Iranische Frauen und der Fußball

Von Amin Farzanefar · 28.06.2006
Hin und her ging es in den vergangenen Wochen: Kurz vor der WM hatte Irans Staatspräsident Ahmadineschad das generelle Stadionverbot für Frauen aufgehoben, um sich als moderat und liberal darzustellen. Doch schon nach wenigen Tagen bekräftigte Ayatollah Chamenei das Verbot, und behielt damit, als Oberster Geistlicher der Islamischen Republik, das letzte Wort. Jetzt beschäftigt sich ein iranischer Film mit diesem Phänomen.
Musik: Iran Iran

Die staatlichen iranischen Sender übertragen sämtliche WM-Spiele mit 5-sekündiger Verzögerung, damit eventuelle unsittliche Bilder von sambatanzenden Brasilianerinnen, oder blitzartig auf die Spielfläche stürmenden Nackedeis das schamhafte Schiitenauge nicht beleidigen...
Solche eigentümlichen Sittlichkeitsvorstellungen sind auch der Grund, warum Iranerinnen zwar ganz unbeanstandet ins Kino oder Theater gehen dürfen, ihnen jedoch der Zutritt zu iranischen Fussballstadien gänzlich verwehrt bleibt, Und damit sind wir beim Thema von "OFFSIDE", der iranischen Fussball-Komödie von Jaafar Panahi

Mädel: "Bitte lassen Sie mich doch rein. Ich misch mich unter die Menge. Keiner wird was merken. Das geht nicht. Ja, aber warum. Bitte lassen Sie mich doch rein! Ich sagte: das geht nicht. Los weiter. Was soll da schon passieren, wenn ich reingehe, das wird garantiert keiner mitkriegen. Das glaubst aber auch nur du! Unser Oberst hat ne Liste mit allen Namen."

Die kleine DV-Handkamera folgt eingangs einer jungen Teheranerin, die sich trotz des Verbotes Einlass ins Stadion verschafft - mit Basecap, langem Trikot als Junge getarnt. Dabei ertappt, wird sie hinter den Tribünen in einem provisorisch abzäunten Areal zu weiteren verkleideten Rebellinnen gesperrt wird, die in unmittelbarer Nähe des Geschehens dennoch nichts vom Spiel zu sehen bekommen. Bewacht von naiven, überforderten und recht verklemmten Wachsoldaten aus dem iranischen Hinterland, geben sich diese Teheraner Girlies wenig eingeschüchtert, eines von ihnen hatte sich gar als Offizier verkleidet einen Logenplatz gesichert, eine andere ist eine schlagfertige Amazone.

Dialog Offizier/Amazone:
"- Hey mach die sofort aus, du spinnst wohl. Ausmachen, sofort ausmachen!
- Hey du kriegts noch n Herzinfarkt, hör auf zu schreien.
- Hier wird nicht geraucht!
- Mann! Ist Rauchen jetzt etwa auch schon ein Verbrechen ...
- Hier wird nicht geraucht!
- Rauch zuhause...
- Aber klar doch, ganz wie du willst...
- Mach sie aus!
- Klar doch, ich rauch zuhause....
- Die Alte nervt doch.
- Scheiße.. was läuft hier eigentlich?"

Die zahllosen mal drastischen, mal spitzfindigen Wortgefechte über Anstand und Sitte der Geschlechter werden von absurden Situationen unterbrochen - etwa wenn ein Soldat beim Toilettengang einer Delinquentin versucht, das Männerklo zu evakuieren, und dem Mädel als Maske ein Fußballstar-Plakat aufsetzt, damit sie die zotigen Klosprüche nicht lesen kann - ein Versuch, der natürlich misslingt...

"Ich versteh euch nicht, was ist denn nur los? Seid Ihr Frauen aus Teheran denn alle verrückt geworden? Die eine hier hält 'nen grossen Vortrag und will zur Armee und die andere will urplötzlich auf ne Männertoilette."

