Jemandem die Würmer aus der Nase ziehen …

Von Rolf-Bernhard Essig · 29.08.2008
Diesmal geht es um die Redensarten: Jemandem die Würmer aus der Nase, Jemandem Hörner aufsetzen, Den Stier bei den Hörnern packen, Vom Regen in die Traufe kommen, Aus dem Quark kommen u.a.
Jemandem die Würmer aus der Nase ziehen

Einerseits bedient sich die Wendung der Vorstellung, Gedanken seien eine Art Würmer im Hirn, die man bei langsamen oder schüchternen Personen wie widerstrebende Weichtiere aus der Nase ziehen müsse. Man wusste schon früh, dass die alten Ägypter bei den Mumien das Hirn aus der Nase zogen, was als Vergleich vielleicht auch hineinspielte. Viel wichtiger und entscheidend war die oft geübte Praxis von Quacksalbern auf Jahrmärkten, die gern zu Beginn Kopfschmerzpatienten zu sich auf die Bühne baten, die sie für ihre Operationen aufgebaut hatten. Unter viel Brimborium erzählten sie dem Patienten und den Umstehenden, Kopfwehwürmer wären die Ursache, die man herausziehen müsse. Der Aberglaube, Krankheiten im Kopf würden durch Ungeziefer ausgelöst, war weit verbreitet. Mit einem Instrument stocherte der "Arzt" dann in der Nase herum und praktizierte einen im Ärmel oder in der Hand versteckten Wurm darauf, den er dann stolz vorwies, als hätte er ihn aus der Nase gezogen. Das sah dramatisch aus und lockte weitere Patienten.

Jemandem Hörner aufsetzen

Die Wendung ist in vielen Varianten europaweit bekannt und seit der Antike beliebt, aber eine richtig überzeugende, eine eindeutige Erklärung fehlt bis heute. Das geht schon damit los, dass es manchmal ein Horn nur ist, dann wieder zwei, dass man zwar an einen Stier oder einen Bock denkt, die beide als besonders potent gelten, doch beim betrogene Mann geht es ja darum gerade nicht. Es gibt im Bereich der Artus-Sage eine Treueprobe mit einem Trinkhorn, doch das hätte mit dem Ansetzen von Hörnern nichts zu tun. Die Astrologie wird ins Spiel gebracht, bei der die im Zeichen des Steinbocks Geborenen Unglück erleiden müssen bzw. das Sternbild überhaupt üble Einflüsse habe. Dann machte die Ehefrau durch ihre Untreue den Mann zu einem Unglücklichen, als sei er im Zeichen des Steinbocks geboren. Eine weitere, bessere Erklärung geht davon aus, dass Ziegenböcke es hinnehmen, dass ein Rivale die Ziegen einer Herde decke. Die Frau mache also, wenn sie ihrem Mann betrüge, zum Ziegenbock, der den Ehebrecher zulässt. Das Hörneraufsetzen wäre die symbolische Geste dafür. Die heute noch in Italien und anderen südleuropäischen Ländern sowie Südamerika übliche Geste mit dem erhobenen Zeigefinger und kleinen Finger ist eine schwere Beleidigung, bezeichnet sie den Anderen als "cornuto", also "Gehörnten", gleichzeitig dient sie aber, nach unten oder vor sich gehalten, eine Abwehr übler Mächte oder des Bösen Blicks. Eine letzte These verbindet den Gehörnten mit dem Hahnrei. Das ist ein kastrierter Hahn, dem zur Unterscheidung die Sporen abgeschnitten und in den Kamm gesteckt werden, wo sie dann festwachsen. Der Gehörnte wäre also ein kastrierter und impotenter Mann. Doch ist diese Sitte in der Antike nicht bekannt, wo doch der Spruch schon existierte.

Den Stier bei den Hörnern packen

In gefährlichen Situationen gibt es sehr unterschiedliche Verhaltensformen und -maßregeln. Eine ungewöhnlich mutige ist es, sich offensiv zu verhalten, so, als sei die Situation ein Stier, der einen bedrohe, den man aber mutig von vorne begegne und ihn – auf seine Kraft vertrauend – bei den Hörnern packe, um ihn kirre zu machen. Die Wendung taucht recht spät auf, erst im 19. Jahrhundert, und doch gibt es minoische Darstellungen aus archaischer Zeit, in der Jünglinge und junge Mädchen auf Stiere zulaufen, sie bei den Hörnern packen und elegant das wütende Zurückschleudern des Kopfes als Katapulteffekt benutzen, um sich über den Stierrücken hinwegschleudern zu lassen.

