Iran spielt geschickt mit "Doppelmoral" des Westens

Oliver Meier im Gespräch mit Gabi Wuttke · 25.05.2012
Wegen der Wahlen in den USA und im Iran rechnet der Politologe Oliver Meier nicht mit einem Durchbruch bei den Atomgesprächen in diesem Jahr. Es gebe aber wieder einen kontinuierlichen Dialog und die Bereitschaft, ihn zielgerichtet fortzuführen, sagte er.
Gabi Wuttke: Wir sprechen miteinander, sagen Europa und die USA, und wir werden im Juni mit Vertretern aus Teheran weiterreden. Die wiederum sagen: Wir werden weiter miteinander sprechen, weil die fünf UN-Vetomächte und Deutschland die Rechte des Iran nicht anerkennen. So knapp lässt sich das zweitägige Treffen in Bagdad zusammenfassen. Es ging natürlich um das iranische Atomprogramm respektive um die Urananreicherung. Man fragt sich jetzt: Wird das immer so weitergehen? Oliver Meier arbeitet für das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg. Einen schönen guten Morgen!

Oliver Meier: Schönen guten Morgen!

Wuttke: Man findet zwei Bezeichnungen für Sie: Abrüstungsexperte und Friedensforscher. Sind das auch die beiden Seiten der Medaille bei der Urananreicherung im Iran?

Meier: Na, die beiden Seiten vielleicht nicht, aber es geht hier schon darum, ob wir es schaffen, in Richtung eines atomwaffenfreien Nahen und Mittleren Osten Schritte zu unternehmen. In diesem Kontext wird auch über den Iran gesprochen, und damit insgesamt steht natürlich der Wert von Atomwaffen für Stabilität oder eben Instabilität hier im Hintergrund mit im Spiel. Und es ist von daher schon so, dass eben als Friedensforscher man grundsätzlich bezweifeln würde, dass solche Waffen für mehr Stabilität sorgen und möglicherweise auch dann eben den Frieden erhalten können. Das ist etwas, was Friedensforschung grundsätzlich bezweifeln würde. Und dieses Argument spielt natürlich auch eine große Rolle in den Diskussionen mit dem Iran. Der Weg dahin ist ein schwieriger, wie wir jetzt wieder sehen. Und da kommt eben die Abrüstungsproblematik ins Spiel. Man muss eben Schritt für Schritt vorgehen und auch im Detail dann versuchen, diesen Weg hin zu einem atomwaffenfreien Mittleren Osten oder eben zu einer atomwaffenfreien Welt zu beschreiten, und da kommt die Abrüstung dann eben und die Rüstungskontrolle ins Spiel und die technische Seite dieser ganzen Gespräche.

Wuttke: Aber wenn wir uns erinnern: Die USA und die Sowjetunion, der Westen und der Osten, die führten über Jahrzehnte einen Kalten Krieg, rüsteten auf, aber es blieb friedlich.

Meier: Ja, aber mit viel Glück, und dass es sozusagen nicht zu der großen Auseinandersetzung, der nuklearen Auseinandersetzung gekommen ist, war nicht notwendigerweise so. Und es hat sich mittlerweile eben doch die Einsicht durchgesetzt, auch in den USA – und da ist eben der Wandel hin zu Präsident Obama doch signifikant –, dass langfristig die Stabilität nur in einer atomwaffenfreien Welt gesichert werden kann. Das ist eigentlich die neue Einsicht, dass man jenseits des Ost-West-Konflikts mit Atomwaffen auf Dauer nicht wird leben können, weil dann eben die Gefahr der Proliferation, wie wir es auch im Iran sehen, dann auch akut wird. Und das ist eigentlich das Neue jetzt.

Wuttke: Das heißt, Hiroshima und Nagasaki könnten für Sie nicht die Warnung gewesen sein, die zwar Drohgebärden erhalten hat, aber ansonsten doch maßgeblich dafür ist, abzuschrecken, zurückzuschrecken vor dem, womit immer wieder auch aus unterschiedlichen Ländern in den letzten Jahrzehnten gedroht wurde und wird?

