Iran vor der Präsidentschaftswahl

Reformer gegen Revolutionswächter

Irans Präsident Hassan Rohani
Irans Präsident Hassan Rohani © AFP / ATTA KENARE
Von Reinhard Baumgarten · 18.05.2017
Der amtierende iranische Präsident Hassan Rohani hat gute Chancen, morgen wieder gewählt zu werden. Für diesen Fall verspricht er, sich für eine Öffnung des Landes einzusetzen und den Einfluss der Revolutionswächter und religiösen Stiftungen auf die Wirtschaft zurückzudrängen.
Die Metro-Linie 1 überwindet auf 40 Kilometer Länge knapp 600 Höhenmeter. Es ist eine Fahrt durch Geschichten und gesellschaftliche Schichten der Islamischen Republik Iran.
Im Norden Teherans leben auch 38 Jahre nach der Revolution noch viele Reiche. Heute sind es vor allem Neureiche: Profiteure der bestehenden Machtverhältnisse. Sie meiden die qualvolle Enge der stickigen Metro. Sie haben nichts zu tun mit den Bettlerinnen und Bettlern in den U-Bahn-Waggons. Wegen der anhaltenden Wirtschaftsflaute nimmt die Zahl der armen Menschen immer mehr zu.
Sie kaufen den vielen fliegenden Händlern in den Metrozügen keine Gürtel, Decken, Zahnbürsten, Kopfhörer, Adapter oder Gummibärchen ab. Sie durchqueren den 14-Millionen-Moloch Teheran im BMW, im Landcruisern oder im Porsche Cayenne.
Tajreesh – eine Metrostation knapp 70 Meter tief in den Berg gegraben. Hier steigt Sara zu. Die 24-Jährige ist eine von täglich rund 3,5 Millionen Fahrgästen. Sara studiert Psychologie. Sie ist auf dem Weg zu einer Wahlveranstaltung. Im Iran herrsche keine soziale Gerechtigkeit, stellt die junge Frau fest.
"Eine Minderheit besitzt immensen Reichtum, während ein Teil der Bevölkerung in bitterer Armut lebt. Es wäre nicht schwer, diese Minderheit zu identifizieren und stärker zur Kasse zu bitten."

Rohanis "realistischer Blick"

Die Sporthalle Shaheed Shirudi im Zentrum Teherans ist Saras Ziel. Yar-e dabestāni-yeman – auf Deutsch: Mein Schulfreund. Seit Mitte der 90er-Jahre ist das Lied die Hymne all jener, die Veränderungen in der Islamischen Republik wollen.
"Mein Schulfreund, du bist mit mir, du begleitest mich, du bist mein Schrei und meine Wehmut, wenn die Peitsche auf uns niederfährt."
Jeder in der Sporthalle Shaheed Shirudi kennt den Text. Sie singen ihn immer wieder, wenn sie zusammenkommen, um sich gegenseitig Mut zu machen.
"Wer außer dir und mir kann die Schleier der Unterdrückung herunterreißen? Wer außer dir und mir kann für all das Leid eine Lösung finden?"
Yā Hossein Mir Hossein ist der Hoffnungsträger vieler junger Menschen. Doch Mir Hossein Mussawi steht seit Jahren unter Hausarrest. 2009 glaubten viele, Mussawi habe die Wahlen gewonnen. Doch ein anderer wurde überraschend zum Sieger erklärt: Mahmoud Ahmadinejād.
Auch Mohammad Khatami ist ein Hoffnungsträger. Er war der fünfte Präsident der Islamischen Republik und ein echter Reformer. Vor 20 Jahren wurde er mit mehr als 70 Prozent der Stimmen gewählt. Mit knapp 80 Prozent wurde er vier Jahre später im Amt bestätigt. Für die staatlichen Medien ist er heute persona non grata. Sein Bild darf nicht gezeigt, sein Name darf nicht erwähnt werden.
"Lang lebe Khatami, Rohani muss bleiben" rufen Tausende junge Menschen in der Shaheed Shirudi Halle. Hassan Rohani ist der amtierende Hoffnungsträger vor allem der jungen Generation. Seit 2013 ist er siebter Präsident der Islamischen Republik Iran.
"Was Rohani von allen anderen Kandidaten unterscheidet, ist sein realistischer und intelligenter Blick auf die Angelegenheiten im Innern und der Umgang mit dem Ausland. Die anderen Kandidaten sind leider radikal. Sie haben kein Interesse daran, mit der Welt in Verbindung zu stehen. Das ist schlecht für unsere Zukunft. In einer globalisierten Welt müssen wir mit der Welt zusammenarbeiten. Auslandsbeziehungen sind sehr wichtig. Ich reise oft. Veränderungen in unserer Politik kann ich im Ausland unmittelbar feststellen – durch die Reaktionen auf mich als iranische Bürgerin."

