Islamischer Staat

Unklare Haltung der Türkei ist gefährlich

Recep Tayyip Erdogan, damals noch türkischer Ministerpräsident, Archivbild aus dem Jahr 2011.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan heizte mit Anspielungen die Gerüchteküche an. © dpa / picture-alliance / Henning Kaiser
Von Reinhard Baumgarten, ARD-Studio Istanbul · 27.09.2014
Ankaras Verhältnis zum Islamischen Staat bleibt deutlich undeutlich, kommentiert Reinhard Baumgarten. Dabei sollte sich die Türkei als wichtiger Frontstaat im Kampf gegen die Terrormiliz klar positionieren.
Nun ist es an der Zeit, in Wort und Tat Stellung zu beziehen. Klar, unmissverständlich, entschieden. Die IS-Terroristen sind eine ernste Gefahr für die Türkei. Nicht nur wegen der konkreten Terrorgefahr. Drohungen seitens der IS-Terroristen, Anschläge in der Türkei verüben zu wollen, gibt es schon seit geraumer Zeit. Sie müssen ernst genommen werden. Gefährlich ist diese Terrororganisation, die sich Islamischer Staat nennt, aber auch deshalb, weil deren religiös verbrämte Gewalt Bewunderer und Nachahmer findet. Nicht nur und vorzugsweise in der Türkei, aber eben auch in der Türkei, die direkt an jenes Gebiet grenzt, in dem das sogenannte Kalifat ausgerufen wurde.
Zum Erstarken der Terrormiliz beigetragen
Ankaras deutlich undeutliches Verhältnis zur IS-Terrormiliz wurzelt darin, dass die türkische Regierung jahrelang extremistische Gruppen hat gewähren lassen und sie teils aktiv unterstützt hat. Das Ziel war der Sturz Baschar al-Assads in Syrien. Jedes Mittel schien recht. Ankara hat die Natter Islamischer Staat am eigenen Busen genährt und damit zu dessen Aufstieg beigetragen. Ankaras deutlich undeutliches Verhältnis zur IS-Terrormiliz wurzelt auch darin, dass die türkische Regierung jahrelang eine auf sunnitisch-islamistische Gruppen zugeschnittene Außenpolitik betrieben hat. Das tiefe Zerwürfnis mit Ägypten, die Unterstützung der extremistischen Hamas und der Niedergang der türkisch-israelischen Beziehungen sind dafür deutliche Belege.
Wo steht Ankara nach der Geiselfreilassung? Niemand, außer ein paar Eingeweihten, weiß, warum, wie und zu welchem Preis die Geiseln freikamen. Es hat wohl einen Austausch gegeben - Geiseln gegen IS-Kämpfer. Diese Anspielung hat Präsident Erdoğan selbst gemacht. Es sind möglicherweise Waffen an die IS geliefert worden. Es sind möglicherweise Absprachen mit der IS getroffen worden, sich nicht aktiv am Krieg gegen die Terrormiliz zu beteiligen. Die Gerüchteküche kocht. Vor allem im Südosten des Landes in den Kurdengebieten. Der massive Angriff auf die Kurdenstadt Kobane in Nordsyrien begann im zeitlichen Umfeld der Geiselbefreiung. Die IS-Einheiten sind deutlich besser ausgerüstet als die verteidigenden Kurden. Kamen neue Waffen aus der Türkei? Lieferte Ankara Panzer und Artillerie an den IS, wie die Kurden behaupten?
Ankara muss sich erklären
Durch Ankaras ambivalentes Verhalten gegenüber den IS-Terroristen ist der Friedensprozess mit den türkischen Kurden gefährdet. Der Friedensprozess ist tot, der Waffenstillstand ist tot, sagt der kommunalpolitische Arm der verbotenen PKK. Ein Wiederaufflammen der Feindseligkeiten zwischen türkischen Regierungskräften und der kurdischen Guerilla scheint möglich. 40.000 Menschenleben hat der Konflikt in den vergangenen drei Jahrzehnten gekostet. Ankara muss sich erklären, muss Position gegen die Terrormiliz beziehen, fordern die Kurden. Doch Ankara hegt offenbar gegenüber der als Terrororganisation gebrandmarkten PKK mehr Vorbehalte und Misstrauen als gegenüber der IS-Terrormiliz. In der sozialistischen Unterfütterung der kurdischen Bewegung sieht Ankara ganz offenbar eine größere Gefahr als in der islamischen Verbrämung der IS-Terroristen.
Die Türkei ist ein wichtiger Frontstaat im Kampf gegen die IS-Terrormiliz. Die Regierung in Ankara weiß, dass sie ihren Bündnispflichten nachkommen muss. Die Grenzkontrollen sind jetzt schärfer. 830 Europäer seien festgenommen worden, die sich via Türkei dem IS anschließen wollten, sagt Ankara. Die Schmuggelwege für Diesel und Öl aus vom IS kontrollierten Gebieten seien geschlossen, versichert Ankara. IS-Kämpfer werden nicht und wurden niemals in türkischen Krankenhäusern behandelt, beharrt Ankara. Es ist falsch, die türkische Regierung unter Generalverdacht zu stellen. Aber es ist richtig und notwendig, ihre Politik gegenüber sunnitischen Gruppierungen und extremistischen Bewegungen kritisch zu hinterfragen. Ankara hat in den vergangenen drei Jahren einfach zu viel im deutlich Undeutlichen gelassen.
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