Jeder schmiert

Von Karla Engelhard · 01.03.2012
Obwohl Rumänien seit 2007 Mitglied der Europäischen Union ist, ist die politische Kultur der Moderne noch nicht wirklich im Karpatenland angekommen. Profaner ausgedrückt: es wird geschmiert, was das Zeug hält. Vor knapp einem Monat ermahnte die EU Rumänien deshalb und legte Fördergelder für das Land auf Eis.
Nieder mit der Politik, das ganze System ist korrupt und schmutzig - Nieder mit Allen! Popiger Haudrauf-Protest im Internet - das Musikvideo vom komödiantischen Rumänischen Nachrichtendienst hat mittlerweile Kultstatus in Rumänien. Neben dem Sparkurs der Regierung treibt die Korruption der politischen Elite die Leute auf die Straße.

Im rumänischen Parlament sitzen sechs Abgeordnete, die bereits wegen Korruption verurteilt wurden. Zum Beispiel Serban Mihailescu von den Sozialdemokraten - auch "Mickey Schmiere" genannt - er besorgte unter der Hand elf Jagdwaffen für einen Regierungsvertreter, um seinen Job in einem parlamentarischen Ausschuss zu behalten. Ein Vertreter der regierenden liberaldemokratischen Partei ließ sich eine Villa dafür bauen, dass er Daten im Wirtschaftsministerium fälschte, Wahlkampagnen sollen nachweißlich illegal gesponsert worden sein.

Die rumänische Europa- Parlamentarierin Monica Macovei hat in ihrem Blog im Internet insgesamt 19 mutmaßlich korrupte Abgeordnete aufgelistet, teilweise sind sie verurteilt worden - doch zu milde, meint Macovei:

"Viele Richter betrachten Korruption als nicht besonders schwerwiegende Straftat. Ein Grund könnte Angst vor politischen Sanktionen sein, aber unsere Richter haben durch die jüngste Justizreform volle Unabhängigkeit, sie sind Beamte auf Lebenszeit und haben hohe Löhne."

Korruption ist Alltag in Rumänien, auf allen Ebenen - so sollen zwei Richterinnen Schmuck, Reisen und die Gratisnutzung einer Wohnung in Paris angenommen haben, um Urteile günstig für die Beklagten zu beeinflussen. Florin Pedra, Mitte 30, bald Vater von zwei Kindern, versucht mit drei Jobs die Familie über Wasser zu halten. Korruption ist für ihn Teil des Systems:

"Überall wird geschmiert. Angefangen von Vorstellungsgespräcenh für einen Arbeitsplatz bis zu Behandlung oder Operation im Krankenhaus. Aber es gibt einen verständlichen Grund dafür: die sehr niedrigen Einkommen der Menschen. Wenn jemand ein gutes Gehalt hat, wird er kein Schmiergeld annehmen, weil er es einfach nicht braucht."

Laut jüngsten Umfragen glauben 96 Prozent der Rumänen, dass Korruption zu den schwerwiegendsten Problemen im Land gehört - nur die Griechen sind noch überzeugter davon, dass Korruption ihr Land ruiniert.

Auf die Frage, ob jemand in den letzten 12 Monaten Schmiergeld gezahlt hat, konnte ein Drittel der Rumänen sofort Beispiele präsentieren - wie Raluca Roncea:

"Ich zahle regelmäßig, wenn ich mit meiner herzkranken Mutter zum Arzt gehe. Ohne diese "kleine Aufmerksamkeit" geht nichts. Immerhin gibt es keinen Zwang zu zahlen und jeder schmiert so wie er es sich leisten kann."

Geld, Pralinen oder Eier aus eigener Haltung - alles wird gern genommen. Florin Pedra zahlte vor Kurzem im Rathaus, als er eine Parkplatzgenehmigung für sein Auto brauchte:

"Ich habe schön 'Guten Tag' gesagt und habe neben meinen Antrag einen Briefumschlag mit Geldscheinen auf dem Schreibtisch des Beamten - sagen wir mal - vergessen. Der rief mich kurz darauf hin an und hat mir einen Parkplatz zugewiesen."

Den braucht Florin Pedra auch, denn das Auto muss nun öfter stehen bleiben, gerade im Winter. Der Familienvater steht immer wieder vor der Entscheidung: Sprit fürs Auto oder Heizöl für die Wohnung. Der Sparkurs der Regierung trifft die Mehrheit der Rumänen hart - die Löhne fallen und die Preise steigen. Die neue rumänische Regierung hat Besserung versprochen, Löhne und Renten sollen demnächst wieder steigen. Der junge Premier Ungureanu setzt vergleichsweise auf eine sehr junge Ministerriege: Durchschnittsalter Ende 30. Hoffnungsträger auch für die Demonstranten auf dem Universitätsplatz von Bukarest, die regelmäßig gegen die Sparmaßnahmen und auch gegen die Korruption der rumänischen Eliten demonstrieren:

"Ich habe keine Illusionen, dass plötzlich die Kids auf der Straße eine Wende herbeiführen werden. Dies ist ein Kampf der Ausdauer benötigt. Und ich scheu mich nicht vor dem Vergleich mit der 68er-Generation im Westen, die Europa auch nicht auf einen Schlag verändert hat, sondern nach Jahren. Ich meine, die jungen Leute, die heute demonstrieren, werden morgen Ämter und Funktionen haben, und so Veränderungen bewirken."

Einen Protestsong haben sie schon.
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