Ali Khamenei will Öffnung nach außen verhindern

Rohani Islahāt, Pirouzeh intekhabāt – Rohani Reformer, Sieger der Wahl. 20.000 Menschen sind in die Azadi-Sporthalle im Westen Teherans zu einer Wahlveranstaltung von Präsident Rohani gekommen. Keiner der sechs vom Wächterrat zugelassenen Kandidaten zieht so viele Menschen an wie Rohani.
"Wir brauchen jemanden an der Spitze, der in der Lage ist, mit dem Ausland zu kooperieren."
Negin ist 27. Sie hat Wirtschaftsinformatik studiert.
"Die Beziehungen Irans zum Ausland sind sehr wichtig. Bis vor zwei, drei Jahren habe ich das nicht begriffen. Aber seit ich mich mit der Bedeutung internationaler Beziehungen befasse, habe ich erkannt, dass ohne geregelte Beziehungen zum Ausland keine Normalität zu erwarten ist. In der heutigen Welt darf sich kein Land mehr isolieren."
Der Fortschritt Irans liege in Forschung, Technologie und in der Zusammenarbeit mit der Welt, beschwört Rohani. Doch es gibt mächtige Kräfte in der Islamischen Republik, die nichts mehr fürchten als eine Öffnung nach außen. Revolutionsführer Ali Khamenei ist der starke Mann Irans. Er setzt den Kurs in allen wichtigen politischen und gesellschaftlichen Fragen des Landes.
Der geistliche Führer des Iran, Ayatollah Ali Chamenei
Der geistliche Führer des Iran, Ayatollah Ali Chamenei© imago / UPI photo
Wenn Rahbar-e Enghelāb, der genannte Revolutionsführer, spricht, dann geht es fast immer um DEN Feind. Der Feind bedroht den Iran. Der Feind hat Spitzel und Agenten im Land. Der Feind wünscht ein Scheitern der Islamischen Republik. Der Feind – das sind das "zionistisches Regime" genannte Israel - und das sind vor allem die USA.
"Diese ständige Aufforderung zu Gesprächen und Verhandlungen ist nur ein Vorwand für Einflussnahme. Manche leichtsinnige, törichte Politiker verstehen nicht, welche Absicht hinter solchen Gesprächen und Verhandlungen verborgen ist."
Viele sind überzeugt davon, dass sich die Schelte auf die Rohani-Administration bezieht. Das im Juli 2015 in Wien geschlossene Abkommen über das iranische Atomprogramm findet noch die Zustimmung Khameneis. Bis in die obersten Spitzen des Landes hat sich damals die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein Kompromiss im Streit um das iranische Atomprogramm gefunden werden muss, wenn ein Krieg mit Israel und den USA sowie der wirtschaftliche Kollaps des Landes verhindert werden sollen.
Doch kurz nach Vertragsschluss proklamiert Ayatollah Khamenei:
"Verhandlungen mit den USA sind verboten. Sie bringen viele Nachteile. Sie haben keinerlei Nutzen. Verhandlungen mit anderen Ländern, die uns nicht schaden können oder wollen, hingegen sind möglich."

