Israelischer Diplomat: Iran hat die rote Linie überschritten

Zalman Shoval im Gespräch mit Hanns Ostermann · 05.03.2012
Israel dürfe nicht den richtigen Zeitpunkt für einen Angriff auf den Iran verpassen, meint Zalman Shoval, ehemaliger israelischer Botschafter in den USA. Die Frage sei nicht, ob der Iran die Atombombe schon gebaut habe, sondern ob er in der Lage sei, sie zu bauen.
Hanns Ostermann: Das ist ein schwieriger Besuch im Weißen Haus für beide Seiten: für den amerikanischen Präsidenten Barack Obama ebenso wie für den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Es geht um das undurchsichtige iranische Atomprogramm.

Indizien liegen zwar vor, dass Teheran unter dem Deckmantel eines zivilen Programms an einer Bombe arbeitet, davon spricht auch die Internationale Atomenergiebehörde, die IAEA. Ein eindeutiger Beweis allerdings fehlt noch. Trotzdem: Israel fühlt sich in seiner Existenz bedroht und will notfalls militärisch allein vorgehen. Barack Obama wird damit in eine schwierige Lage manövriert. Gestern sagte er vor der größten proisraelischen Organisation in den USA, vor der AIPAC:

O-Ton Barack Obama: "Ich glaube noch immer fest daran, dass diplomatische Mittel erfolgreich sein können. Die USA und Israel sind sich sicher, dass Iran noch keine Atomwaffen hat. Die internationale Gemeinschaft hat die Pflicht, die zur Verfügung stehende Zeit und den entsprechenden Spielraum zu nutzen!"

Ostermann: Barack Obama setzt also noch auf Diplomatie. Nur, reicht das Benjamin Netanjahu? Ich möchte darüber mit dem früheren Botschafter Israels in Washington reden, mit Zalman Shoval. Guten Morgen, Herr Shoval!

Zalman Shoval: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Ist aus israelischer Sicht die rote Linie bereits überschritten?

Shoval: Die rote Linie ist seitens der Iraner ... In gewissem Maße ja, denn die Frage ist nicht, ob die Iraner schon eine Bombe im Keller haben oder auf dem Boden, sondern ob sie schon in der Lage sind, technologisch die Möglichkeit haben, eine Bombe zu schaffen, zu bauen, weil sie eben die Vorbereitung schon beendet haben.

Und obwohl dieser Punkt vielleicht noch nicht ganz erreicht ist: Er wird bestimmt in den nächsten Monaten erreicht werden. Und deshalb ist die Zeit kürzer, als Präsident Obama vielleicht in seiner Rede beschrieben hat.

Ostermann: Nun setzt Vereinte Nationen, Europäische Union und eben auch die USA auf Sanktionen. Die werden immer stärker und beginnen ja auch zu wirken. Also, wäre eine militärische Eskalation da nicht verfrüht?

Shoval: Schauen Sie, Sanktionen sind bestimmt ein positiver Schritt und es ist gut, dass diese Sanktionen jetzt verstärkt werden auch vonseiten Europas bestimmt. Aber man spricht oft im Vergleich von Nordkorea. Was man oft vergisst, ist, dass Nordkorea trotz Sanktionen die Bombe hat.

Das heißt, wenn ein Land wie Iran, das natürlich viel reicher ist und stärker als Nordkorea, wirklich, würde ich sagen, diesen Beschluss festgenommen hat, die Bombe zu bauen, ist doch der Verdacht da und auch die Furcht da, dass trotz Sanktionen dieses Ziel erreicht werden kann. Und deshalb könnte dann die Zeit verpasst werden, um andere Schritte zu unternehmen. Israel ist nicht enthusiastisch über eine militärische Aktion, aber man kann diese Sache nicht vom Tisch nehmen. Und man muss auch zugeben, dass Präsident Obama es auch nicht vom Tisch genommen hat.

Er hat ganz klar gesagt gestern, die Iraner werden keine Bombe haben und Amerika wird es nicht tolerieren, dass die Iraner eine Bombe bekommen. Also, die Politik von Containment - ja, lasst die Iraner die Bombe haben und wir werden das irgendwie dann behandeln -, das ist nicht die Politik Obamas.