So entsteht ein bissiges kleines Gesellschaftsporträt mitten im Teheraner Azadi-Stadion mit seinen 100.000 Plätzen - aber im Abseits des Spiels und der Männergesellschaft, und weitab der üblichen Iranklischees zwischen Folklore und Feindbild. Obwohl die bisweilen allzu brave deutsche Synchronfassung einiges an vieldeutigen Zwischentönen, an frechem Wortwitz und Spontaneität des Originals unterschlägt, gelingt "OFFSIDE" der Sprung über die Kulturgrenze mühelos. Neben allem Satirepotenzial überzeugt diese Crossdressing-Komödie (Kleidertausch-Komödie) dabei auch künstlerisch: Dass sich die gesamte Filmhandlung fast in Realzeit ereignet – "ein Spiel dauert neunzig Minuten" - dass der Aktionsradius der eingesperrten Mädchen begrenzt ist, führt zu einer dramatischen Verdichtung – ( gewissermassen im Sinne der schon von Aristoteles geforderten Einheit von Ort, Zeit und Handlung). Das Spiel der Laiendarstellerinnen wird in seiner Intensität noch gesteigert durch den unausgesetzten Lärm der männlichen Schlachtenbummler, Teilhaber einer kollektiven Hysterie, in deren Abseits sich andere, persönlichere Dramen ereignen.

"Vom Aufschrei der Massen unterbrochner einzelner Fan (extreme Stimmungsschwankung zwischen Euphorie und Depression) Jaja ...OOOH ...Mist das ist ja nicht zum Aushalten ...AAAAHH.....Scheisse,...OOOOOH. wir haben kein Glück."

Damit bietet Jaafar Panahis Film ein Parade-Beispiel für typisch iranischen Fanatismus: tatsächlich ist das Fussballfieber in Iran beispiellos, jeder durchschnittliche Fan kennt die deutschen Bundesliga-Ergebnisse in- und auswendig - schliesslich kicken immerhin sieben Nationalspieler in Deutschland. Und vor allem bietet Fussball in der restriktiven Islamischen Republik eine der wenigen erlaubten Möglichkeiten der weltlichen Ekstase.

Alter Mann: "Du schreist, und singst und gehst mit der Menge mit, aber das beste ist: du kannst verdammt noch mal fluchen und schimpfen, was das Zeug hält - keiner kriegt was mit, du kannst sagen, was du willst und links und rechts juckt es niemanden..."

Von zusätzlicher Brisanz ist hier, dass "Offside" während des WM-Qualifikations-Matches gegen Bahrain spielt - für die Einwohner des isolierten Gottesstaat bedeutet der Fussball auch ein Tor zur Welt – ähnlich auch wie das im Ausland gefeierte Iranische Kino.

Dessen bekannteste Vertreter sehen sich im Iran selbst allerdings häufig ins Abseits gestellt. Während auf Jaafar Panahis letzte Filme - die Sozialdramen "Der Kreis" und "Bitteres Gold" - ein internationaler Preisregen niederging, laufen sie im Iran bestenfalls in einzelnen Sondervorführungen. Das Drehbuch zu "OFFSIDE" passierte nur deshalb die Zensurbehörde, weil Panahi seinen Namen durch den eines Strohmannes ersetzt hatte, und sämtliche Frauenrollen mit Männernamen kaschiert waren. Da er den Film unauffällig mit kleinstem Team in wenigen Drehtagen umsetzte, flog der Schwindel erst kurz vor Drehschluss auf.

"OFFSIDE" schlüpfte gerade noch beim Teheraner Filmfestival durch, um kurz darauf den Silbernen Bären der Berlinale zu gewinnen. Während er jetzt passend zur WM zügig im deutschen Kinoprogramm positioniert wurde, wird der Film im Iran - wenn überhaupt jemals - wohl nur mit der landesüblichen Verzögerung auf die Leinwände gelangen.

Macht aber nix, Iranerinnen wie Iraner sind findig im Ersinnen von Alternativen: wer es sich nur irgend leisten kann, schaut die verzögert ausgestrahlten WM-Spiele viel lieber live per Satelliten-Schüssel, und auch "OFFSIDE" ist inzwischen schon als erschwingliche DVD-Schwarzpressung bei gut sortierten Teheraner Videotheken zu erhalten
Musik: Fussballhymne Iran - Iran