Konzertverbote und Patrouillen von Sittenwächtern

Mehr als 60 Prozent der knapp 80 Millionen Iranerinnen und Iraner sind jünger als die Revolution. Dank Internet, Satellitenfernsehen und Reisen reicht ihr Weltbild über die geografischen und ideologischen Grenzen der Islamischen Republik hinaus. Deshalb verfangen gerade bei jungen Menschen Hassan Rohanis Versprechen:
"Wir wollen soziale und politische Freiheit. Wir wollen freie Gedanken- und Meinungsäußerung. Auch unsere Freizeitaktivitäten wollen wir frei wählen dürfen."
Konzertverbote und Patrouillen von Sittenwächtern, fragt die Studentin Sara konsterniert, sind das wirklich die drängenden Probleme Irans?
"Die Welt lacht über uns, wenn die Farbe unserer Kleidung ein Problem ist, welche Musik wir hören dürfen oder wie wir uns verhalten sollen. Wenn wir uns über solche Details streiten, können wir dann große Probleme lösen? Nein, mit Sicherheit nicht."

Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 25 Prozent

Das Land hat ganz konkrete Probleme, die den sozialen Frieden ernsthaft gefährden: Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit bei 12,5 Prozent, inoffiziell könnte sie fast doppelt so hoch sein; die Jugendarbeitslosigkeit beträgt rund 25 Prozent. Die Defizite der iranischen Wirtschaft seien ihm bekannt, verkündet Revolutionsführer Khamenei, Jugendarbeitslosigkeit und Arbeitslosigkeit unter Akademikern stellten große Probleme dar.
"Jeder Verantwortungsträger der nächsten Regierung, Regierungschef oder Wirtschaftsminister, muss vom ersten Tag an seine gesamte Aufmerksamkeit der Schaffung von Arbeitsplätzen widmen."
Problem erkannt, Gefahr gebannt? Mitnichten. Revolutionsführer Khamenei redet einer so genannten Ökonomie des Widerstands das Wort. Will heißen: eigene Produktion im Iran steigern, weniger Importe, weniger Abhängigkeit vom Ausland. Für den Präsidentschaftskandidaten Eshaq Jahangiri kann das nicht funktionieren, weil der Iran nicht über genügend Bordmittel verfügt, um die siechende Wirtschaft wieder flott zu machen.
"Im Fünfjahresplan steht, dass das Land in den nächsten Jahren mehr als 200 Milliarden Dollar an Investitionen braucht, um eine Wachstumsrate von acht Prozent zu erreichen."
Der Iran besitzt die größten Gas- und die viertgrößten Ölverkommen der Welt. Diesen Reichtum könne das Land zum Wohle der Nation nur nutzen, wenn es mit der Welt zusammenarbeite, beharrt Präsident Rohani.
"Wenn wir für unsere Jugend Arbeit schaffen wollen, dann müssen wir Investitionen anlocken. Egal ob es sich um Industrie, Landwirtschaft oder Dienstleistungen handelt. Wir müssen auch für Rechtssicherheit sorgen. Die Justiz muss besser mit uns zusammenarbeiten, auch die Sicherheitskräfte müssen kooperieren. Wenn wir Investition anlocken wollen, dann müssen alle zusammenarbeiten!"
Junge Iranerinnen in Jeans und bunten Tüchern gehen mit Einkaufstüten eine Straße entlang.
Junge Iranerinnen beim Shoppen in Teheran.© ATTA KENARE / AFP
Aber ohne internationale Bankenbeteiligung werden ausländische Unternehmen keine großen Investitionen im Iran tätigen. Kürzlich hat der französische Mischkonzern Bouygues vom Bau eines neuen Terminals für den Imam Khomeini-Flughafen in Teheran abgesehen, weil sich kein internationales Kreditinstitut fand, die Finanzierung zu übernehmen. Internationale Geldinstitute meiden Geschäfte mit dem Iran. Nach wie vor sind US-amerikanische Sanktionen in Kraft, die Bankgeschäfte mit dem Iran unter Strafe stellen.
"Liebe Iraner, stimmt für Freiheit", wirbt Hassan Rohani. Und er gelobt:
"Ich bin bereit, die noch bestehenden Sanktionen aufzuheben, wenn ich gewählt werde. So wie die Atomsanktionen aufgehoben wurden."

