Israels Cyber-Hauptstadt Be'er Scheva

Warum Hacker in die Wüste gehen

Kakteen ragen ins Bild. Im Hintergrund sind die Hochhäuser des Technologieparks von Be'er Scheva zu sehen.
In der Wüstenstadt Be'er Scheva ist Israels "Gav Yam Advanced Technology Park". © Franziska Knupper
Von Franziska Knupper · 20.07.2017
Die 200.000-Einwohner-Stadt Be'er Scheva wird Israels Zentrum für Cybersicherheit und Spionage. Hier in der Wüste sollen Soldaten, Wissenschaftler und internationale Firmen Tür an Tür zusammen arbeiten. Auch die Deutsche Telekom hat schon investiert.
Es ist ein außergewöhnlicher Morgen in der Wüstenstadt Be'er Scheva. Normalerweise ist der Staub überall - auf Fensterscheiben, Autodächern und in den Haaren. Aber heute ist der Himmel wolkenlos, die Luft leicht, kein Wind geht.
Nichts behindert die Aussicht von Roy Zwebners Büro im vierten Stock des "Gav Yam Advanced Technology Park", im Herzen der israelischen Wüste Negev.
"Als es losging mit dem Park vor vier Jahren, galt Be'er Scheva in Israels Start-up Ökosystem eher als ein Ort für Low-Cost und Low-Tech - statt High-Tech. Um also Unternehmen für diesen Ort zu gewinnen, mussten wir nicht nur das Image Be'er Schevas, sondern der ganzen Region verändern. Wir sind hier in der Wüste Negev. Die macht zwar 60 Prozent der Landmasse Israels aus, aber nur zehn Prozent der Bevölkerung ist hier. Wobei ich glaube, dass die meisten Menschen in Israel begreifen, dass in der Wüste der zukünftige Wachstumsmotor des Landes liegt."
Roy Zwebner - ein Mann Mitte 40 sitzt in einem Büro.
Roy Zwebner ist der Vorsitzende des „Gav Yam Advanced Technology Park“ in Be'er Scheva. © Franziska Knupper
Vor sieben Jahren verließ Roy Zwebner sein Start-up in Tel Aviv mit einer Vision: Er wollte die Wüste des Landes in ein modernes Innovationszentrum verwandeln, das Israel an die Spitze des Cyber-Booms katapultieren wird.
Heute ist er der Vorsitzende des neuen Technologie Parks hier in Be'er Scheva. Der besteht bisher aus einigen Hochhäusern, in die namenhafte Unternehmen eingezogen sind - wie PayPal, IBM, Deutsche Telekom, WeWork, EMC oder Wix. Bis 2020 sollen laut Zwebner insgesamt zwölf Gebäude fertiggestellt und bezogen sein.
Unterstützt wird der Tech-Park vom israelischen Ministerium für Kultur- und Kommunikation. Die Regierung will in der Wüste ein Ökosystem schaffen, in dem Wissenschaft, Industrie und Militär auf engstem Raume miteinander verbunden sind.

Schon Staatsgründer Ben Gurion setzte auf die Wüste

"Ich habe das Gefühl, dass wir in den letzten zwei Jahren zu einem internationalen Marketing Werkzeug für Israel geworden sind. Schaut Euch allgemein das Level von Erfindungsreichtum in diesem Land an und stellt Euch dann noch vor, dass nun ein Zentrum geschaffen wird, ausschließlich für Technik und Innovation. An einem Ort, der bisher nichts von alledem war. Und die Geschwindigkeit, in der die Dinge passieren! Das ist etwas sehr einzigartiges und zieht sehr viel Aufmerksamkeit auf sich."
Schon Israels erster Premierminister, David Ben Gurion, hatte große Pläne für die staubigen Ebenen. "Die Wüste Negev bietet die besten Möglichkeiten, um alles aus der Wiege zu heben", prophezeite der Staatsgründer in einer Rede 1955. Er sah die Zukunft der Nation im Süden des Landes.
Fast 60 Jahre später pflichtet der derzeitige Premierminister, Benjamin Netanyahu, dem Staatsgründer bei: "Be'er Scheva wird nicht nur die Cyber-Hauptstadt Israels sondern auch einer der wichtigsten Orte für den Cybersektor in der ganzen Welt werden”, sagte Netanyahu schon vor drei Jahren und versucht seitdem, große Namen in die Wüste zu locken. Zur Freude von Technologie-Park-Chef Zwebner.
"Vom Budget her ist das das größte Projekt, das je in Israel durchgeführt wurde. Firmen, die, sagen wir, rund 150 Mitarbeiter anstellen, werden vom Staat subventioniert und erhalten rund 30 Prozent der Löhne für diese Mitarbeiter. Außerdem hat sich die Regierung entschieden, einige Einheiten des Militärs hierhin umzusiedeln, um die Entwicklung der Region zu unterstützen. Da etwa 95 Prozent der israelischen Technologie-Szene Veteranen sind, ist das sehr hilfreich, diese Einheiten in der Nähe zu haben; auch, um weitere Privatfirmen anzuziehen. Denn wie gesagt - das hier ist nicht wirklich die natürliche Umgebung für High-Tech."
Die berühmt-berüchtigte Eliteeinheit 8200, mit Fokus auf Cybersicherheit und Spionage und gleichzeitig größte Einheit des Militärs, wird bald in Be'er Scheva ihren Hauptsitz finden und dann von der Wüste aus mithören und mitlesen, sammeln und hacken. Auch das sogenannte "National Cyber Event Readiness Team", eine Art Notfallstelle für massive Hackerangriffe, kommt im Tech-Park unter.

