J.Lecomte: "Der Welt geht es besser, als Sie glauben"

Betulich, pastoral, oft bestürzend naiv

Buchcover: Jacques Lecomte: "Der Welt geht es besser, als Sie glauben. 50 Gründe, Optimistisch zu sein"
Philosoph Jacques Lecomte predigt Optimismus – an der Grenze zur unfreiwilligen Komik. © imago / Gütersloher Verlagshaus
Von Martin Tschechne · 14.07.2018
Armut, Hunger, Terror und Klimawandel? Halb so schlimm: Der Welt geht es besser, als Sie glauben! Das behauptet der französische Psychologe Jacque Lecomte. Vor lauter Optimismus bringt er aber ein paar Dinge durcheinander.
Es gibt einen Witz in der Psychologie, einen der derberen Art. Darin geht es um einen Mann, der ein unangenehmes Problem hat: Manchmal schafft er es nicht mehr bis zur Toilette. In seiner Not bittet er einen Psychologen um Hilfe. Einige Zeit später trifft er einen Bekannten. Der erkundigt sich voller Mitgefühl – worauf der Mann antwortet: Nein, also im Grunde habe sich nichts geändert. Aber inzwischen sehe er sein Problem in einem anderen Licht. Inzwischen sei er stolz darauf.
Wer sich zur Schule der positiven Psychologie zählt, der muss solche Witze über sich ergehen lassen. Die Welt ist böse und verschlagen. Das ahnt schon, wer auch nur einen flüchtigen Blick in die täglichen Nachrichten wirft. Und dann melden sich die Terrorexperten, Geostrategen und Umwelt-Apokalyptiker und ziehen aus jedem Rumpeln der Zeitläufte eine gerade Linie bis in den Weltuntergang. Offen ist eigentlich nur noch der genaue Termin.

Die Misere der Welt auch mal positiv sehen

Auf diese Bühne nun tritt der Franzose Jacques Lecomte und schlägt vor, die ganze Misere einfach mal von der anderen Seite zu betrachten:
"Zu behaupten, der Welt gehe es besser, als wir glauben, bedeutet nicht, dass es ihr gut geht. Aber realistisch zu sein, bedeutet auch, die bereits zurückgelegte Wegstrecke zu ermessen und die Menschheit zu ermutigen, die nötigen Maßnahmen fortzusetzen, denn es bleibt ja noch eine Menge zu tun! Daher ist Optimismus so wichtig."
Betulich, pastoral, oft bestürzend naiv: Das ist der Ton des Buches, mit dem der Psychologe, früher Dozent an der Katholischen Universität Paris, seinen Lesern Mut machen will. Friede, Freude, Fortschrittsglauben. Lecomte versucht, die großen Probleme der Gegenwart in ihr rechtes Licht zu rücken, Hunger und Armut, Krankheiten, die Bedrohung der Natur, Krieg, Terrorismus und Kriminalität, indem er jeden Katastrophen sein eigenes Erlösungsszenario entgegenstellt: Nein, die Welt werde nicht an Überbevölkerung zugrunde gehen. Ja, die Politik habe kluge Konzepte entwickelt und umgesetzt. Und nein, auch CO2-Belastung und daraus folgender Klimawandel führten nicht schnurstracks in den Untergang:
"Die Effizienz der Erneuerbare-Energien-Technologie hat sich in den letzten Jahren wesentlich verbessert, wodurch sie immer attraktiver werden. Ein 2015 von der französischen Umwelt- und Energiebehörde veröffentlichter Bericht bestätigt, dass Frankreich bis zum Jahr 2050 seinen gesamten Elektrizitätsbedarf durch erneuerbare Energien decken könnte, wobei die Kosten vergleichbar mit denen der Kernenergie wären. Innovationen wie etwa die biegsamen Solarpaneele, die die französische Firma Armor entwickelt hat, dürften die Verbreitung dieser Energien in den nächsten Jahren vermutlich noch beschleunigen."

