Jazzkolumne

Von fallenden Engeln und konzentrischen Kreisen

Gitarre lehnt gegen eine rote Wand
Drei Alben,die die große stilistische Bandbreite zeitgenössischer Jazzmusik veranschaulichen. © imago / Westend61
Von Jan Tengeler · 09.05.2018
Idris Ackamoor bietet kosmische Klänge zwischen Free Jazz und Ethnoklängen. Kenny Barron brilliert erneut als Meister von unaufdringlicher Präzision. Und Marike van Dijk verbindet das Singer-Songwriter-Format mit kammermusikalischer Improvisation.

Idris Ackamoor & The Pyramids: "An Angel Fell"

"Ein Engel fiel vom Himmel, brach sich einen Flügel und lebt jetzt unter uns auf der Erde – aber ich habe ihm nicht geholfen" – so heißt es in dem Stück "An Angel Fell". Idris Ackamoor ist ein in Kalifornien lebender Saxofonist, der seine Band The Pyramids bereits Anfang der 1970er-Jahre gründete. Schon damals standen spirituelle Gesänge, afrikanische Rhythmen und freie Improvisationen im Mittelpunkt. Von der ursprünglichen Besetzung ist nur noch Ackamoor geblieben, der aber auch mit der jüngsten Inkarnation der Pyramids auf vergleichbaren Pfaden wandelt.

Ackamoors freie Saxofonausflüge erinnern an John Coltrane und Pharao Sanders. Dann wieder wabert die Musik zwischen Reggae und verschiedenen afrikanischen Rhythmen entspannt dahin, gespickt mit manch unauffällig-gefälliger Idee.

Etwas Traumwandlerisches, vielleicht sogar "Kosmisches" umgibt das neue Album der Pyramids. Hier geht es nicht um musikalische Perfektion, sondern um einen warmen Puls, der immer wieder vom leidvollen Schrei durchbrochen wird. Das ist ungewöhnlich und eigentümlich charmant.

Kenny Barron: "Concentric Circles"

Nicht ungewöhnlich, sondern stilistisch klar verortet ist die jüngste Einspielung "Concentric Circles" vom Kenny Barron Quintet. Der fast 75-jährige Pianist und Komponist ist ein Urgestein der New Yorker Jazzszene. Als Sideman hat er Musiker wie Dizzy Gillespie und Queen Esther Marrow begleitet, unter eigenem Namen hat er nicht übermäßig oft, aber doch regelmäßig veröffentlicht und so seinen eigenen Klang entwickelt. Der ist geprägt vom Hard Bop der 60er-Jahre. Das ist nahezu formvollendet, Barron ist ein Meister von unaufdringlicher Präzision, als Solist, Komponist und Begleiter. So wird die neue CD zu einem Hörvergnügen, insbesondere, wenn sich Barron seiner Liebe zur brasilianischen Musik widmet. Allerdings bleibt das Album ohne jede Überraschung und man kann vermuten, dass sich das auch im fortgeschrittenen Alter nicht mehr ändern wird.

Marike van Dijk: "Stereography Project"

Songs stehen im Zentrum des "Stereography Project" der niederländischen Saxofonistin Marike van Dijk. Lieder mit Stimmen und Texten, wie hier mit dem Sänger Jeff Taylor. Fünf Jahre ihres Lebens hat Marike van Dijk in New York verbracht, als Jazzsaxofonistin mit einem Faible für einprägsame Songs und ungewöhnliche Stimmen. Zwei von ihnen bilden das Rückgrat für ihre Arrangements, die von einer Art sinfonischen Combo gespielt werden. Neben Taylor ist die französische Sängerin Katell Keineg zu hören.
Auf dem zweiten Album von Marike van Dijks "Stereopraphy Project" gehen Singer-Songwriter Idiom und sinfonisch anmutender Jazz eine ungewöhnliche Symbiose ein. Bläser, Streicher und Rhythmusgruppe sorgen für farbenreiche und durchsichtige Arrangements, die sich nicht in den Vordergrund spielen, sondern im Dienst der Stimme stehen. Dementsprechend stark ist das Album, wenn die Stimme überzeugt: Das tut vor allem Jeff Taylor, Katell Keineg gelingt es nicht immer.
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