Interview mit einem Terroristen

Journalistin begegnet IS-Kämpfer

Gruppe von IS-Kämpfern an der syrisch-irakischen Grenzen auf einem nicht näher bezeichneten Foto, dass die den Dschihadisten nahestehende Gruppe Albaraka News am 17. Juni 2014 auf Twitter veröffentlicht hat.
Gruppe von IS-Kämpfern im irakisch-syrischen Grenzgebiet © dpa / Albaraka News
Moderation: Katja Schlesinger und Frank Meyer · 21.08.2014
Nur unter scharfen Sicherheitsbedingungen konnte die Journalistin Souad Mekhennet einen ranghohen IS-Funktionär, genannt Abu Yusaf, im türkisch-syrischen Grenzgebiet treffen. Yusaf rechtfertigt den radikal-islamischen Terror als späte Rache für den Kolonialismus.
Katja Schlesinger: Der Aufmacher im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hat uns heute regelrecht angesprungen. Ein großes Foto, darauf die Kämpfer des Islamischen Staats, martialisch gekleidet in Schwarz mit vermummtem Gesicht. Sie tragen natürlich Waffen, und unter diesem Bild steht der sehr eindrückliche Bericht der deutschen Journalistin Souad Mekhennet über ihre Begegnungen mit zwei Kämpfern des Islamischen Staats.
Frank Meyer: Und man fragt sich natürlich sofort, wie geht das eigentlich? Eine junge Frau trifft Terroristen, die eine Gräueltat nach der anderen begehen, die Menschen die Köpfe abschlagen, die auch Frauen vergewaltigen. Man kann sich ein Interview unter gefährlicheren Bedingungen nur schwer vorstellen.
Schlesinger: Und es kommt noch dazu, dass einer der Kämpfer zu einem kleinen Kreis gehört, der Kontakt zu Al-Baghdadi hat, das ist der Chef oder Kalif der Terrorgruppe Islamischer Staat.
Meyer: Wir wollten gern mehr wissen über diese Begegnung und freuen uns sehr, dass wir Souad Mekhennet jetzt am Telefon haben, sie ist im Ausland unterwegs. Guten Tag, Frau Mekhennet!
Souad Mekhennet: Schönen guten Tag!
Schlesinger: Sie bereisen seit Jahren schon Krisengebiete, haben viele Kontakte dort - aber diese Begegnung jetzt, wie kam die zustande? Solche Kämpfer der IS, die trifft man ja nicht einfach so.
Gespräche mit Funktionären von Al-Kaida und den Taliban
Mekhennet: Ja, Sie haben natürlich recht, dass die jahrelange Erfahrung in dem Berichtsgebiet natürlich dabei geholfen hat, auch den Kontakt zu bekommen. Ich schreibe seit den Anschlägen vom 11. September nun sehr viel zu diesem Bereich Terrorismus, Islamismus, und habe für die amerikanischen Medien vor allen Dingen auch hohe Funktionäre von Al-Kaida und den Taliban in der Vergangenheit interviewt. Nun sind auch einige dieser Gruppierungen zu IS übergelaufen, und, nun ja, Sie wissen, wie das ist - wenn man natürlich Kontakte noch hat, dann kann es sein, oder können die natürlich auch sehr hilfreich dabei sein, an so Leute wie Abu Yusaf zu geraten, also an einen hohen Funktionär der IS. Aber es hat natürlich gedauert, und es waren auch sehr viele, ich sage jetzt mal, verschiedene Schritte notwendig, bis es zu dieser Begegnung kam.
Schlesinger: Abu Jussef, Sie nannten ihn gerade, das ist der Militärchef von Al-Baghdadi, dem Kalifen. Sie trafen den in keinem Hotelzimmer, sondern in einem fahrenden Auto. Ich nehme an, das waren Vorgaben, an denen konnten Sie nicht rütteln?
