Ja-Wort

Ohne den Segen der Kirche

Wehende Regenbogenflaggen auf einer Demonstration.
Regenbogenflaggen auf einer Demonstration für die Rechte von Homosexuellen. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Jochen Spengler  · 24.03.2014
Hitzige Debatten um die Homo-Ehe wurden letztes Jahr in Großbritannien geführt. Ab dem 29. März können nun erste Trauungen vorgenommen werden. Hürden gibt es noch für Paare, die schon eine eingetragene zivile Partnerschaft führen.
Paul und Michael Atwal-Brice wollten zu den ersten gehören, die sich das Ja-Wort geben. Beide leben in einem schmucken Backsteinhaus in der Nähe von Doncaster, in der mittelenglischen Provinz, einem früheren Kohlerevier.
"Wir waren begeistert, wie alle schwulen Paare, absolut begeistert. Großartige Neuigkeiten, endlich."
Sagt der 36-jährige Paul, dem man ansieht, dass er aus dem Showbusiness kommt. Drahtig, knallweiß gebleachte Zähne, gebräunte Haut und glänzend gegelte schwarze Haare zur Elvis-Tolle geformt. Paul ist professioneller Tänzer und in Theatern, auf Kreuzfahrten und in Amerika aufgetreten. Bei einem seiner Auftritte 2002 haben sich beide ineinander verliebt. Michael ist sieben Jahre jünger, kräftiger und wirkt bodenständiger als Paul. Er hat als Einzelhandelskaufmann in einem großen Supermarkt gearbeitet. Aber auch Michaels Zähne strahlen weiß und seine braunen Haare sind im 50er-Jahre-Stil der Teds seitlich kurz und oben als Tolle nach hinten gekämmt.
Michael: "Ja, und wir haben schon Vorbereitungen getroffen. Wir haben einen Fotografen gebucht, Kuchen bestellt, Anzüge und solche Dinge."
Paul: "Wir haben uns schon zwei mögliche Hochzeitsorten angeschaut, die Autos. Märchenhaft, Darling, märchenhaft sollte es sein, wir wollten eine riesige Feier. Vergiss nicht, wir haben jetzt unsere eigenen Kinder und wollen, dass auch sie Teil dieses Tages werden. Denn als wir 2008 die zivile Partnerschaft eingegangen sind, waren wir keine Eltern. Aber jetzt sind wir Eltern."
Seit fast sechs Jahren sind Paul und Michael ein eingetragenes Paar. Sie würden sich zwar nicht Händchen haltend in ein Fußballstadion wagen, aber hier in dieser Arbeitergegend schaue sie niemand mehr schief an – England sei im letzten Jahrzehnt sehr viel liberaler geworden, sagen sie. Und so spielte auch für die Gemeinde weder ihre sexuelle Orientierung eine Rolle noch war die eingetragene Lebenspartnerschaft Voraussetzung dafür, dass sie die beiden Zwillinge Levy und Lucas adoptieren konnten. Dass es sich um einen Haushalt mit Kindern handelt, das machen die vielen Bilder, die Hochstühle und Spielzeuge im modern eingerichteten Wohnzimmer deutlich. Die beiden Jungen sind heute acht Jahre alt, man habe sie Ende 2008 bekommen, erzählt Michael:
Michael:"Bei beiden wurde eine generelle Entwicklungsverzögerung diagnostiziert, sie schienen insgesamt etwas zurückgeblieben mit der Sprache zum Beispiel, aber von Epilepsie war keine Rede. Das kam später, da hieß die Diagnose schwere Epilepsie und schwerer Autismus. Sie haben so viele Arzttermine. Damals habe ich noch gearbeitet, aber das war dann nicht mehr möglich."
Paul (links) und Michael Atwal-Brice
Paul (links) und Michael Atwal-Brice© Deutschlandradio / Jochen Spengler
Heirat in der Church of England tabu
Paul und Michael leben heute von ihren Ersparnissen und von befristeten Jobs. Paul musste seine regelmäßigen Tanzengagements weitgehend aufgeben, obwohl Levy und Lucas bis zum frühen Nachmittag in eine Spezialschule für geistig Behinderte gehen.
Paul: "Das ist schon hart, aber wir würden nichts ändern. Sie sind nun einmal, wer sie sind. Und wir sind die Verpflichtung gegenüber den Kindern eingegangen und auch wenn sie Schwierigkeiten haben, spielt das keine Rolle; sie bleiben unsere Kinder. Und wir wollen für sie einstehen so gut wir können. Wir wollten immer selbst Eltern sein, auch weil ich selbst adoptiert worden bin."
Hätte das Paar schon 2008 heiraten dürfen, hätte es dies getan, sagt Michael. Und am liebsten auch in der Kirche, ergänzt Paul. Beide halten sich für religiös.
Paul: "Gleichgeschlechtliche Paare können nicht in der Church of England heiraten. Für uns als homosexuelles Paar ist das himmelschreiend. Das sagt, dass wir Bürger zweiter Klasse sind. Die Church of England repräsentiert die Queen, die königliche Familie. Und sie sagen gleichgeschlechtliche Paare dürfen nicht in unseren Kirchen heiraten. Warum nicht?"
