Jesmyn Ward: "Singt ihr Lebenden und ihr Toten, singt"

Roadtrip mit Geist

Buchcover "Singt Ihr Lebenden und Ihr Toten, Singt" von Jesmyn Ward, im Hintergrund ein Auto auf einer Straße in New Mexico
Buchcover "Singt Ihr Lebenden und Ihr Toten, Singt" von Jesmyn Ward, im Hintergrund ein Auto auf einer Straße in New Mexico © Antje Kunstmann Verlag / dpa / Florian Breier
Von Gabriele von Arnim · 19.03.2018
Rassismus, soziales Elend und ein Gefängnisgeist – das sind die ständigen Begleiter Jojos in Jesmyn Wards neuem Roman. "Singt ihr Lebenden und ihr Toten, singt" wurde mit dem National Book Award ausgezeichnet. Eine bewegende Geschichte, der etwas weniger Kitsch gut getan hätte.
Mit großartig realistischer Wucht eröffnet Jesmyn Ward ihren neuen Roman: Pop, Jojos Großvater, nimmt den Jungen mit zu den Ziegen, um eine für sein Geburtstagsmahl zu schlachten. Jojo soll ihm dabei helfen. In aller Ruhe erzählt Ward, wie die beiden das tun. Wie sie dort hantieren mitten in Schlamm und Blut und Schleim. Wie die anderen Ziegen angstvoll blöken und der Junge sich am Ende in der Wiese übergibt. Jesmyn Ward, die 30-jährige amerikanische Autorin, hat sowohl mit ihrem Debut "Ruhe vor dem Sturm" als auch mit diesem Buch den prestigereichen National Book Award gewonnen.
Zwei Menschen erzählen uns ihre Geschichte. Jojo, ein 13-jähriger ungewöhnlich einfühlsamer Junge und seine gerade mal 30-jährige, verzweifelte, durchgeknallte und drogensüchtige Mutter. Später mischt sich ein Geist in die Erzählung. Ein Knabe, der auf so grauenvolle Weise ums Leben gekommen ist, dass er im Tod keine Ruhe finden kann, verfolgt Jojo und Pop, mit dem er im selben Strafcamp war. Beide sind schwarz, beide wurden aus nichtigen Gründen von Weißen dorthin verschleppt, beide sind durch einen Mord verbunden.

Mit Ecstasy und spuckendem Kleinkind

Wir sind in Mississippi. Es gibt keine Sklaverei mehr, aber der Rassismus glüht in der Hitze des Südens. Jojo und seine kleine verstörte Schwester Kayle, die unentwegt greint und weint, wohnen bei den Großeltern. Während die Großmutter dahinsiecht an Krebs, kümmert sich der Großvater um die Kinder. Er muss es tun, denn seine Tochter ist in ihrer ungezügelten und ungezielten Lebensgier dazu nicht in der Lage.
Als ihr weißer Liebhaber (und Vater der Kinder) aus dem Gefängnis entlassen wird, nimmt sie Jojo und die Kleine mit auf eine lange unbekömmliche Fahrt in den Norden. Ein Roadtrip mit Ecstasy und Crystal Meth und ewig spuckendem Kleinkind -als etwas überstrapazierter Metapher für den Protest gegen die fahrlässige Mutter.

Hoffnung in der Tristesse

Es ist ein düsteres, ein apokalyptisches Buch über die vielzitierten "Loser" der amerikanischen Gesellschaft. Über Perspektivlosigkeit und kontaminierte Seelen. Ward hat tief hineingeblickt in den Schrecken von Rassismus, Drogen und Kriminalität, die Familien und Gesellschaften zerstören. Schwarze und auch Weiße.
Und obgleich der Roman oft brisant und spannend daherkommt und es Szenen von großer Kraft und Dichte gibt, wird doch auch die Anstrengung spürbar, mit der sich Ward um Originalität bemüht.
Es scheint als vertraue sie hier nicht dem Bann der Einfachheit, mit dem sie in ihrem letzten Roman brillierte. Und so beginnt sie, Geister zwischen die Lebenden einschweben zu lassen, die an entsetzliche Vergangenheiten erinnern und lässt das Ganze kulminieren in einem theatralischen Szenario, in dem Gestorbene und Sterbende und ein Baum voll schauerlicher Geistervögel Jojo und die Seinen traktieren.
Da treffen Drama und Kitsch völlig unnötigerweise aufeinander, denn die Geschichte, die Ward erzählt, ist politisch wie menschlich herzzerreißend. Und die Figur des 13-jährigen Jojo, der so viel fühlt und so viel will und so viel Hoffnung in der Tristesse vermittelt, braucht nicht das Beiwerk der leicht künstlich spukenden Toten, um zu beeindrucken.

Jesmyn Ward: Singt ihr Lebenden und ihr Toten, singt
Roman
Aus dem Englischen von Ulrike Becker
Antje Kunstmann Verlag, München 2018
304 Seiten, 22 Euro

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