Mekhennet: Absolut. Das waren natürlich auch Vorgaben, über die man erst mal sehr lange nachdenken muss, weil es auch ein sehr hohes Sicherheitsrisiko bedeutet. Nun ist es natürlich so, wenn wir als Journalisten, oder jetzt auch in dem Fall ganz spezifisch ich, mit solchen Leuten Interviews führen wollen, dann wissen wir, für die ist das natürlich auch ein Sicherheitsrisiko, und dann muss man versuchen, einen Weg zu finden, der für beide halbwegs erträglich ist. Jetzt war es in dem Fall so, dass das Interview nicht nur in einem fahrenden Fahrzeug stattfinden sollte, sondern auch immer weiter in die Nacht hinausgezögert wurde.
Keine Handtasche, keine Ausweispapiere, kein Telefon
Schlesinger: Das hat sich verändert an dem Tag - an dem Abend, an dem Sie das Treffen hatten, wurde das Treffen nach hinten verschoben immer mehr, dann?
Meyer: Es wurde weiter nach hinten verschoben, und das sind dann natürlich Momente, wo man sich die Frage stellt, macht man das jetzt noch? Kann es sein, dass dieses Auto dann ganz woanders hinfahren wird, also nicht nur im Grenzgebiet bleiben wird, sondern ...
Schlesinger: Sie durften ja auch kein Telefon dabei haben?
Mekhennet: Nein. Das waren auch Vorgaben. Es hieß, dass keine Handtasche, keine Ausweispapiere, kein Telefon und noch nicht mal eine Uhr mitgenommen werden durften. Außer Block und Bleistift beziehungsweise Kugelschreiber war nichts erlaubt. Das sind eben Momente, wo man dann überlegen muss, ich habe, wie gesagt, in der Vergangenheit unter anderen Umständen auch mit solchen Leuten Interviews geführt, aber das war jetzt schon auch noch mal eine ganz andere Kategorie, einfach auch, weil man die IS sehr schlecht einschätzen konnte oder kann. Jetzt mittlerweile, nach dem Interview, kann ich sie besser einschätzen, aber zum damaligen Zeitpunkt gab es einfach zu viele Gerüchte auch und verschiedene Berichte auch, was da nun vorgeht in dieser Region. Aber es waren schon Überlegungen - tja, man weiß, es kann passieren, dass es gut geht, es kann aber auch sein, dass das Auto ganz woanders hinfährt. Das Risiko musste man dann eingehen, um dieses Interview zu bekommen.
Meyer: Dann lassen Sie uns über Ihre Einschätzungen reden. Abu Yusaf, mit dem Sie gesprochen haben, der ist in Europa aufgewachsen, in einem Benelux-Land. Haben Sie erfahren können, was ihn radikalisiert hat, zum IS-Kämpfer gemacht hat.
Mekhennet: Ja, ich muss dazusagen, ich kenne die Identität von Abu Yusaf, ich konnte das auch sozusagen belegen. Also das, was er mir erzählte, ich weiß, um wen es sich handelt, aber es ist eine Bedingung gewesen, diese, ich sage jetzt mal, Details nicht preiszugeben in dem Artikel. Er ist in einem Benelux-Land geboren und aufgewachsen. Wir haben darüber gesprochen, was dazu geführt hat, dass er auf einmal sich anfing, für diese radikale Interpretation des Islams zu interessieren. Und wie bei vielen anderen auch, die in Europa sozusagen radikalisiert wurden, fing es bei ihm damit an, dass er sagt, er habe versucht, sich einzugliedern in die Gesellschaft, aber merkte irgendwann, dass er immer nur der Nordafrikaner bleiben würde, also auch nie voll akzeptiert wird in der Gesellschaft. Er erzählte mir, dass er bei der Ausbildungssuche Diskriminierung erlebt habe, dass seine Eltern auch diskriminiert worden seien. Da ist ein gewisses Trauma natürlich auch. Viele dieser jungen Männer und Frauen, die jetzt gerade in diesen Regionen unterwegs sind mit der IS, tragen so ein bisschen das Trauma ihrer Väter und Großväter mit sich, nämlich der Kolonialisierung. Und er sprach sehr viel davon, was die Franzosen, die Spanier und die Italiener und die Engländer ja alles auch in der islamischen Welt angerichtet haben, und dass man versucht, jetzt sozusagen durch die IS den Muslimen und auch vor allen Dingen den Arabern ihren Stolz wieder zurückzugeben. Das sind verschiedene Dinge, die da eine Rolle spielten. Bei ihm war es in der Tat, dass er sich nicht mehr zugehörig fühlte in der Gesellschaft und nach was anderem suchte, und dann kann es eben - das ist das eine. Auf der anderen Seite fing er an, sich für Politik sehr zu interessieren und sagte mir - er stellte da sehr viel Doppelstandards vor in den Aussagen der westlichen Länder, und dann, was ja auch in dem Artikel erwähnt war, er fühlte, dass der Islam insgesamt in Europa und vor allem in dem Land, in dem er aufgewachsen ist, in dem Beneluxland, verteufelt wurde. Und das führte dazu, dass er sich, dass er ein sehr gutes Opfer für Rekrutierer wurde.