Immerhin aber gibt es nun die Chance für Schwule und Lesben in England und Wales überhaupt zu heiraten, wenn auch nicht in der Kirche. Und klar ist für Michael, dass er diese Chance nicht verstreichen lassen will.
"Es ist schon eine speziellere Verpflichtung. Wenn es die Möglichkeit zur Ehe damals gegeben hätte, hätten wir geheiratet. Wir wollten die Ehe vom ersten Tag, aber es gab nie die Option. Nun gibt es sie ab Ende März."
Allerdings doch noch nicht für Paare wie Paul und Michael. So sehr sie sich auf die neue Möglichkeit gefreut hatten, desto größer war die Enttäuschung, als sie sich bei der Standesbeamtin für die Eheschließung registrieren lassen wollten.
Paul: "Sie sagte uns, oh, sie können nicht heiraten. Sie müssen erst ihre zivile Partnerschaft auflösen. Und ich sagte, okay, wie machen wir das? Sie brauchen einen gültigen Grund für die Scheidung. Und ich antwortete, nun – wir wollen heiraten, das ist doch Grund genug. Und sie sagte: Nein. Das wird nicht als ausreichender Grund anerkannt."
Tatsächlich hat der englische Gesetzgeber einen Fehler gemacht, den die Schotten in ihrem etwas später auf den Weg gebrachten Same-Sex-Marriage-Gesetz vermieden haben, nämlich: die Umwandlung der zivilen Partnerschaft in eine Ehe klar zu regeln. Weswegen nun ausgerechnet jene gleichgeschlechtlichen Paare in England und Wales, die ihre Beziehung wie Paul und Michael registrieren ließen, länger auf die Ehe warten müssen als Schwule oder Lesben ohne eine solche Bindung. Länger warten heißt mindestens bis Ende des Jahres, lautet die Auskunft der Regierung an die Anwälte des Paares, die eine Klage prüfen.
Pferdefuß der zivilen Partnerschaften
Michael: "Wir sind sauer auf die Regierung, weil sie diesen Fehler gemacht haben. Sie hätten alles berücksichtigen müssen und wenn man etwas anpackt, dann sollte man es richtig machen. Nun warten wir darauf, dass sie das Datum bekannt gibt, wann zivile Partner heiraten können. Sie sagt, möglicherweise am Jahresende, daran arbeiten wir hart, aber sie haben noch keinen konkreten Termin festgelegt."
Paul: "Das ist alles, was wir jetzt wollen. Dann können wir planen und wir werden noch am selben Tag dort sein."
Die älteste Hilfsorganisation für die Rechte der Schwulen und Lesben in Großbritannien residiert nahe dem Londoner Bahnhof King’s Cross in einer einstöckigen Ladenzeile hinter einer unscheinbaren Fassade. Violett gestrichen sind Schaufensterrahmen und Tür, die nur von innen zu öffnen ist. Darüber ein Schild: London Friend.
Monty Moncrieff ist seit eineinhalb Jahren Geschäftsführer von London Friend und schon seit 20 Jahren in der LGBT Bewegung, die für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen streitet.
"Wir hatten die Diskussionen schon vor fast einem Jahrzehnt, die zur Einführung der zivilen Partnerschaften geführt haben, die gleichgeschlechtlichen Paaren gesetzliche Anerkennung gab, die Menschen konnten ihre Beziehung registrieren lassen, und so auch eine Menge jener Vergünstigungen erhalten, die ein verheiratetes Paar bekommt. Aber es war nicht derselbe Status einer Beziehung wie die Ehe, sondern ein anderer."
Und eben das sei der Pferdefuß an den zivilen Partnerschaften, die man seit 2005 in Großbritannien schließen kann, erklärt Monty Moncrieff. Er hat ein rundes Gesicht mit Vollbart, Glatze und freundlichen braunen Augen. Seine kräftigen Oberarme zeigen, dass der 43-Jährige regelmäßig ein Kraftstudio besucht. Der homosexuelle Geschäftsführer von London Friend ist derzeit nicht liiert und er würde eine zivile Partnerschaft der Ehe vorziehen. Aber nicht alle denken so.
"Die Menschen haben nicht nur für irgendeine gesetzliche Anerkennung ihrer Bindung gekämpft, sondern für die gleiche. Das ist sehr wichtig für gleichgeschlechtliche Paare, mit der Ehe dieselbe Art von Beziehung führen zu dürfen, dasselbe legale Gebilde wie heterosexuelle Paare. Es ist wichtig, dass es ebenso genannt wird."
Solange zwischen Ehe und ziviler Partnerschaft unterschieden werde, solange sehe die Gesellschaft die Beziehungen zwischen zwei Lesben oder zwei Schwulen als etwas Ungewöhnliches, vielleicht sogar Minderwertiges an.
