Japans Obst

Fünf bis zehn Euro für eine Erdbeere

Das Bild zeigt Erdbeeren einzeln verpackt.
Japans Obstgeschäfte erinnern uns eher an einen Juwelier: © AFP / Anthony Wallaca
Von Udo Pollmer · 30.06.2017
Japaner lieben ihr heimisches Obst. Manche Früchte erreichen dabei Preise, als würde es sich um Luxusware handeln. Für sie wird in Japan ein unglaublicher Aufwand betrieben. Der sich jedoch auszahlt.
Deutschland blickt bewundernd nach Japan – denn dort werden die Menschen alt und leben in beneidenswertem Wohlstand. Das muss doch an der Ernährung liegen! Mit der gleichen Logik könnten unsere Nordlichter den Süden bestaunen. Vergleicht man den wirtschaftlichen Erfolg Bayerns mit Bremen, dann ist Grünkohl mit Pinkel passé – da gehören Weißwürste auf den Tisch!
Dafür wird an der Küste mehr Fisch gegessen, so wie im meerumschlungenen Japan. Aber genützt hat's anscheinend wenig. Wenden wir uns anderen Speisen zu, um Nippons Erfolg zu deuten. Wie wär's mit Obst? Obst ist in Japan etwas ganz Besonderes. Bis Ende der 50er-Jahre konnte sich das kaum einer leisten. Aufgrund der gebirgigen Lage sind Anbauflächen knapp und wurden nicht für kalorienarme Erdbeeren oder Grapefruits vergeudet. In trockenen, heißen Ländern dient Obst als Flüssigkeitsspender, doch Wasser hat Japan genug.
Inzwischen haben sich in Nippon viele Obsterzeuger etabliert. In den meist kleinen High-Tech-Betrieben wird jedes Pflänzchen einzeln gehegt und gepflegt. Dank Beheizung liefern sie auch im tiefsten Winter Ernten, die Blüten werden oft von Hand bestäubt, die wachsenden Früchte kommen in schützende Taschen, damit die Schale makellos bleibt, ausgefeilte Hormoncocktails und eine exakt ausgetüftelte Kohlendioxidbegasung steuern das Wachstum. Für Färbung und Reife kommen je nach Bedarf UV-Lampen und LED-Licht zum Einsatz, weil man der unsteten Sonne kein Qualitätsprodukt anvertrauen mag.
Japan ist führend im Obstbau. Auch dort, wo die Bäume im Freien stehen, ist die Pflege aufwendig: so werden oft über jede Frucht kleine Sonnenschirme gespannt und unten Silberfolie ausgelegt, damit das Licht möglichst gleichmäßig die Früchte erreicht. Sie werden einzeln am Ast in Netze gepackt, um die Ware nicht wie bei uns unreif ernten zu müssen. Wenn sie vollreif ist, fällt sie ab – und landet unbeschädigt im Netz. Momentan befindet sich der Obstbau allerdings in einer Krise: Knapp 15.000 Treibhäuser und viele offene Anlagen wurden im Mai durch massiven Schneefall schwer beschädigt. Das wird die exorbitanten Preise weiter nach oben schnellen lassen.

Viele Kunden greifen zur billigeren Importware

Japans Obstgeschäfte erinnern uns eher an einen Juwelier: Angefangen vom Ambiente, über die Darbietung jedes Einzelstücks, bis zu den Preisen: 5 bis 10 Euro für eine einzige Erdbeere und 80 bis 400 für eine Melone oder Mango sind nicht ungewöhnlich – jede Frucht wirkt dafür wie gemalt. Sie ist meist groß – japanische Trauben haben den Umfang eines Tennisballs - und schmeckt pappsüß. Dieses Obst hat die gleiche Bedeutung wie bei uns Pralinenschachteln. Nur mit dem Unterschied, dass die Überreichung von Präsenten unverzichtbarer Bestandteil der kulturellen Traditionen Japans ist.
Natürlich greifen viele Kunden auch zur billigeren Importware. Am beliebtesten sind Bananen - von den Philippinen. Denn dort wird im Hochland für Japan eine ganz besondere Sorte angebaut: Sie ist viel süßer und aromatischer als unsere Bananen. Das gilt genauso für andere Früchte. Auch Importobst soll wie ein Dessert schmecken – das deutsche Obstangebot ist ein Zeichen mangelnder Kultur. Nippons Obstforscher nutzen unsere Erdbeersorten nicht mal als Genreserve.
Ein Grund für die Beliebtheit der Banane ist ihre Schale. In Japan beißt man nicht einfach so in einen Apfel, jedes Obst - egal ob Traube oder Pfirsich - wird mit dem Messer geschält und zerteilt, erst dann wird es genossen. Für die Jüngeren, die dafür keine mehr Zeit haben, und die Kleckerei mit dem Saft vermeiden wollen, ist die Banane praktisch – denn sie tropft nicht.
Natürlich wurde auch in Japan geprüft, ob Obst vor Krebs schützt. Das Ergebnis unterscheidet sich nicht von den Studien aus Nordamerika und Europa: Es schützt einfach nicht. Dafür schmeckt es!
Heute werden in Japan pro Kopf um die 50 Kilogramm verzehrt – also weniger als in Deutschland. Vielleicht sind die Japaner deshalb so erfolgreich, weil sie weniger Obst essen, dieses aber mehr Zucker enthält und die Schale im Abfall landet? Mahlzeit!

Quellen:
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