"Ja zu einer Doppelspitze"

Dagmar Enkelmann im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 25.01.2010
Die parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion im Bundestag, Dagmar Enkelmann, schließt eine Kandidatur um den Parteivorsitz nach dem Lafontaine-Rücktritt aus. Sie plädiere für eine Doppelspitze: "Männlein - Weiblein, Ost - West".
Jörg Degenhardt: Auf dem Neujahrsempfang der Linken-Bundestagsfraktion heute im Reichstag dürfte es nur ein Gesprächsthema geben: Oskar Lafontaine. Der krebskranke Saarländer zieht sich aus der ersten politischen Reihe zurück. Die Partei muss nun den Verlust ihres neben Gysi populärsten Politikers verkraften. Aber vielleicht steckt ja in diesem Rückzug auch eine Chance. Jetzt könnte der Streit zwischen den Ost- und den West-Landesverbänden beigelegt werden, dem jüngst noch der Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch zum Opfer gefallen war. Und neue Gesichter, weibliche sogar, könnten in der Partei stärker zum Zuge kommen. Gehandelt wird in diesem Zusammenhang auch der Name von Dagmar Enkelmann, das ist die erste parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion im Bundestag. Guten Morgen, Frau Enkelmann!

Dagmar Enkelmann: Einen recht schönen guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Dann frage ich doch gleich mal das Unvermeidliche: Trauen Sie sich das Amt an der Spitze der Partei zu?

Enkelmann: Also zunächst mal, ich habe ja eine wichtige Aufgabe in der Fraktion, ich bin erste parlamentarische Geschäftsführerin, aber ich glaube, dass die Fraktion künftig eine größere Verantwortung wahrnehmen wird, auch im Zusammenwachsen der Partei, denke ich, da ist mein Platz richtig.

Degenhardt: Das heißt, Sie schließen eine Parteivorsitzende Dagmar Enkelmann definitiv aus?

Enkelmann: Das schließe ich aus, ja.

Degenhardt: Wer könnte denn, wenn nicht Sie, stattdessen in die Fußstapfen von Lafontaine treten, Bodo Ramelow etwa?

Enkelmann: Die Linke hat gutes Personal, das hat sie in den letzten Jahren auch gezeigt, es gibt eine ganze Reihe von hervorragenden Bundespolitikern, aber auch Landespolitikern, insofern werden wir, denke ich mal, eine gute Auswahl haben.

Degenhardt: Also Bodo Ramelow wäre da durchaus einer der Kandidaten, der in die engere Wahl käme, der Thüringer?

Enkelmann: Bodo Ramelow ist Fraktionsvorsitzender in Thüringen, macht dort seine Arbeit sehr gut, aber auch Bodo Ramelow hat durchaus gute Chancen, auch weiter in der Bundespolitik mitzumischen.

Degenhardt: Lafontaine will ja, dass die Doppelspitze beibehalten wird. Wollen Sie das auch? Und gleich dazu die nächste Frage, weil sie dazu passt: Braucht es noch die doppelte Quotierung, also eine Spitze aus Mann und Frau sowie aus Ost und West?

Enkelmann: Also ich gehöre zu denen, die ganz klar sagen Ja zu einer Doppelspitze – Männlein, Weiblein, Ost, West. Gerade die letzten Wochen haben gezeigt, dass es doch noch erhebliche Befindlichkeiten auch zwischen Ost und West gibt, und ich denke mal, dass man das ausgleichen kann an der Spitze, indem man dort tatsächlich eine Doppelspitze einrichtet.

Degenhardt: In diesem Zusammenhang noch zu einer anderen Personalie: Gregor Gysi hatte sich ja unlängst noch auf die Seite von Oskar Lafontaine und gegen den Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch gestellt. Ist er durch die Entscheidung Lafontaines, durch seinen Rückzug jetzt in der Partei in einer, ich sag mal, geschwächten Position?

Enkelmann: Gregor Gysi jetzt?

Degenhardt: Ja.

Enkelmann: Na, Gregor Gysi ist jetzt in einer sehr starken Position, weil er eine ganz schwierige Aufgabe übernommen hat, nämlich jetzt dafür zu sorgen, dass wieder Ruhe einkehrt, dass ein Personaltableau vorbereitet wird für den Parteitag, dass wir tatsächlich wieder in ein Fahrwasser gelangen, wo wir sagen können, so, wir machen Inhalte, wir machen Politik, und dass gemeinsam Fraktionen, Partei. Und insofern ist er in einer gestärkten Position eher.