"Ich habe mit ihm schon sehr kritisch auch darüber diskutiert"
Schlesinger: Nun ist Abu Yusaf in den Krieg gezogen, in den Krieg ja auch gegen Muslime, die, wie Sie gerade sagten, denen er eigentlich den Stolz zurückbringen will. Haben Sie mit ihm sich unterhalten über das, was wir hier eben tagtäglich auch berichten, über diese Gräueltaten, Kopfabschlagen und so weiter - hat er das auch alles getan, dieser Mann?
Mekhennet: Er hat es getan. Er hat mir erzählt, dass er auch, wie er sagte, Abtrünnige oder Ungläubige - da gibt es ja verschiedene Kategorien auch für Muslime, die seiner Meinung nach oder nach Meinung dieser Interpretation des Islamischen Staates nicht volle Muslime sind oder Abtrünnige sind. Und er sagt, dass das rechtens sei, also dazu zählen vor allen Dingen Schiiten, andere Angehörige von Minderheiten, Alewiten, Ismaeliten, aber auch Sunniten, die sich nicht dem Islamischen Staat unterwerfen wollten. Und da sagt er, die Regel ist, man muss sozusagen bereit sein, nach den Regeln des Islamischen Staates zu leben, weil der Islamische Staat im Prinzip ja die reinste Interpretation des Islams sei, und wer sich dem nicht anpassen wolle, der muss eben mit den Konsequenzen dann rechnen.
Schlesinger: Und Frau Mekhennet, in so einem Gespräch, hören Sie da nur zu, oder geben Sie Widerworte und stellen beispielsweise eben ein Abschlachten von Menschen in Frage und fragen auch, was er dabei fühlt?
Mekhennet: Also ich habe mit ihm natürlich auch darüber gesprochen, darüber, wie er seine Logik aufbaut beziehungsweise ihm auch widersprochen. Aber nun müssen Sie sich vorstellen, ich habe natürlich auch gefragt, wie er sich denn dabei fühlt, dass viele der Opfer ja eigentlich Muslime seien, aber nochmals - für ihn sind das keine Muslime. Und da haben Sie einen gewissen Spielraum, in dem Sie natürlich kritisch sind - also ich bin kritisch, ich habe sehr viele Diskussionen auch mit anderen Kämpfern geführt, wie gesagt, der Taliban von Australien da, aber Sie können - Sie wissen, Sie sind in einem fahrenden Fahrzeug unterwegs, also sozusagen in deren Händen, und dann müssen Sie natürlich aufpassen, dass Sie nicht den Eindruck erwecken, jetzt nicht mehr Journalistin zu sein, sondern Aktivistin für irgendjemand anderen. Und das ist dann immer ein sehr schmaler Grat. Aber ja, ich habe mit ihm schon sehr kritisch auch darüber diskutiert.
Schlesinger: Die Journalistin Souad Mekhennet hat mit zwei IS-Kämpfern gesprochen. Frau Mekhennet, wir danken Ihnen herzlich für Ihre Schilderungen!
Mekhennet: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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