Israel

Vergiss die Moral

Von Martin Zähringer · 15.12.2013
Kochs Buch über Israels Kommandoaktionen deutet eine globale Dimension verdeckter und geheimer Kriegsführung an, bringt aber keine systematische Klärung. Lesenswert ist es dennoch, weil es an eine israelische Debatte heranführt.
Dass Israel immer wieder Feinde liquidiert, leugnet niemand. Im Gegenteil, die israelischen Geheimdienste haben sich den zweifelhaften Ruf erarbeitet, diese Liquidationen perfekt durchzuführen. Entweder als deutlich erkennbare Aktion mit abschreckender Wirkung oder als lautlosen Schlag, dessen Urheber unbekannt bleiben sollen. Der Staat Israel setzt dabei sein Sicherheitsinteresse so hoch an, dass er seine Feinde auch im Ausland verfolgt.
Koch präsentiert eine beachtliche Reihe von Fallgeschichten: Das gezielte Töten richtete sich zunächst gegen Akteure des Holocaust. Später standen deutsche Raketenbauer im Dienst Ägyptens auf Israels Todeslisten, palästinensische Gegner finden sich dort zuhauf, derzeit sind Wissenschaftler im Visier der Tötungskommandos, die im Atomprogramm des Iran mitarbeiten.
Der systematische Einsatz beginnt laut Egmont Koch mit gut ausgebildeten und aufwändig getarnten Sühne-Teams. Sie bestehen aus etwa zwölf bis 15 Männern und Frauen, die wiederum in Untergruppen aufgeteilt agieren:
"Aleph sind die beiden Killer, Beth deren Bodyguards; zwei Ceth-Agenten organisieren Hotelzimmer, Wohnungen, Leihwagen; zwei Qoph-Leute halten die Verbindung zur Zentrale; hinzu kommt die Ajin-Truppe – sechs bis acht Kundschafter, die das Opfer beschatten, Fluchtrouten ausbaldowern und nach dem Anschlag Spuren beseitigen. Oft traten sie zur Tarnung als Paare weiblicher und männlicher Agenten auf."
Aber, das ist eine der Aussagen dieses Buches, ihre angebliche Perfektion ist zweifelhaft. Selbst die Anwesenheit der obersten Chefs garantierte keinen Erfolg, wie das 1963 gescheiterte Attentat auf den deutschen Rüstungsingenieur Kleinwächter bei Lörrach zeigte. Gescheitert ist der Mossad auch 1973 bei einer palästinensischen Zielperson: Ali Hassan Salameh, genannt Abu Hassan, genannt auch der rote Prinz, bekannt als Arafats Nachfolger und Lieblingsschüler.
Den Israelis galt Abu Hassan außerdem als Architekt hinter dem Anschlag auf die Olympischen Spiele im Jahr 1972. Damals hat ein Kommando des palästinensischen Schwarzen September elf israelische Sportler ermordet. Ein Jahr später standen bereits neun Todeskreuze auf der israelischen Olympia-Racheliste. Und endlich hatte man Abu Hassan ausgespäht. Aber es war eine falsche Spur ins norwegische Lillehammer, und so verlor ein harmloser Kellner aus Marokko sein Leben.
Das ist nur eine von vielen Geschichten dieses Buches, in denen Vorgehen, Ziele, Gelingen oder Scheitern der israelischen Kommandoaktionen beschrieben werden. Sie arbeiten mit Präzisionsgewehr und Revolverschüssen, mit Bomben in Handys und Autos, verabreichen tödliches Gift oder Ersticken das Opfer mittels Kopfkissen. Aber drängender als die Rekonstruktion solcher bekannten Aktionen ist die Dekonstruktion eines Mythos. Denn inzwischen bringt Israel andere drastischere Mittel zum Einsatz. Und wenn sogenannte Hellfire-Raketen auf Autos in der Westbank treffen oder 500-Kilo-Bomben auf Häuser in Gaza fallen, ergeben sich ganz andere, sogenannte Kollateralschäden als bei einer irrtümlich ermordeten Zielperson. Auch diese Fälle beschreibt der Autor genau.
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Egmont R. Koch: Die Lizenz zum Töten© Aufbau-Verlag Berlin
"Es kommt immer mal wieder zu Aktionen, wo sich die israelische Armee im Nachhinein entschuldigt und Schuld sieht, dass man im Rahmen der Terrorbekämpfung nicht 100 Prozent alles perfekt durchgeführt hat."
Schon dieses Eingeständnis scheint dem Pressesprecher des israelischen Militärs in Kochs Film "Lizenz zum Töten" schwer zu fallen. Zumal die von Egmont Koch immer wieder eingebrachte verfassungspolitische, kriegsrechtliche oder schlicht ethische Problematik der Tötungen ein sehr schlechtes Licht auf den Staat Israel und seine Akteure wirft. Noch schwerer fällt es dem Militärsprecher, von den unschuldigen Opfern zu sprechen:
"Und es kommt vor, leider, und man muss an sich arbeiten um es nicht vorkommen zu lassen, dass ab und zu auch Unbeteiligte, leider, dass Unbeteiligte getötet werden."
Es ist dieser Umstand, der dem Thema seine über Israel hinausweisende Bedeutung verleiht. Bei den auf dutzende Länder ausgedehnten gezielten Tötungen islamistischer Terroristen, sogenannter nichtstaatlicher Kombattanten oder hochrangiger Zielpersonen etwa von Al Qaida, Taliban, Hizbollah oder Islamischem Dschihad, gibt es immer mehr zivile Opfer. Und deren Angehörige verstärken die antiisraelischen und antiwestlichen Reihen, die sich auch gegen deutsche Soldaten wenden.
Leider hat das Buch von Egmont R. Koch in mancher Hinsicht Schwächen. Es bietet zwar interessant zu lesende Fallgeschichten und bringt viele Details aus dem Fundus des Reporters, aber wenig politischen Hintergrund. Es deutet eine globale Dimension verdeckter und geheimer Kriegsführung an, bringt aber keine systematische Klärung. Die ersten Kapitel über die US-Geheimdienste bringen nichts Neues, die vier Fallgeschichten von Stasi, KGB und Folgeorganisationen nach dem Hauptteil über den Mossad wirken unmotiviert angehängt.
Lesenswert ist es dennoch, weil es näherungsweise an eine israelische Debatte heranführt. Denn auch in Israel werden staatliche Willkür und Machtarroganz heftig in Frage gestellt. In Kochs Buch scheint diese Debatte in kapitelüberschreibenden Zitaten auf:
"In einem Krieg gegen den Terror vergiss die Moral."
Avraham Schalom, Chef des Inlandgeheimdienstes Shin Bet, 1981 bis 1986.
"Wir sind auf dem besten Wege zu einem Punkt, an dem der Staat Israel keine Demokratie … mehr ist."
Ami Ayalon, Chef des Inlandgeheimdienstes Shin Bet, 1996 bis 2000.
Davon würde man gerne noch mehr erfahren.

Egmont R. Koch: "Die Lizenz zum Töten. Die Mordkommandos der Geheimdienste"
Aufbau Verlag, Berlin
408 Seiten, 22,99 Euro (als E-Book 17,99 Euro)
ISBN 978-3-351-03546-4

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