Vom Regen in die Traufe kommen

Es gibt viele Redensarten, die sich mit der Verschlimmbesserung, gerade auch von Situationen beschäftigen, nicht nur im Deutschen. Mir gefällt besonders die englische Wendung gut: "Out of the frying pan into the fire ". So heißt auch ein Kapitel in Tolkiens "Hobbit". Das deutsche Bild überzeugt aber ebenfalls, denn flieht jemand aus dem Niederschlag und rettet sich sinnvollerweise unters Dach. Doch dort, wo er Schutz erhofft, gerät er unter die Traufe. Das ist der Teil der Regenrinne, die den Regen einer ganzen Dachseite konzentriert in einer Schütte ableitet. So steht man nicht mehr Regen, sondern unter einer Sturzflut.

Aus dem Quark kommen

Quark ist ein Synonym für Dreck, Kot, Matsch, in diesem Fall für den zähen Sumpf der einen festhält, aus dem man endlich rauskommen soll. Die Wendung gibt es positiv und negativ, also "Komm endlich aus dem Quark!" oder "der kommt einfach nicht aus dem Quark".

Über einen Kamm scheren

Man denkt vielleicht zuerst an die Schaffur, doch da setzte man keine Kämme ein. Es geht stattdessen um Menschenköpfe.
Der Friseur benutzt noch heute den Kamm, um gleichmäßig die Haare zu schneiden. Die Redensart unterstellt, dass er dabei unterschiedslos vorgeht, wenn er immer denselben Kamm benutzt. Doch das stimmt so einfach nicht, denn er setzt ihn ja variabel ein. Gleichwohl wurde die Redensart schon im 16. Jahrhundert beliebt, um zu beschreiben, dass jemand nach dem Gießkannenprinzip vorgeht. Im Handwerklichen passender ist der Ausdruck "alles über einen Leisten schlagen", bei dem es um den Leisten als Grundform des Fußes geht, die sich von Mensch zu Mensch extrem unterscheidet. Fertigt ein Schuster alle Schuhe nach dem gleichen Leisten an, dann passt nichts recht und die Gleichbehandlung ist eine, die gleich schlecht ist.
Wie der Ochs vorm Berg stehen

Der Ochs gilt insgesamt – wie auch der Esel – als schwer von Begriff, dumm, beschränkt und langsam. In dieser Redewendung zeigt sich besonders deutlich. Sie hängt mit der anderen zusammen, in der die gleiche Desorientiertheit und Ratlosigkeit beschrieben wird: "wie der Ochs vorm neuen Scheunentor". In beiden Fällen überfordert eine ungewöhnliche, veränderte Situation – hier das neue Tor, dort der Berg nach einer flachen Strecke – den Ochsen derart, dass er nicht weitergeht, sich nicht zu helfen weiß und nur noch stumm und dumm starrt.

Heute gilt es als unerhört, den Spruch "Arbeit macht frei" zu verwenden, der als Torschrift des KZs Groß-Rosen, des Stammlagers des KZs Auschwitz, des KZs Sachsenhausen und als Motto über dem Gestapo-Gefängniss in Theresienstadt diente. Die Geschichte des Geflügelten Wortes führt allerdings weit vor die Nazi-Zeit zurück.
Ob Lorenz Diefenbach den Spruch "Arbeit macht frei" wirklich erfunden hat, ist nicht sicher. Er verwendete ihn als Titel seines Romans, der 1872/73 erschien. Im Buch hat die Arbeit – ganz im bürgerlichen Sinne – erzieherisch-rettenden Charakter. Diefenbach konnte jedenfalls auf vielerlei Modelle zurückgreifen, die längst im Umlauf waren wie "Arbeit macht reich." (mit Vorgängern bis zu lateinischen Ursprüngen), "Stadtluft macht frei." und vor allem "Bildung macht frei." Die letztgenannte Wendung erfand – durchaus als Werbespruch verstanden – der Lexikograph Joseph Meyer, der "Bildung macht frei" auf seine "Groschenbibliothek der deutschen Klassiker" als Motto druckte.
Diefenbachs Prägung wurde überaus populär in bürgerlichen und nationalkonservativen, ja reaktionären Kreisen.
Warum die Nazis gerade ihm solche Bedeutung beimaßen, ist nicht mit letzter Sicherheit zu klären. Er hatte offensichtlich nicht nur den Zweck, die KZ-Häftlinge über die "Vernichtung durch Arbeit" hinwegzutäuschen und die Bevölkerung von reinen Erziehungs- und Arbeitslagern zu überzeugen, da das Motto teils innerhalb der Lager angebracht wurde. Gleichwohl konnte es von Häftlingen als Hinweis gelesen werden, dass eine Entlassung möglich wäre, wenn man sich wohlverhielte.

