Ischinger: Kein EU-Geld für Israels Siedlungen

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Gabi Wuttke · 17.09.2013
Die Palästinenser dürften nicht von der EU entmutigt werden, verlangt Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Der Beschluss, ab 2014 keine Fördermittel für Siedlungen in die von Israel besetzten Gebieten fließen zu lassen, müsse bleiben.
Gabi Wuttke: Die israelische Regierung hatte äußerst gereizt reagiert auf die Ankündigung der europäischen Union, festzuschreiben, dass jüdische Siedlungen außerhalb der Grenzen von 1967 ganz offiziell ab kommendem Jahr keine EU-Fördermittel mehr erhalten. Nun ist zu lesen, diese Richtlinie solle auf Wunsch der USA nicht am 1. Januar 2014 in Kraft treten, weil sie ein Stolperstein in den Friedensverhandlungen sein könnte.

Wolfgang Ischinger, ehemaliger Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, ehemaliger Staatssekretär im Außenministerium und jetzt Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, gehört zu den 15 prominenten Europäern, die deshalb einen Brief an die Außenminister der EU geschrieben haben. Tenor: Bleiben Sie standhaft! Einen schönen guten Morgen, Herr Ischinger!

Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!

Wuttke: Benita Ferrero-Waldner, Javier Solana oder Hubert Védrine, Sie natürlich auch – alle wollen eine Verzögerung abwenden. Wieso?

Ischinger: Wir sind alle zusammen nachdrücklich der Meinung, dass die Europäische Union mit diesem Beschluss aus dem vergangenen Jahr eine richtige Entscheidung getroffen hat, die im Einklang steht nicht nur mit dem Völkerrecht, sondern mit europäischen Entscheidungen der letzten Jahrzehnte, und wir sind der Meinung, dass diese Festlegung der Europäischen Union geeignet ist, die Friedensprozess zu befördern und nicht zu behindern. Im Umkehrschluss sind wir der Auffassung, dass eine von manchen ja jetzt vorgeschlagene Aufhebung oder Suspendierung dieses Beschlusses der Europäischen Union ein Schuss ins Knie wäre. Was sollen denn die armen Palästinenser denken, wenn nun auch noch die Europäische Union aufhört, an den Grenzen von 1967 als den Ausgangspunkt der Diskussion festzuhalten.

Wuttke: Wenn ich es mit Ihren Worten zusammenfassen darf: Die israelische Regierung fühlt sich dadurch genauso ins Knie geschossen.

Ischinger: Ja, das verstehe ich auch sehr gut. Wenn ich die israelische Regierung zu vertreten hätte, wäre ich über diesen Vorgang auch nicht glücklich. Aber es ist nun mal so, dass wir den Versuch machen müssen, die Rolle der Europäischen Union als ein Unterstützer und Antreiber und Mitinitiator eines Friedensverhandlungsprozesses voranzutreiben. Die Europäische Union hat jahrelang – lassen Sie es mich salopp formulieren – nicht viel hingekriegt. Sie hat im letzten Jahr wichtige Beschlüsse gefasst, und jetzt stehen wir ja in einem Prozess, den dankenswerterweise der amerikanische Außenminister Kerry ja auch ordentlich vorangebracht hat, jetzt stehen wir in einem Prozess, in dem hoffentlich tatsächlich beide Seiten miteinander reden.

Wenn die Europäische Union jetzt diesen Forderungen nachgeben würde, ihre eigenen Beschlüsse wieder in Frage zu stellen, würde sie sich nicht nur jeglicher Glaubwürdigkeit begeben – das wäre für sich genommen schon mehr als schade. Wir wollen doch die Europäische Union als einen guten und dem Recht und dem Frieden verpflichteten Akteur in den internationalen Beziehungen nach vorne bringen. Sondern es wäre wirklich ein Torpedo in diese Friedensverhandlungen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die palästinensische Seite, die ohnehin nicht viel Erfreuliches zu sehen bekommen hat in den letzten Jahren, dann tatsächlich am Verhandlungstisch bleibt.

Wuttke: Wovon zeugt es dann für Sie, von welcher Position, die John Kerry hat, wenn er jetzt wünscht, dass diese Richtlinie verschoben werden soll?