Kurze Wege zwischen Militär, Firmen und Wissenschaft

Bis 2021 werden auf diese Weise ganze 20.000 Soldaten ihren Militärdienst in der Wüste ableisten. Und viele von ihnen - so die Hoffnung - sollen da bleiben. Denn die klügsten Köpfe des Landes sitzen dann direkt vor den Türen des Technologie-Parks. Der Weg zum Vorstellungsgespräch ist kurz. Und auch die nächste Uni nicht weit.
Eine weiße Brücke verläuft über Bahngleise vom Technologiepark auf den Campus der Ben Gurion Universität.
Die Brücke in Be'er Scheva vom Technologiepark zur Ben Gurion Universität.© Franziska Knupper
Ein Fußmarsch vom Gebäude Eins des Tech-Parks bis zu Professor Bracha Shapira in ihrem Büro an der Ben Gurion Universität dauert jeweils nur sieben Minuten. Die neue Fußgängerbrücke aus weiß lackiertem Stahl verbindet Wirtschaft und Wissenschaft nicht nur symbolisch.

Erster Studiengang "Cybersicherheit" in Israel

Die sandsteinfarbenen Gebäude und ein künstlicher Fluss geben dem Campus einen futuristischen und gleichzeitig pragmatischen Charakter. Es herrscht reges Treiben. Gegründet 1969, genießt die Ben Gurion Universität einen exzellenten Ruf unter Fachleuten.
Professor Shapira, eine religiöse Frau in elegantem Kostüm, lehrt an der Fakultät für Software und Informationssysteme und ist führende Wissenschaftlerin der "Deutschen Telekom Labore" - eine Forschungsstation, die vom deutschen Unternehmen finanziell gefördert wird.
"2004 hat die Deutsche Telekom nach einem Forschungslabor im Ausland gesucht. Wir schlugen dann ein Projekt vor und wurden ausgewählt. Drei Millionen Dollar an Budget haben wir erhalten. Durch konnten wir gute Studenten anstellen und hohe Stipendien vergeben. Und wir haben neues Lehrpersonal ausgewählt - mit einer Spezialisierung auf Cybersicherheit. Nun wachsen wir - und ziehen dadurch weitere große Firmen an, die mit unserer Universität kollaborieren wollen. Auch mit der Polizei und dem Militär arbeiten wir eng zusammen. Wir haben ja viele Studenten, die entweder noch in der Armee sind oder aus einer der Geheimdiensteinheiten entlassen wurden. Sie sind sehr gut und wir haben jetzt auch den ersten Masterstudiengang in Israel zu Cybersicherheit."
Mehrere Studenten mit Büchern und Rucksäcken laufen über den Campus der Universität. Es stehen Bäume auf dem Weg.
Studierende laufen über den Campus der David Ben Gurion Universität in Be'er Scheva.© Franziska Knupper