"Wir reden über gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Wenn wir die Homo-Ehe nennen, schon dann grenzt man sie schon wieder ab vom traditionellen Konzept der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau. Der Begriff Same Sex Marriage ist weniger ausgrenzend. Aber längst nicht alle in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft würden sich selbst als homosexuell oder lesbisch bezeichnen, zum Beispiel Bisexuelle. Es wäre deshalb wichtig, den Begriff 'equal marriage' zu benutzen, ebenbürtige Ehe. Wir möchten, dass die Ehe denselben Status hat, ob nun das Paar heterosexuell oder homosexuell ist. Es ist diese Gleichberechtigung, diese Parität des legalen Status, den die Menschen anstreben."
Nick Clegg, Parteichef der Liberaldemokraten in Großbritannien bei einer Rede vor dem Banner seiner Partei.
Nick Clegg, Parteichef der Liberaldemokraten, die zuerst die gleichgeschlechtliche Ehe forderten.© AP
Erhört wurden sie von der konservativ-liberalen Regierungskoalition, die seit 2010 in Großbritannien regiert. Diefordern zuerst die gleichgeschlechtliche Ehe. Parteichef Nick Clegg versichert vor seinen Parteifreunden:
"Wenn Du eine junge homosexuelle Person bist – dann ist deine Freiheit, den zu lieben, den Du willst, ein grundlegendes Recht in einer liberalen Gesellschaft und Du wirst dafür immer unsere Unterstützung haben."
So richtig Fahrt nimmt die Debatte um ein Gesetz zur Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe aber erst auf, als sich auch der konservative Premierminister dazu bekennt. Im Herbst 2011 erklärt David Cameron auf der Herbstkonferenz seiner Partei:
"Konservative glauben an Beziehungen, die uns aneinander binden. Daran, dass die Gesellschaft stärker ist, wenn wir uns gegenseitig verpflichten und helfen. Deswegen unterstütze ich die gleichgeschlechtliche Ehe - nicht, obwohl ich ein Konservativer bin, sondern weil ich ein Konservativer bin."
Ein Standpunkt, der nicht von jedem geteilt wird. Lord Tebitt etwa, Kabinettsmitglied unter Margaret Thatcher bestreitet vehement, dass es eine Diskriminierung von Homosexuellen überhaupt noch gebe, die ein solches Gesetz beseitigen könne.
"Die Rechte eines homosexuellen Mannes sind mit meinen Rechten identisch. Wir sind beide frei, eine Frau zu heiraten. Weder er noch ich dürfen einen anderen Mann heiraten. Unsere Positionen sind identisch."
Der konservative und katholische Oberhaus-Abgeordnete Lord Deben dagegen glaubt zwar nach eigenen Worten persönlich an die traditionelle Ehe, will sie aber nicht der gesamten Gesellschaft vorschreiben.
Kirchen des Landes wehren sich nach Kräften
"Die wissenschaftlichen Erkenntnisse haben sich verändert. Wir wissen jetzt, dass Homosexuelle nur vom eigenen Geschlecht angezogen werden, es sind keine Heterosexuellen, die sich falsch verhalten, sondern Homosexuelle, die sich natürlich verhalten. Unter solchen Umständen hat der Staat kein Recht ihnen zu sagen: Wir behandeln Euch nicht wie gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft."
Vor allem die führenden Kirchen des Landes wehren sich nach Kräften. Besonders die Katholische Kirche versucht mit Hirtenbriefen ihre rund sechs Millionen Gläubigen zu mobilisieren. Starke Worte findet der Vorsitzende der schottischen katholischen Bischofskonferenz Kardinal Keith O’Brien:
"Wenn das Vereinigte Königreich die gleichgeschlechtliche Ehe einführt, dann ist das eine Schande für unser Land. Wir versuchen Standards umzudeuten, die nicht nur die eigenen sind, sondern die wie die UN-Menschenrechtscharta, Ehe als Beziehung zwischen Mann und Frau festlegen. Wir definieren etwas, das seit Jahrhunderten verehrt wird, neu und machen daraus etwas anderes."
Vor einem Jahr musste Kardinal O’Brien von allen kirchlichen Ämtern zurücktreten – wegen sexueller Belästigung mehrerer junger Priester. Doch im Einsatz gegen die Homo-Ehe stehen ihm anglikanische Amtskollegen wie Stephen Croft, Bischof von Sheffield, nicht nach:
"Ehe ist als Teil der Lehre der Church of England die Vereinigung zwischen einem Mann und einer Frau. Es gibt momentan nicht so etwas wie eine zivile und eine davon unterschiedene religiöse Ehe – es gibt nur die eine Ehe. Und deswegen wäre es wirklich eine grundsätzliche Veränderung der Ehe, so wie sie jeder versteht."
Im Frühjahr 2013 endet die hitzige Auseinandersetzung in Großbritannien. Erst stimmt das Unterhaus mit einer überwältigenden Mehrheit von 366 zu 161 Stimmen für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe und im Juni zieht auch die zweite Parlamentskammer, das House of Lords, nach. Auch die Bevölkerung ist mehrheitlich dafür und im Dezember kündigt die Regierung an, dass ab dem 29. März 2014 die ersten Trauungen vorgenommen werden können.
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