mittelalter aus solchen Erklärungen heraus. Aber ich denke, dass er mit seinem Lebensstil, mit auch seinen pastoralen Akzenten, nämlich eine Option, für die Armen auch zu leben, dass er damit Erfolg haben kann.

Welty: Viel ist schon geschrieben worden über die Rolle von Franziskus während der argentinischen Militärjunta. Wie nehmen Jesuiten das auf in Deutschland oder auch in Südamerika?

Hengsbach: Ich denke, das ist ein Schatten. Die argentinischen Jesuiten sind ja während der Junta ungeheuer gespalten gewesen, weil die Mehrheit der Jesuiten doch sehr stark verfilzt war mit den konservativen und nationalistischen Kräften. Zwei Jesuiten hatten in Favelas gewohnt, sie waren ausgezogen aus dem Jesuitenbogen, könnte man sagen. Und da scheint der Bischof die beiden damals gewarnt zu haben, dass Gefahr droht, unmittelbar vor dem Putsch, aber die sind da geblieben, wurden verhaftet und fünf Jahre lang auch verschwunden im Gefängnis, dann auch ziemlich massiv unter Druck gesetzt und gefoltert. Allerdings wurden sie in ein Flugzeug gesetzt nach fünf Jahren und nach Europa geflogen.

Jetzt kann man natürlich sagen: Hat der Bischof kooperiert, um Leben zu schützen, um Mitbrüder wirklich aus Lebensgefahr zu befreien, oder hätte er besser konfrontativ mit der Junta umgehen sollen? Vielleicht ist das genau das Dilemma, was wir ja auch hier bei Gysi oder bei Globke unter Adenauer oder bei Pius XII. schon kennen. Was macht man in einer solchen Situation, einer solchen gewalttätigen Diktatur?

Welty: "Nie hätten die Jesuiten daran gedacht, dass ein Jesuit Papst werden könnte." Diesen Satz haben wir eben gehört. War das auch Ihre Überzeugung?

Hengsbach: Eigentlich gar nicht, weil ich bin nicht der Meinung, … obwohl: Ich habe auch sehr viele SMS und Nachrichten bekommen, Gratulationen, wie feiert ihr? Die Jesuiten haben gar keinen Grund zu feiern, weil Ordensleute sollen eigentlich ein kritisches und ein eher revolutionäres Element in der Kirche sein und sollen sich nicht einbinden lassen in eine verkrustete oder auch in eine starre Hierarchie einer Männerkirche oder einer Kirche, die praktisch also den herkömmlichen Traditionen und Riten folgt. Das gilt für die Franziskaner, das gilt für die Benediktiner, für die Dominikaner, für die Jesuiten und für die vielen Frauenorden. Sie gehören nicht in das hierarchische System hinein. Und insofern ist das ein eigenartiger Bruch, dass die hierarchische Kirche angewiesen zu sein scheint auf diese belebende Kraft der Orden. Das kann schön sein für die Orden, aber irgendwo ist es ein Bruch mit ihrem eigentlichen Charakter.

Welty: Der Jesuit und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach über seinen Ordensbruder, den neuen Papst. Ich danke Ihnen sehr!

Hengsbach: Bitte schön!

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