Jenseits der Afrika-Klischees

Von Leonie March · 22.07.2012
Einen Einblick in den Alltag des modernen Afrikas gewähren afrikanische Filmemacher momentan beim Internationalen Filmfestival in Durban. Eines der ältesten Festivals in Südafrika, das traditionell Filmen aus allen Teilen des Kontinents einen großen Teil seines Programms widmet.
Das ganze Dorf feiert, singt und tanzt, als Elelwani aus der Stadt zu Besuch kommt. Eine moderne, junge Frau mit einem Stipendium für eine amerikanische Universität in der Tasche. Doch das Fest gilt nicht ihrem Erfolg. Sie soll verheiratet werden, so wie es Kultur und Tradition ihres Volksstamms, der südafrikanischen Venda, verlangen.

Mit einem einzigen Bild verdeutlicht Regisseur Ntshavheni wa Luruli diesen Kontrast: Die sonst so selbstbewusst wirkende Elelwani wirft sich vor den Dorfältesten auf den Boden. Den Blick gesenkt, so wie es von Frauen erwartet wird, lässt sie sich von den Männern begutachten.

"Die Venda sind, wie die meisten afrikanischen Kulturen, sehr chauvinistisch und patriarchalisch. Es war mir wichtig, dass die Zuschauer das schon in den ersten Szenen des Films begreifen, vor allem jene, die nicht mit unseren Traditionen vertraut sind. Bei dem Fest herrscht eine strikte Geschlechtertrennung: Die Frauen tanzen und singen, die Männer trinken Bier und essen. Ein Beispiel für die Regeln, nach denen die Gesellschaft funktioniert, aus der Elelwani stammt und gegen die sie sich auflehnt."

Behutsam entwickelt der südafrikanische Regisseur, selbst ein Venda, den Konflikt der jungen Frau; Ihre Zerrissenheit zwischen Tradition und Moderne, den Erwartungen ihrer Eltern und ihren eigenen Wünschen, zwischen Bestimmung und Selbstbestimmtheit. Erzählt in einfachen, aber eindrucksvollen, teils mystischen Bildern. Die Geschichte nimmt eine überraschende Wendung. Westlichen Zuschauern wird es sicherlich schwerfallen, Elelwani's Rückkehr zu ihren kulturellen Wurzeln nachzuvollziehen. Doch es bleibt ein faszinierender, intimer Einblick in eine unbekannte Kultur.

Eine neue Perspektive auf das Leben und die Probleme junger Afrikaner, eröffnet auch "Nairobi Half Life", der Debütfilm des kenianischen Regisseurs Tosh Gitonga. Sein Protagonist träumt davon Schauspieler zu werden, muss sich aber gleichzeitig als Kleinkrimineller in den Slums durchschlagen.

"'Nairobi Half Life' ist eine Geschichte über zwei Welten, die wirklich in der Stadt existieren. Man geht buchstäblich über eine Kreuzung und befindet sich in einer anderen Welt. Viele wohlhabende Leute haben keine Ahnung vom Alltag in den Slums und umgekehrt. Beide sind sich zwar bewusst, dass die jeweils andere Welt existiert, aber sie wissen eigentlich nichts über das Leben dort. Mir war es wichtig, beide Seiten zu zeigen und zu sehen, wie die Zuschauer darauf reagieren."

Das Publikum bei der Weltpremiere war begeistert: Viele junge Afrikaner erkannten sich und ihre Welt auf der Leinwand wieder, konnten sich mit den Figuren im Film identifizieren. Das ist die Stärke des internationalen Filmfestivals in Durban: Afrikanische Filmemacher erzählen eigene, authentische Geschichten. Den Blick richten sie dabei zunehmend auf aktuelle, gesellschaftliche Fragen und weniger auf die Vergangenheit, betont Festivaldirektor Peter Rorvik:

"Die Bandbreite der Themen ist enorm, vor allem in den südafrikanischen Produktionen. Dabei experimentieren die Filmemacher auch deutlich mehr mit neuen Formen und Genres: Früher dominierten sozialkritische Dramen und Liebesgeschichten, heute jedoch gibt es auch Thriller, Komödien und sogar ein paar Horrorfilme. Für mich ist das ein gutes Zeichen: Es werden nicht nur mehr Filme produziert, die Vielfalt ist auch größer."

Die Kritiker am Kap überzeugt diese neue Entwicklung: Die Weltpremiere des Film Noir "Sleeper's Wake" wurde ebenso in den höchsten Tönen gelobt wie die Komödie "Copposites".

Der Plot ist bestechend einfach: Ein schwarzer Gangster und ein weißer Polizist schlüpfen in die Haut des anderen. Ein rasantes Spiel mit Schwarz-Weiß-Klischees in Hollywood-Manier, mit guten Chancen ein Kassenschlager am Kap zu werden. Humor sei ein guter Weg, um das Publikum zu erreichen, meint Rumbi Katedza, Regisseurin aus Simbabwe, deren Film "Playing Warriors" im Panoramaprogramm des Festivals läuft.

"Es ist viel leichter sich mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen, wenn man sie humorvoll angeht. Man bringt die Leute zuerst zum Lachen und dann zum Nachdenken. In meinem Film geht es um die verbreitete Praxis des Brautpreises in meinem Land, um junge Frauen, die gedrängt werden, früh zu heiraten, statt erstmal Karriere zu machen. Indem wir gewisse Klischees auf die Schippe nehmen, bringen wir auch eine Diskussion in Gang. Kultur ist schließlich dynamisch und vielleicht trägt unser Film ein bisschen zur Veränderung bei."

Die neue Generation afrikanischer Filmemacher scheut sich nicht, Kultur kritisch zu hinterfragen, auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen und neue Wege aufzuzeigen. Ernsthaft bis spielerisch, manchmal verstörend und brutal, jedoch nie mit erhobenem Zeigefinger und stets mit großer Sympathie für die Charaktere.
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