Meier: Na, es gibt auch jetzt im Zusammenhang mit dem Iran immer noch die Gedankenschule, das sagt: Wir müssen uns im Grunde genommen damit abfinden, dass der Iran über kurz oder lang zur Atommacht werden wird und es geht nur darum, den Iran einzuhegen und für stabile Abschreckung in dieser Region zu sorgen. Diese Gedankenschule gibt es durchaus und die ist auch durchaus noch wirkungsmächtig. Insgesamt aber, muss man sagen, ist es doch so, dass glaube ich die meisten Regierungen zu der Einsicht gekommen sind, dass das nicht wünschenswert ist und dass man nach wie vor ernsthaft versuchen sollte, den Iran davon abzuhalten, Atomwaffen zu entwickeln – er hat sie ja noch nicht –, und in dem Zusammenhang dann natürlich auch darauf hinzuwirken, dass die Region insgesamt keine Atomwaffen hat. Und das bedeutet natürlich auch, dass global, weltweit mehr dafür getan werden muss, dass Atomwaffen an Wert verlieren, dass auch die Anzahl von Atomwaffen reduziert wird, weil nur dann kann man natürlich glaubwürdig auch von Staaten wie dem Iran verlangen und fordern, auf Atomwaffen zu verzichten, wenn man selber das auch tut.

Wuttke: Mal jenseits des Verständnisses, der Einsichten, die sich entwickelt haben, Herr Meier: Nicht von ungefähr spricht die amerikanische Seite jetzt von einer positiven Entwicklung, möchte man meinen: Barack Obama befindet sich im Wahlkampf, und auch Ahmadinedschad hat etwas zu verteidigen. Wie viel politische PR steckt denn in dieser Sache, in diesen Treffen?

Meier: Ja, natürlich sehr viel in der Außendarstellung. Jede Seite will sich natürlich hinterher so darstellen, dass hier Erfolge erzielt worden sind. Aber es ist tatsächlich so, dass wir seit vielen Jahren jetzt erst mal wieder einen kontinuierlichen Dialog zwischen den beiden Seiten haben. In der Vergangenheit, in den letzten Jahren war es ja oft so, dass dann ein Treffen stattfand, dass dann mehr oder weniger offen gescheitert ist, weil beide Seiten mit Maximalforderungen hineingegangen sind. Was man jetzt gesehen hat – mit den beiden Treffen, die wir hatten, und auch eben die Tatsache, dass man sich jetzt drauf geeinigt hat, im Juni sich in Moskau wiederzutreffen – ist, dass man bereit ist, diesen Dialog fortzuführen, dass man ihn auch zielgerichtet fortführt, dass man hier sich konzentriert offensichtlich bis zu einem gewissen Grad darauf, was an nächsten Schritten möglich ist, um hier mehr Vertrauen zu schaffen. Und das alleine ist natürlich schon eine Änderung. Das hat natürlich damit zu tun, dass in den USA Wahlen demnächst stattfinden, und auch im Iran wird ja im nächsten Jahr ein neuer Präsident gewählt. Also es ist eine Situation in diesem Jahr, wo man tatsächlich nicht damit rechnen kann, dass es hier zu dem großen Durchbruch möglicherweise in absehbarer Zukunft kommt, aber man will eben jetzt diesen Dialog fortführen.

Wuttke: Prinzipiell stellt sich aber immer wieder dieselbe Frage: Kann man das Atomprogramm des Iran, die Urananreicherung, isoliert betrachten, wenn beispielsweise Indien offizielle, Israel inoffizielle Atommacht ist?

Meier: Hier wird mit zweierlei Maß gemessen, auch vonseiten der Staatengemeinschaft und der westlichen Staaten insbesondere.

Wuttke: Das macht ja die Sache aber auch so kompliziert.

Meier: Das macht die Sache so kompliziert, und der Iran ist natürlich andererseits – muss man auch sagen – sehr geschickt darin, diese Doppelmoral zu verwenden, um von den eigenen Verfehlungen abzulenken. Und von daher ist es schon so, dass diese Problematik im Hintergrund steht und dass man natürlich am Beispiel des Iran sehr gut verdeutlichen kann, wie hier auch unterschiedliche Maßstäbe zum Teil angelegt werden. Andererseits weist der Westen eben auch zu Recht darauf hin, dass der Iran Mitglied im Nichtverbreitungsvertrag ist, dass er bestimmte rechtliche Verpflichtungen eingegangen hat, die Indien etwa nicht eingegangen ist. Und von daher besteht da ja schon auch ein bedeutender völkerrechtlicher Unterschied, den man auch nicht kleinreden sollte.

Wuttke: Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Oliver Meier vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg. Ich danke Ihnen sehr!

Meier: Ja, gerne!


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