Ostermann: Obama sagte, es liegen alle Optionen auf dem Tisch, und damit meinte er natürlich auch die militärische Option ...

Shoval: ... bestimmt ...

Ostermann: ... die Frage ist nur, die sich viele natürlich stellen: Würde Israel auch ohne die USA den ersten Schritt machen? Das deutete gestern jedenfalls Außenminister Lieberman an.

Shoval: Das deutete eigentlich auch Präsident Obama an. Ich glaube, einer der wichtigsten Sätze in seiner Rede war: Israel hat das Recht sich zu verteidigen, mit eigenen Mitteln. - Ich glaube, die Bedeutung dieses Satzes ist ganz klar.

Ostermann: Aber kann Israel überhaupt allein vorgehen, ist es militärisch gerüstet?

Shoval: Schauen Sie, ich bin kein militärischer Experte. Und hätte ich diese Information, würde ich sie jetzt nicht auf dem Radio durchgeben. Aber ich könnte mir vorstellen, dass, wenn man davon ernst in Israel spricht, Israel diese Option hat.

Ostermann: Man fragt sich trotzdem, Herr Shoval: Besteht nicht andererseits die Gefahr eines Flächenbrandes? Es hängt doch unglaublich viel dran, sollte in der Tat Israel angreifen!

Shoval: Schauen Sie, Flächenbrand, vielleicht. Flächenbrand gibt es sowieso im Mittleren Osten, wegen dem sogenannten Arabischen Frühling und, was sich in Syrien abspielt. Alles Sachen, die mit Israel überhaupt nichts zu tun haben. Aber die arabische Welt ist eigentlich heute gespalten, und bestimmt, Saudi-Arabien und andere Länder - ich möchte nicht zu viele Namen nennen - würden sich freuen, wenn Israel oder die Amerikaner - bestimmt noch mehr - eine militärische Aktion gegen die Gefahr, die von Iran kommt ... Denn ein großer Teil der arabischen Welt fürchtet sich heute vor Iran, und nicht vor Israel.

Ostermann: Es gibt aber andererseits auch ernst zu nehmende Leute, die eben vor einem solchen Schlag warnen, unter anderem auch wegen der Erinnerung an das Jahr 2007, als Israel in Syrien aktiv wurde und nicht nur der damalige amerikanische Präsident - damals war es George Bush - den Kopf schüttelte.

Shoval: Ja, aber Israel hatte recht, wie sich dann später herausgestellt hat. Und dieselbe Lage war 1981 gegenüber Irak, Ostirak, der Atom ... wie heißt das, ich habe jetzt das Wort in Deutsch vergessen ... gegen die Kapazität der Iraker, Saddam Husseins, eine Atombombe zu bauen ... Zuerst waren die Amerikaner und die Welt natürlich, würde ich sagen, gegen diese israelische Aktion, nachdem sie schon stattgefunden hatte, aber nachher, nach einigen Monaten haben uns dann alle die Kritiker applaudiert. Und ich glaube, auch richtigerweise.

Ostermann: Ist das Risiko eines Gegenschlages - immer für den Fall, Israel würde einen Anschlag vornehmen auf die Atomanlagen im Iran -, aber ist das Risiko eines Gegenschlages nicht auch für Israel selbst zu groß?

Shoval: Zweifellos ist das eine Gefahr, die man nicht irgendwie minimalisieren sollte. Und ich könnte mir vorstellen - ohne dass ich natürlich die sogenannte Fliege auf der Wand bin -, dass im Gespräch zwischen Netanjahu und Obama davon gesprochen werden wird, und zwar: Was wird die amerikanische Position sein und die amerikanischen Aktionen sein, sollten die Iraner einen Gegenschlag gegen Israel unternehmen?

Ostermann: Zalman Shoval war das, der frühere Botschafter Israels in den USA. Herr Shoval, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Shoval: Ich bedanke mich.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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