Cyberwaffen unter dem Deckmantel der Wissenschaft

In der Cafeteria der Ben Gurion Universität sitzt Idan Landau. Er ist Autor, Aktivist und Dozent für Linguistik. Es ist Mittagszeit und die ganze Universität versteckt sich vor der Hitze in der klimatisierten Kantine.
Landau spricht über diese Themen am liebsten nur an öffentlichen und lauten Orten. Er sei nicht ängstlich, sagt er, nur diskret. Die enge Kooperation zwischen dem Militär und seiner Universität betrachtet er mit Sorge. Dies sei nur ein weiterer Aspekt der Militarisierung der israelischen Gesellschaft.
"Verbindungen zwischen Militär und Wissenschaft gibt es überall - das Pentagon unterstützt Millionen und Abermillionen von Forschungsprojekten in den USA. Das Besondere am Falle Israel ist die Vorherrschaft des High-Tech Sektors. Cybertechnologie nimmt eine sehr beherrschende Stellung in Israel ein."
In seinen Texten beklagt Landau die israelische Besatzungspolitik im Westjordanland gegenüber den Palästinensern und den internationalen Waffenhandel - welcher sich in Zukunft stärker mit digitalen Angriffsmethoden auseinandersetzen wird.
"Diese Industrie wächst, die Kunden kommen, und wir sind die besten! Das ist ein Bereich, in dem wir wirklich unübertroffen sind: der Export von Waffen und militärischer Expertise. Es sind nicht nur die Waffen sondern auch das Wissen, entweder in der Cyberkriegsführung oder dem echten Krieg auf dem Feld. Und es ist sehr einfach, Leute zu bestechen, damit sie mitzumachen: Man gibt ihnen einfach Arbeit. Der Sicherheitssektor in Israel ist groß. Er ist die Lebensgrundlage für Abertausende Familien. Manche von ihnen betrachten sich vielleicht sogar als liberal und links orientiert - aber sie begreifen nicht die Verbindung zwischen ihrem eigentlichen Job und der linken Agenda."
Laut Landau werden viele Waffentechnologien unter dem Deckmantel des akademischen Wissensgewinns entwickelt. Vor allem das Forschungsinstitut für Innere Sicherheit der Tel Aviv Universität, kurz INSS, sieht er als Versuch, die Öffentlichkeit an der Nase herumzuführen.
"Das ist wirklich keine Wissenschaft. Das sind nur Generäle, die ihre Uniform ausgezogen haben und sofort damit beginnen, wissenschaftliche Abhandlungen zu schreiben. Da ist wirklich nichts Akademisches drin. Sie sind die Think Tanks der Sicherheitsbranche oder des rechten Flügels. Und manchmal sind sie sogar die, die Ideen für Politiker bereitstellen. Und wenn man hört, zu welchen Schlüssen sie kommen oder was sie vorschlagen, dann merkt man, dass es sich zu 90 Prozent mit der Meinung der aktuellen Regierung deckt."
Neben der Spionage-Einheit 8200 hat die israelischen Armee zwei weitere Einheiten für Cybersoldaten: Das "C4I Direktorat" konzentriert sich auf die Abwehr und das "Military Intelligence Direktorat" ist an der Forschung offensiver Strategien beteiligt.
Denn Cyberattacken ersetzen langsam aber sicher Raketen und Panzer. Und Israel mischt vorne mit. Etwa 15 Prozent der Investitionen in Cybersicherheit weltweit sind im vergangenen Jahr in israelische Firmen geflossen.

Wie kam "Stuxnet" in das iranische Atomprogramm?

Bereits im Jahre 2010 wurden die israelischen und amerikanischen Geheimdienste eines massiven und erfolgreichen Hackerangriffs gegen den Iran beschuldigt; eindeutige Beweise gibt es bis heute nicht. Der Computerwurm mit Namen "Stuxnet" wurde dafür verantwortlich gemacht, die Zentrifugen in einer Urananreicherungsanlage nachhaltig gestört zu haben.
Wie könnte das möglich gewesen sein? Yoram Segal, Dozent für Videosicherheit an der Ben Gurion Universität.
"Nur durch diese Schadsoftware hat man es geschafft, das iranische Nuklearprogramm mehrere Jahre nach hinten zu werfen. Das heißt, sie war sehr fortschrittlich. Wie sie ins System kam? Da gibt es viele Wege. Z. B. direkt beim Kauf der Hardware. Da kann der Computer-Wurm schon drin gewesen sein. Aber er durfte noch nicht aktiv sein, erst zum richtigen Zeitpunkt, wenn er mit dem Nuklearprogramm verbunden war. Also musste man in der Lage sein, aus der Ferne ein Signal zu senden; ein Signal, das sagt: Jetzt angreifen! Eine Möglichkeit dafür sind Videos. Und das würde dann so funktionieren: Das auslösende Signal ist z. B. ein X. Das X trägt dann eine Person auf ihrem T-Shirt. Wenn diese Person an einer Überwachungskamera vorbeiläuft, zeichnet die das X auf, und sendet dieses Video durch alle Sicherheitsfilter bis zum Hauptserver - ins Innere des Systems und startet dann den Computer-Wurm. So viele Schutzschichten und doch ist alles offen."
Auf diese Art und Weise können auch geschlossene Systeme - die nicht mit dem Internet verbunden sind, einfach sabotiert werden. Man spielt mit physischen Reizen wie Temperaturen, Farben, Zeichen, Geräusche, erklärt der israelische Uni-Dozent.
"Wir beobachten, dass Krieg immer abhängiger von Computern und Technik wird. Und die besten, wenn es um den Schutz im Cyberspace geht, sitzen derzeit hier. Ich gebe zu, es ist mit der Armee verquickt. Aber hier fühlt man die Atmosphäre. Denn um einen Angriff vorzubereiten, muss man sehr kreativ sein. Und es ist sehr schwer, aus der Position des Schützenden heraus, sich in die Lage des Angreifers hineinzuversetzen. Und deswegen ist es so gut, die Armee hier zu haben - sie gibt uns das Wissen und die Erfahrung, denn sie werden regelmäßig angegriffen."

Zu den Spionage-Produkten, die von der israelischen Armee entwickelt und an andere Regierungen verkauft werden, zählt die Überwachungssoftware "Pegasus". Die mexikanische Regierung erwarb sie, um gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität zu kämpfen. Jetzt stellte sich heraus, dass mit der israelischen Software die Smartphones von Journalisten, Oppositionspolitikern, Verbraucherschützern und Menschenrechtlern in Mexiko abgehört wurden. Die Hintergründe sind unklar. Ellen Häring hat darüber mit der mexikanischen Journalistin Marta Durán de Huerta gesprochen. Audio Player

Marta Durán sitzt auf einem Stuhl im Büro und blickt in die Kamera.
© Ellen Häring
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