Ischinger: Ich verstehe den amerikanischen Außenminister sehr gut. Er hört sich israelische Forderungen an, er hört sich auch palästinensische Forderungen an, und er hat, so wurde ja berichtet, mit den europäischen Außenministern diese Frage erörtert, ob es bei diesem Beschluss nun bleiben soll. Die europäischen Außenminister haben mehrheitlich, so höre ich, beschlossen, dass es bei ihrem Beschluss bleibt. Das halte ich für eine richtige Festlegung. Schauen Sie, ich gehöre genauso wie Javier Solana und die anderen Unterzeichner zu einem Personenkreis, der nun seit Jahren und Jahrzehnten versucht, Frieden zwischen Israel und Palästina zu fördern. Wir sind der Meinung, dieser Schritt der Europäischen Union, den wir ja nicht verändern wollen, wir sind der Meinung, das ist ein richtiger Schritt, um den Frieden zu fördern, und deswegen bleiben wir bei der Meinung, die EU sollte das nicht ändern und Forderungen oder Druck in dieser Sache nicht nachgeben.

Wuttke: Wie tritt man denn Ihnen als Mitglied dieser Gruppe, dieser "European Eminent Persons Group", in Israel entgegen?

Ischinger: Also, ich bin einer von den gar nicht so furchtbar zahlreichen Deutschen, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben, wenn irgend möglich jedes Jahr an der einen oder anderen außen- oder sicherheitspolitischen Konferenz in Israel teilzunehmen. Mir ist das politische Klima und die politische Lage in Israel wohl vertraut, und ich habe dort, wie andere auch, zahlreiche Kontakte und Freunde und Bekannte. Also ich denke, das gehört zum normalen diplomatischen Geschäft. Und das wäre ja ganz verwunderlich, wenn gerade in diesen seit Jahrzehnten umkämpften Fragen des israelisch-palästinensischen Verhältnisses jetzt sozusagen alles Friede, Freundschaft, Eierkuchen wäre. Natürlich sind das schwierige Fragen, und natürlich ist man in Israel nicht erfreut. Hier geht es um viel Geld. Aber ich glaube, hier muss das Völkerrecht und muss die Friedensaussicht zunächst mal den Vorrang haben.

Wuttke: Muss, sagen Sie, hat aber nicht, wenn wir Revue passieren lassen, wie die israelische Regierung auf diese Ankündigung der Europäischen Union, auf den Beschluss reagiert. Herr Ischinger, als Mensch, der sich auskennt in der internationalen Politik wie kein Zweiter – Sie sind Deutscher und Sie werden sicherlich in Israel auch an die deutsche Geschichte und die daraus besonders erwachsene Verantwortung erinnert worden sein, oder?

Ischinger: Ja, aber es ist doch genau diese Verantwortung, entschuldigen Sie – es ist genau diese Verantwortung, die wir als Deutsche für den Frieden nicht nur in Europa tragen, sondern auch dafür, dass die Europäische Union ein Friedensstifter und nicht ein Friedensbehinderer ist, und genau das ist die Idee, die wir hier versuchen voranzutreiben. Es ist ja nicht so, dass wir, sozusagen die früheren Staatssekretäre oder Minister und so weiter, dass wir die EU immer nur loben können. Es gibt ja vieles, was man an der Außenpolitik der Europäischen Union immer wieder massiv kritisieren kann und muss und sollte. Aber hier sind wir der Meinung, das war ein richtiger Schritt, den die EU auch als Einzige nur so treffen konnte, weil es nicht zu erwarten war, dass die amerikanische Regierung aus innenpolitischen Gründen die Kraft aufbringt, sich in ähnlich klarer Form zu äußern. Ich glaube, das ist ein wichtiger Schritt, um den Friedensprozess zu fördern und ihn nicht wieder zu belasten.

Wuttke: Wolfgang Ischinger, der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, über die Forderung prominenter Europäer, zu denen er gehört, EU-Fördermittel für israelische Projekte in den besetzten Gebieten wie beschlossen ab dem 1. Januar offiziell einzustellen. Herr Ischinger, vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben. Schönen Tag.

Ischinger: Danke Ihnen, Frau Wuttke, auf Wiederhören.
Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz und Allianz-Mitarbeiter
Wolfgang Ischinger© Deutschlandradio - Bettina Straub
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