Degenhardt: Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden. Das heißt, durch den Rückzug Lafontaines von der Spitze der Partei ist jetzt die Chance da, dass wieder Ruhe in die Partei einzieht?

Enkelmann: Nein, das habe ich natürlich damit nicht gesagt, aber natürlich gab es Unruhe in den letzten Wochen. Das hatte mit Oskar Lafontaine relativ wenig zu tun, sondern es hatte etwas damit zu tun, dass in der Partei ein Vakuum entstanden ist, ein Führungsvakuum, weil leider auch der Parteivorstand nicht in der Lage war, sozusagen das auch auszufüllen und zu sagen, gut, der Parteivorsitzende ist krank, wir müssen jetzt in die Bresche einsteigen, wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die Partei auch weiter ihre Arbeit macht. Das ist leider nicht gelungen, insofern ist es schon notwendig, zu einem Personaltableau zu kommen, die also hier auch wieder, ich sag mal, Politik machen.

Degenhardt: Aber bekommen jetzt nicht die Pragmatiker, also die Anhänger des gerade geschassten Bartsch wieder Oberwasser?

Enkelmann: Also wer hier Oberwasser bekommt, ich hoffe, dass wir eine Kultur der Auseinandersetzung hinkriegen, in der sozusagen auch Programmdiskussion möglich ist, in der es vorwärts geht, in der wir auf brennende Fragen, die gegenwärtig anstehen, auch Antworten finden. Momentan ist die Linke da zu wenig erkennbar mit ihren politischen Ansätzen, und das muss anders werden.

Degenhardt: Aber Sie haben doch verschiedene politische Ansätze. Sie haben doch auf der einen Seite – ich sag es noch mal – die Pragmatiker um Bartsch, das sind die Ostverbände, und Sie haben, etwas vereinfacht gesprochen, die Ideologen in den West-Landesverbänden. Dieser Graben ist doch nach wie vor da.

Enkelmann: Das ist aber sehr vereinfacht, denn schauen Sie mal auf die Arbeit der Landtagsfraktionen in den westlichen Bundesländern, die machen eine ganz tolle Arbeit in Hamburg und in Schleswig-Holstein. Also die werden da durchaus wahrgenommen, die haben Akzeptanz gewonnen, auch durch die Arbeit im Landtag, durch sehr pragmatische Arbeit, aber durch alternative Vorschläge. Es ist kein Ost-West-Konflikt, sondern es ist eine Auseinandersetzung, die wir in jeder Partei haben, dass um programmatische Fragen gerungen wird. Und deswegen müssen wir sehr schnell tatsächlich zu unserer Programmdiskussion kommen. Wir müssen dazu kommen, aus den programmatischen Eckpunkten, die wir ja haben, die ein Parteiprogramm sind, aber wirklich ein Grundsatzprogramm dieser Partei zu machen, das Bestand hat, über 10, 15 Jahre.

Degenhardt: Auch weil Sie jetzt vielleicht eher ein Bündnis mit der SPD anpeilen können, wo ein möglicher Hinderungsfaktor, nämlich Lafontaine, weg ist?

Enkelmann: Also wir wollen politische Mehrheiten, um einen politischen Wechsel zu erreichen ...

Degenhardt: Also auch mit der SPD und den Grünen?

Enkelmann: Und hier geht es ... Also das wären eher die Partner, aber hier geht es nicht um Personalien, hier geht es um Inhalte. Und da wird sich zeigen, ob die SPD in der Lage ist, tatsächlich auch ihre eigene Politik zu verändern, auch infrage zu stellen, sei es Hartz IV, die Agenda 2010, sei es die Rente ab 67, sei es der Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Hier sind erste Ansätze erkennbar, dass die SPD wieder zu ihren alten sozialdemokratischen Traditionen möglicherweise zurückfindet, aber da ist noch viel Arbeit zu leisten.

Degenhardt: Dagmar Enkelmann, die erste parlamentarische Geschäftsführerin der Linken im Deutschen Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag, Frau Enkelmann!

Enkelmann: Ja, das wünsche ich Ihnen auch!
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