Jazz-Neuerscheinungen im Test

Klanglandschaften und lyrische Altersweisheit

Der Jazz-Musiker Bobo Stenson
Der Jazz-Musiker Bobo Stenson © Promo
Von Jan Tengeler · 17.01.2018
Vier Mal Jazz, vier neue Alben, von Kit Downes bis Bobo Stenson - manchmal leicht zu hören, manchmal mühevoll: Jan Tengeler verrät, was sich anzuhören lohnt.

Kit Downes: "Obsidian"

Kit Downes gilt als wichtige Stimme der zeitgenössischen britischen Jazzszene. Warum, das hat er jüngst in verschiedenen Konstellationen beim Berliner Jazzfest gezeigt, dort war er auch als Solist an der Orgel der Gedächtniskirche zu hören. Nun gibt es auch ein ganzes Orgel-Album von ihm: "Obsidian" – so der Titel - ist der Begriff für schwarzes Glas vulkanischen Ursprungs.
Die gleichnamige Einspielung zeigt Downes nun an verschiedenen Orgeln seiner britischen Heimat - mit eigenen Kompositionen und Improvisationen, die eine zarte Kraft ausstrahlen.
Downes sucht weniger die Klangfülle der Orgel, als ihr Flüstern. Das Nachhorchen scheint dabei genauso wichtig wie die aktive Tongestaltung. So entstehen Klanglandschaften, die sich stilistisch zwischen Jazzidiom und Neuer Musik bewegen, Downes selbst erwähnt in diesem Zusammenhang die Improvisationen von Olivier Messiaen.
Ihm gelingt es, jenseits bekannter Kirchenklänge ein Gefühl für Raum und Zwischenraum, für Freiheit und Gebet zu vermitteln.

Lillingers Grund: "Cor"

Es sind Welten, die zwischen den behutsamen Orgeltönen Downes und den kühlen Kompositionen des Schlagzeugers Christian Lillinger liegen. Der in Berlin lebende Musiker ist der Heißblüter einer abstrakten Kunst, die nicht gefallen möchte, sondern den Verstand mit etwas neckt, das der Komponist und Konzeptionalist selbst als hyperrealistischen Sound betitelt.
Der Schlagzeuger Christian Lillinger im Studio von Deutschlandradio Kultur
Der Schlagzeuger Christian Lillinger im Studio von Deutschlandradio Kultur© Deutschlandradio / Annette Bräunlein
Mit "Cor" stellt Lillinger jetzt nicht nur ein weiteres, nämlich das dritte, Album seiner Formation Grund vor, sondern hebt auch sein eigenes Label "Plaist" aus der Taufe. Wenn das Album auch als Grundsteinlegung gedacht ist, dann sind hier Aufnahmen fern des konventionellen Musikgeschmacks zu erwarten, die verdeutlichen, dass Hören manchmal auch mühevolle Kopfarbeit mit ungewissem Ausgang bedeuten kann.

Oddgeir Berg Trio: "Before Dawn"

"Before Dawn" heißt das Debutalbum des norwegischen Oddgeir Berg Trios. Der Pianist ist der Namensgeber der Band und er ist auch für die Kompositionen verantwortlich. Die greifen eine skandinavische Tradition auf, die man von Bands wie dem Esbjörn Svenson Trio oder Jacob Karlzon her kennt: Im Jazz verortete Instrumentalmusik mit Pop-Appeal, einfache, schöne Melodien treffen auf unaufdringliche Klangexperimente.
Das gemeinsame akustische Musizieren wird hin und wieder durch elektrische Hilfsmittel ergänzt und verfremdet. Das funktioniert meistens gut, wirkt manchmal aber etwas bemüht.

Bobo Stenson Trio: "Contra la indecision"

"Contra la indecision" - gegen die Unentschlossenheit - heißt die neue CD des Bobo Stenson Trios. Der schwedische Pianist ist ein Altmeister. Und in diesem Falle bedeutet alt: eine gute Prise Weisheit, ein lyrisches Verständnis, das zu Tränen rührt, Zeit und Ruhe. Außerdem hat Stenson tolle Mitmusiker, insbesondere den grandiosen Bassisten Anders Jormin, der auch als Komponist mehrfach in Erscheinung tritt.
Komplettiert wird das Trio von Schlagzeuger Jon Fält. Gespielt werden neben eigenen Stücken auch klassische Kompositionen, etwa von Bartok und Mompou. Stücke wie "Kalimba Impressions" muten wie ein Ruf aus lange vergangener Zeit von einem lange vergessenem Ort an, andere sind zeitlos-jazzig, manchmal verspielt, meistens ernst.
Immer tragen die Kompositionen die sichere, erfahrene und vor allem schöne Handschrift des Meisters am Klavier.
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