Rohani: Revolutionswächter und religiöse Stiftungen sollen Steuern zahlen

Der 68-Jährige wird dieses Versprechen nicht einlösen können, denn er ist nur ein einzelner Player in diesem großen Spiel. Der Iran hält sich an die Verabredungen des Atomabkommens. Das hat die Internationale Atomaufsichtsbehörde in Wien mehrfach bestätigt.
Dennoch arbeiten in den USA ideologische Hardliner fleißig daran, neue Sanktionen gegen den eingeschworenen Feind Islamische Republik Iran auf den Weg zu bringen. Der Konflikt zwischen Teheran und Washington droht in den kommenden Wochen und Monaten deutlich an Schärfe zu gewinnen.
Will der promovierte Islamgelehrte Rohani seine Reformpolitik fortsetzen, muss er sich mit den Hardlinern in den USA sowie in seinem eigenen Land auseinandersetzen.
"Wir haben gesehen, was sie taten, um die Atom-Einigung platzen zu lassen. Sie haben unterirdische Raketensilos gezeigt; sie haben Parolen auf Raketen geschrieben, damit wir die Vorteile der Atomeinigung nicht zu 100 Prozent nutzen können."
Wiederholt haben die Sepah Pasdaran genannten Revolutionswächter ballistische Raketen getestet und damit der Trump-Administration den Vorwand für neue Sanktionen gegen den Iran geliefert. Die Revolutionswächter unterstehen direkt dem Velayāt-e Faghi genannten Obersten Rechtsgelehrten Ali Khamenei. Sie sind im Laufe der Jahre quasi zum Staat im Staate geworden.
Der frühere iranische Präsident Ahmadineschad im Parlament in Teheran
Der frühere iranische Präsident Ahmadineschad © dpa/picture alliance
Unter Rohanis Vorgänger Ahmadinejad haben sie ihre politische, militärische und vor allem wirtschaftliche Stellung im Land immer weiter ausgebaut. Heute kontrollieren Unternehmen der Pasdaran bis zu 40 Prozent der iranischen Wirtschaft. Hassan Rohani versucht, den Einfluss der Revolutionswächter einzudämmen.
"Wenn wir eine bessere Wirtschaft wollen, dann sollten wir freien Wettbewerb im Land fördern. Wir müssen dem privaten Sektor Chancen eröffnen. Wir sollten keine Gruppen an der Wirtschaft teilhaben lassen, die politische Rückendeckung genießen."
Gemeint sind damit die mächtigen Revolutionswächter sowie die Bonyad genannten religiösen Stiftungen. Sie alle mischen kräftig in der iranischen Wirtschaft mit, zahlen keine oder nur extrem wenige Steuern, verschaffen sich dadurch erhebliche Wettbewerbsvorteile und dienen ihren privilegierten Nutznießern zur opulenten Selbstversorgung.
"Wir wollen keine Ausnahme-Einrichtungen, die von Steuern befreit sind. Ich habe mich gefreut, als jemand das Wort 'Steuern' benutzte. Steuern sind gut, wenn die Menschen sie zahlen, aber sollen diese Einrichtungen keine zahlen?"
Sie sollen. Das entsprechende Gesetz ist verabschiedet und vom Wächterrat ratifiziert worden. Ob es umgesetzt wird, steht damit aber noch lange nicht fest. Ob die Macht der Revolutionswächter und der religiösen Stiftungen wirklich eingeschränkt wird, ist noch lange nicht ausgemacht. Sie haben viel zu verlieren, und sie verfügen über sehr großen Einfluss im Herrschaftsgetriebe der Islamischen Republik.
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