J. M. Coetzee: "Die Schulzeit Jesu"

Eine weltliche Bibelgeschichte

 Buchcover "Die Kindheit Jesu" von J.M. Coetzee / im Hintergrund: eine Wüstenlandschaft.
Hauptfigur in "Die Kindheit Jesu" ist ein Junge namens David - trotzdem drängen sich Parallelen zur Bibel auf. © S. Fischer / imago
Von Edelgard Abenstein · 23.02.2018
Mit "Die Schulzeit Jesu" setzt der südafrikanisch-australische Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee seine Jesus-Trilogie fort. Seine Romane gelten als dunkel und rätselhaft. Diesmal gibt es aber auch immer wieder hochkomische Passagen.
Jesus? Der aus der Bibel? Fehlanzeige! Jesus taucht in dem ganzen Buch kein einziges Mal auf. Jedenfalls nicht namentlich. Stattdessen erzählt J. M. Coetzee vom sechsjährigen David: Als Waise ist er mit dem Schiff in einem namenlosen Land angekommen, zugleich mit Simon, einem Mittvierziger, der sein Ersatzvater wird. Später stößt noch Ines dazu, die die Mutterrolle übernimmt.

Was das Trio, in dem Land, in dem man "von Erinnerungen" an ein Früher "reingewaschen" wird, erlebt, davon handelt Coetzees letzter Roman "Die Kindheit Jesu". Man muss diesen ersten Teil aber nicht kennen, um nun in den zweiten einzusteigen, denn "Die Schulzeit Jesu" bietet dem Leser ausreichend Rückschauen.
Da eine Volkszählung droht, fliehen die drei Protagonisten in die Provinz. Dort weiß man sich vor staatlichem Zugriff sicherer, zumal dem hochbegabten und renitenten Kind in der Hauptstadt die Einweisung in eine Erziehungsanstalt blühen könnte. Auf dem Land findet sich für David dann eine passende, musische Schule. Eine mysteriöse Tanzakademie, geleitet von der bildschönen Ana Magdalena und deren Mann, einem begnadeten Komponisten. Auch ein düsterer Museumswärter tritt auf den Plan, der in glückloser - oder doch glücklicher? - Liebe zur Hausherrin entbrennt.

Ein ganz schön nerviger Sohn

J. M. Coetzee, der südafrikanisch-australische Literaturnobelpreisträger und Autor von gut dreizehn Romanen, schildert das Geschehen aus der Perspektive Simons. Er ist ein Mann der Ratio, ein Held der Pflicht, der sich gewissenhaft seinem selbstgestellten Erziehungsauftrag unterwirft. In endlosen, immer wiederkehrenden Schleifen von Warum-Fragen werden zwischen "Vater" und "Sohn" Gott und die Welt erörtert, die Liebe, das All, der Sex, die Sehnsucht.
Gar keine einfache Aufgabe: Das Kind ist störrisch, eigensinnig, und furchtbar altklug. Es weiß einfach alles besser als seine Altersgenossen: dass man Enten nicht mit Steinen bewirft, dass Zahlen von den Sternen kommen und Geburtstagsgeschenke am besten nach der Party ausgepackt werden. Jeden informiert es darüber, dass es gar nicht David heißt und seine Eltern gar nicht seine Eltern sind. David gehört zu genau der Sorte Kind, die einem unheimlich auf die Nerven geht. Man muss schon mit der geradezu sprichwörtlichen Geduld eines Engels gesegnet sein, auch als Leser, um nicht aufzugeben.

Anspielungen auf die Bibel

Doch streut Coetzee, der ja als schwierig, vergrübelt, dunkel, rätselhaft gilt, immer wieder auch hochkomische Passagen in seinen Text ein: wenn er das Genre der Biografie parodiert. Oder er, nachdem ein Mord passiert ist, den geständigen Täter in einer bizarren Gerichtsverhandlung Schuld und Sühne durchdeklinieren lässt, als handelte es sich um ein ins Absurde gedrehtes Stück von Dostojewski.
Natürlich gibt es zahlreiche Anspielungen auf die Bibel samt wörtlichen Zitaten ("wo du hingehst, will auch ich hingehen!"). Und natürlich zeigt Coetzee jenseits eines platten Naturalismus modellhafte Situationen auf. Man kann das auch als Parabel auf die spitzfindige Idee lesen, dass man in seinem Leben ganz zufällig gelandet ist. Es könnte auch ein ganz anderes sein. Wenn auch nicht unbedingt das eines Religionsgründers.

J. M. Coetzee: "Die Schulzeit Jesu", Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018, 318 Seiten, 22 Euro

Mehr zum Thema