Schuld an schlechten Nachrichten sind: die Medien

Was sich liest wie die Werbebroschüre eines französischen Solarzellenherstellers, ist tatsächlich Lecomtes Antwort auf eine Energiepolitik, die Kernenergie und fossile Brennstoffe immer noch massiv fördert. Beruhigend vielleicht, dass er viele seiner Kapitel mit der Bemerkung schließt: Vorsicht ist weiterhin geboten. Wir wollen ja nicht vorzeitig in Freudentaumel verfallen.
Beunruhigend aber, dass er dem Kapitalismus der globalen Konzerne oder den Machtansprüchen autokratischer Herrscher kein allzu großes Störpotenzial in seinem Weltbild zugesteht. Ein dichtes Netz von internationalen Handelsbeziehungen werde den Weltfrieden schon sichern – und die Rechte des Einzelnen seien auch auf gutem Weg:
"Auch wenn in puncto Menschenrechte noch einiges im Argen liegt, stehen sie bei internationalen diplomatischen Diskussionen häufig im Zentrum."
Dass die Weltlage also bedroht erscheint, wo doch so viel Anlass zu Hoffnung und Engagement besteht – dafür kennt Jacques Lecomte einen Schuldigen. Es sind: die Medien. Und schuldig sind sie für ihn gleich in zweifacher Hinsicht. Erstens: Sie durchdringen nicht die Komplexität der großen Weltprobleme, sie versagen vor den Befunden der Wissenschaft und verkaufen die Wahrheit für eine Schlagzeile. Und zweitens: Sie bedenken nicht, wie sehr so ein Stakkato aus schlechten Nachrichten ihre Leser lähmt und in Panik versetzt.
Lecomte gerät darüber in Verzweiflung, immer wieder. Und immer wieder bringt er deshalb durcheinander, wer beim Erzeugen und Verbreiten von Wirklichkeit wofür zuständig ist:
"Ihr Experten und Journalisten, gebt uns mehr ermutigende Nachrichten, bitte!"

Optimismus am Rand zur unfreiwilligen Komik

Schade eigentlich. Es wäre ein lohnendes Projekt gewesen, die unheiligen Verknüpfungen von Aufmerksamkeit und Macht zu untersuchen. Von Ausbeutung und Armut. Von Wohlstand und bedrohter Natur. Den Einfluss der Worte auf die Wirklichkeit. Der Vertreter der positiven Psychologie dagegen fräst sich munter durch alle Felder der Weltpolitik, verwässert die Begriffe der Wissenschaften oder vermengt sie mit den Verwünschungen eines Menschen, der ein Mottenloch in seinem Pullover findet. Ein Beispiel? Thema: Artensterben, Stichwort: gleiches Recht für Parasiten!
"Die Parasiten, die die größte auf der Erde lebende Spezies darstellen, sind wesentlich stärker vom Artensterben betroffen als andere Arten. Daher werden in der Welt der Wissenschaft immer mehr Stimmen laut, die für Parasiten die gleichen Rechte fordern und sie auf die Rote Liste bedrohter Tierarten setzen. Aber welcher erbitterte Naturschützer wäre bereit, Filzläusen als Wirt zu dienen oder in seinem Schrank Motten zu beherbergen, um sie vor dem Aussterben zu bewahren?"
Nun sind Motten keine Parasiten und Parasiten sind keine Spezies im naturwissenschaftlichen Sinn, sondern eine Lebensform, die bei unterschiedlichen Arten vorzufinden ist. Aber geschenkt! Positive Psychologie ist nun mal keine Naturwissenschaft, sondern eine Absichtserklärung. Wenn aber Jacques Lecomte die Begriffe so sorglos seinen Absichten unterordnet, dann wiederholt er genau den Fehler, den er anderen vorwirft: Er polemisiert, er manipuliert, und bewegt sich dazu noch hart am Rand der unfreiwilligen Komik.

Jacques Lecomte: "Der Welt geht es besser, als Sie glauben. 50 Gründe, optimistisch zu sein", 256 Seiten, 18 Euro, Gütersloher Verlagshaus

Mehr zum Thema