Jazz

Interplanetarische Harmonie

Der niederländische Schlagzeuger Han Bennink
Der niederländische Schlagzeuger Han Bennink spielte 2014 auf dem Moers Festival in Moers. © picture alliance / dpa
Von Christian Werthschulte · 09.06.2014
Das Moers Festival ist eine Institution in der Jazz-Szene. Dieses Jahr fand es erstmals in der neu errichteten Festivalhalle statt und würdigte den Jazz-Pionier Sun Ra. Ansonsten drehten sich die Veranstaltungen um Grenzgängertum zwischen Pop, Jazz und elektroakustischen Experimenten.
"Interplanetary Music, Interplanetary Harmony" – mit einem Auftritt des Sun Ra Arkestras gratulierte das Moers Festival dieses Wochenende dem Jazzpionier Sun Ra zum 100. Geburtstag. Sun Ra, nach eigener Aussage auf dem Saturn geboren, erweiterte das Korsett von Jazz zu planetenumspannenden Musik. Und natürlich verließen auch die Musiker des Sun Ra Arkestras zum Ende ihres Auftritts die Bühne. Aber anstatt in den Weltraum zu entfliehen, nahmen sie ihre Instrumente und wanderten einmal durch quer durch die 2000 Zuschauer, die sich in der Halle im Freizeitpark Moers versammelt hatten.
Der Umzug war ein Gewinn
Eine schönere Taufe hätte sich die neue Spielstätte des Moers Festival nicht wünschen können. Nachdem die Stadt Moers ihre Zuschüsse für das Jazzfestival kürzen musste, zog es dieses Jahr um – vom Festzelt im Schlosspark in eine ehemalige Tennishalle, die eigens für für das Festival umgebaut wurde. Der Umzug war ein Gewinn, meint Reiner Michalke, künstlerischer Leiter des Moers-Festivals.
"Wir sind mehr als zufrieden, nach so langer Planung erstmal pünktlich aufgemacht zu haben, in den Kosten geblieben zu sein und zu spüren, zu erleben und vor Ort dabeigewesen zu sein, das ist schon ein schönes Gefühl. Ich kann in dieser Halle Dinge machen, die ich im Zelt nicht machen konnte. Ein Konzert wie das von Joey Baron und Robyn Schulkowski wäre im Zelt untergegangen."
Seine Einschätzung spricht einen wunden Punkt an. Das alte Festivalzeit hatte eine einmalige Atmosphäre, dem Bühnenklang waren die Zeltplanen aber nicht zuträglich. Das hat sich in der neuen Konzerthalle. Gerade die kleinen, leisen Konzerte wie das Schlagzeugduo von Joey Baron und Robyn Schulkowsky sind jetzt selbst in ihren winzigsten Nuancen zu vernehmen. Aber auch die wenig zimperlichen Free Jazz-Pioniere profitieren von der verbesserten Akustik, zum Beispiel der niederländische Schlagzeuger Han Bennink.
Bennink spielt das Schlagzeug wie ein Programmierer seinen Code manipuliert. Er schlägt mit Zeitungspapier auf sein Drumkit oder stapelt Stühle auf der Bühne, nur um sie möglichst unrhythmisch umfallen zu lassen. Dabei wird er Oscar Jan Hogland mit Barjazz begleitet, den dieser auf einem präparierten Klavier klimpert. Der Auftritt er beiden wirkte wie ein großer Spaß und er erinnerte daran, dass der mittlerweie so maskulin daherkommende Free Jazz seine Wurzeln eben auch in Fluxus und in der Pop Art hat. Zehn Mal hat Han Bennink schon in Moers gespielt, das erste Mal 1972. Was hat sich seitdem geändert?
"Damals war es klein – sehr, sehr klein. Dann wurde es riesig, es war kein Jazz-Festival mehr, sondern einfach nur ein fantastisches Festival. Heute ist ein bißchen wieder so wie es früher war. Und das ist fantastisch."
Gab es in Moers 2014 etwa ein Zurück zur reinen Lehre des Free Jazz, wie Bennink vermutet? Aber selbst wenn dem so wäre, wie sollte diese Lehre aussehen? Der Jazz, der dieses Jahr in Moers zu hören war, wurde ebenso auf der Akustikgitarren wie auf dem Synthesizer gespielt. Und gerade letzteres provozierte Protest – beim Auftritt von Jaki Liebezeit und Markus Schmickler. Nach zwei Stücken schallten den beiden Musikern die einzigen "Aufhören"-Rufe des Wochenendes entgegen. Vielleicht lag es daran, dass das Set von Jaki Liebezeit, der bei hinter dem Schlagzeug saß, und dem Kölner Elektronikmusiker Markus Schmickler ebenso gut auf einem Techno-Festival oder in einem Konzertsaal für neue Musik stattfinden hätte stattfinden können. Dabei sind es gerade Musiker wie diese beiden, die das Moers-Festival auch für ein Publikum jenseits der Jazz-Puristen im besten Alter interessant machen. Und auch an diesem Wochenende vermischten sich die Hornbrillenträger in Skinny Jeans mit den leicht angegrauten Männern in Cargo Pants.
Die Violinistin von Arcade Fire war dabei
Aber auf einen Musiker konnten sich alle einigen: Der Saxophonist Colin Stetson, der gemeinsam mit der Violinisten Sarah Neufeld auftrat. Wenn es ein Konzert gab, das deutlich machte, wie weit der Jazzbegriff in Moers mittlerweile ist und wie nahe die Konzerte dort an Pop-Perfomances gerückt sind, dann dieses. Stetson ist ein Hüne, der seinem Saxophon tiefe, dräuende Drones entlockt. Wie ein Doom-Metal-Stück kreisen diese langsam um ein Grummeln, das sich nicht zwischen Horroreffekt und Kinderlied entscheiden mag. Neufeld dagegen spielt auf ihre Violine kurze Loops, die sich zu feingedrechselten Miniaturen auftürmen. Bekannt geworden sind beide Musiker jedoch mit Rockbands. Colin Stetson tritt mit dem Folksänger Bon Iver auf. Sarah Neufeld ist die Violinistin von Arcade Fire, einer der bekanntesten Bands der Welt.
Mit Mustern, die an die Minimal Music erinnerten, aber dennoch die Affekte zwischen Resignation und kämpferischer Melancholie evozierten, die auch Bands wie Arcade Fire oder die kanadischen Godspeed You Black Emperor! ausmachen, spielten sich Colin Stetson und Sarah Neufeld durch ihr Set. Es war eine Improvisation mit Gefühlen. Dieses Jahr wiesen Sarah Neufeld und Colin Stetson damit dem Publikum des Moers Festivals den Weg in 21. Jahrhundert.