In den Erinnerungen Ruth Klügers liest man, dass andere sprichwörtliche Redensarten in den Baracken durch die Häftlinge selbst angebracht werden mussten, zu denen "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" oder "Leben und leben lassen" gehörte. Ähnlich wie die Torschrift des KZs Buchenwald "Jedem das Seine" verhöhnte man sicher die Häftlinge, erinnerte aber auch die Wachmannschaften an Werte, die als "typisch deutsch" verstanden und gerade von Leuten wie Heinrich Himmler vermittelt wurden, der ja von der größten Heldentat der SS-Angehörigen sprach, trotz blutiger Arbeit "anständig geblieben zu sein".

Jemand ist ein Prügelknabe

Der Prügelknabe wurde in Deutschland zwar vielleicht auch eingesetzt, sicher weiß man es aber nur in einem sehr alten Fall aus dem 13. Jahrhundert, und der ist nur literarisch überliefert. Mit Namen kennt man dagegen die "Wipping Boys" oder "Whip Boys" in England, die offensichtlich Pate standen für den deutschen Ausdruck. Die Pflicht Mungo Murray war es, Schläge des Prinzenerziehers, die eigentlich den jungen Charles I. treffen sollten, zu ertragen, und Barnaby Fitzpatrick wurde gepeitscht anstelle Edvard VI. Auch in anderen Fällen aus Spanien und Frankreich ist überliefert, dass man Knaben anstellte, um die Prügel für hochadlige Kinder oder solche von königlichem Geblüt, die man schlecht schlagen konnte, einzustecken. Gleichzeitig hoffte man natürlich auf den Edelmut der eigentlichen adligen Übeltäter oder königlichen Faulpelze, die es nicht ertragen könnten, schlüge man jemanden wegen ihrer Fehltritte.
In Deutschland wurde der Begriff erst im 19. Jahrhundert wohl durch den Autor Gustav Freytag verbreitet, obwohl die Wendung eigentlich aus dem Ausland übernommen wurde.

Sein(en) Mantel / Mäntelchen in den Wind hängen /die Fahne nach dem Wind drehen

In beiden Fällen denkt man heute an den Wendehals, den Opportunisten, der seine Meinung ebenso rasch ändert, wie der Wind die Richtung, aus der er bläst. Das konnte man auch früher so sehen, und doch gab es eine andere Möglichkeit. Man muss sich in dem Mantelfall einen Menschen in freier Natur denken, der dem widrigen Wind sich nicht unnütz entgegenstemmt, seinen Mantel vom Wind nicht unnötig aufbauschen lässt, vielmehr sich in die Lage findet und sich so dreht, dass der Mantel nicht stört. Dass sich jemand solcherart in die Verhältnisse schickte, empfand man vom späten Mittelalter an bis in die jüngere Vergangenheit als lobenswertes Verhalten. Erst im 19. Jahrhundert verknüpfte man den Mantelspruch mit dem Fahnenspruch. Der bezog sich auf die Wetterfahne auf dem Kirchturm, die ein Spiel des Windes ist und sich ganz nach dessen Einfluss dreht. Jemanden, dessen Meinungen so rasch wechselten wie die Stellung einer Wetterfahne im Wind, verachtete man als Opportunisten. Und das übertrug sich auf die Mantelredensart, die nun allein negativ verstanden wird.

Jemand scharwenzelt herum

Beim Wort "herumscharwenzeln" ist es ein wenig schwierig, weil sich die Sprichwortforschung sehr unterschiedlichen Herleitungsmöglichkeiten gegenübersieht, die alle etwas für sich haben. So könnte es sich um eine Verballhornung des italienischen Wortes "serviente" handeln, das den "Dienenden" bezeichnet. Ähnlich wahrscheinlich ist eine Zusammensetzung aus dem Wort "Schar", das gebräuchlich war, um Zwangsdienste der Bauern für die Adligen zu bezeichnen, und dem verbreiteten slawischen Männernamen "Wenzel". Dann hätte es sich also aus einer Knechtsbezeichnung hergeleitet. Schließlich gab es noch zwei Kartenspielen, bei denen Karten ähnliche Namen trugen. Es wird wahrscheinlich nie zu klären sein, was genau den Ausschlag zur Entstehung dieses Ausdrucks für einen Menschen, der um einen diensteifrig und überhöflich, flirtend und kriechend herumschleicht.

Etwas steht Spitz auf Knopf

Das Fechten steht hinter der Wendung. Die Stichwaffen hatten einerseits eine gefährliche Spitze, andererseits am entgegengesetzten Ende den Knopf, also das verdickte, oft kugelige Schlußstück. In einem Zweikampf konnte es dazu kommen, dass man mit der Spitze bedroht wurde oder mit dem Weisen des Knopfes das Zeichen dafür bekam, den Kampf zu beenden, weil der andere Gnade suchte oder gewährte. So steht die Redensart noch heute für extreme Alternativen, geht es auch meistens nicht mehr um die Frage "Leben oder Tod".