Internationaler Tag des Radios

"Vergessen Sie nicht, die Antenne zu erden"

Ein Radiogerät von Quelle, das Simonetta Stereo-Großsuper ST 6501 aus dem Jahr 1965
Ein Radiogerät aus dem Jahr 1965 © picture alliance / dpa / Daniel Karmann
Von Thilo Schmidt · 12.02.2016
Die erste kommerzielle Radiosendung Deutschlands wurde 1923 von einem Dachboden am Potsdamer Platz in Berlin in den Äther geschickt. Der Beginn der rasanten Erfolgsgeschichte eines Mediums. Heute erinnert an dem historischen Ort nichts an diese Geschichte.
"Achtung, Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin. Im Vox-Haus. Auf Welle 400 Meter. Meine Damen und Herren! Wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telefonischem Wege beginnt. Die Benutzung ist genehmigungspflichtig. Als erste Nummer bringen wir: Cello-Solo mit Klavierbegleitung. Andantino von Kreisler. Gespielt von Herrn Kapellmeister Otto Urack. Am Flügel: Herr Fritz Goldschmidt."
Der Radiopionier Hans Bredow, Staatssekretär im Reichspostministerium, ordnete kurzfristig die Ausstrahlung der ersten deutschen Radiosendung an. Zunächst Radiostunde genannt, später Funkstunde. Gesendet wurde aus der Potsdamer Straße 4 am Potsdamer Platz – aus dem Vox-Haus, dem Sitz des Schallplattenkonzerns Vox, der die Funkstunde betrieb. Das Geschäftshaus aus dem Jahr 1908 war als Funkhaus nie angelegt worden.
Rainer Steinführ: "Es war die Aufbruchszeit. Nicht? Der Sender im Vox-Haus war sehr schnell zusammengenagelt worden, auf Brettern, mit einem Tischaufbau, das sah noch nicht kommerziell aus. Und da spürte man noch den Bastler bei den Leuten, die sich mit diesem Problem jetzt gerade beschäftigt haben. Man erzielte dann Sendeleistungen von 250 bis 500 Watt, auf Mittelwelle. Um mal die Dimensionen klarzumachen: Heutzutage hat ein Mittelwellensender – es gibt ja nicht mehr viele – aber die, die noch existieren, haben Sendeleistungen von 100.000 vielleicht bis 300.000 Watt. Die Sendeantenne war im Vox-Haus oben auf dem Dach angebracht, zog sich mit zwei Masten über mehrere Gebäude hin, bis zum Hotel Esplanade. Und damit versuchte man dann eben die schwache Energie, die man hatte, abzustrahlen und über Berlin zu verteilen."
Während die Funkstunde selbst durch die private Vox-Gesellschaft betrieben wurde, war die Sendetechnik Sache der Post. Und überall wurde noch experimentiert und improvisiert. Das Kohlemikrophon in dem kleinen Studio im dritten Stock wurde mit Adressbüchern auf die richtige Höhe gebracht.

Klangqualität wie beim Telefon

Steinführ: "Es ging los mit einem dafür eigentlich gar nicht geeigneten Raum, und deshalb klang die Übertragung auch furchtbar. Zum Anfang. Die damalige Technik war nicht in der Lage, einen Hi-Fi-Klang generell zu produzieren, man versuchte sich damit zu behelfen, dass man dann Pferdedecken an den Wänden aufhängte, und die sorgten dafür, dass dieses Hallige, dieser harte Klang, der in großen Räumen eintreten kann zu mindestens in irgend einer Form jetzt etwas gedämpft wurde, sodass der Klang jetzt halbwegs brauchbar war. Damals war das so, dass die Klangqualität eigentlich dem Telefon entsprach. Also das, was man vom Telefon her kannte, war etwa das, was man dem Publikum jetzt bieten konnte."
"Achtung, Achtung, hier ist Berlin, Vox-Haus. Sie hören als nächstes die Kapelle Bernard Etté. Sie bringt ihnen einen Fox-Trott zu Gehör: 'Wenn die Jazzband spielt'."
Antoine: "Die wenigsten hatten ja Beziehungen zu diesem völlig neuen Mittel der Kultur und der Nachrichtentechnik."
Berliner Tageblatt, 30. Oktober 1923:
"Es gibt noch keinen Menschen in Berlin mit einem rechtmäßig, das heißt postamtlich erworbenen Apparat. Dagegen wird es wie auch in England eine ganze Anzahl sogenannter Schleichhörer geben."
Radio-Hörspiel (1924): "Grad aus dem Wirtshaus / komm ich hera-ha-haus / Straße wie sonderbar / siehst du heut aus. Wird Zeit, dass de endlich heeme kommst! Immer muss man mitm Abendbrot so lange wortn! Na mache nur geene Merde, meine gute Pauline! Ich hab doch ooch was feines midgebrocht! Weeßte was? E Raadjoapparat. // Ach lass mich mit dein neumod'schen Kram in Ruhe!"
"Es war ja noch unverhältnismäßig viel zu tun, die Zahl der Teilnehmer war noch gering, und es musste also für den Rundfunk geworben werden. Und das konnte man natürlich am besten mit bildhaften und sonstigen Darstellungen tun."
Historische Reklame: "Ein guter Rundfunkempfänger auf dem Weihnachtstisch wird helle Freude auslösen. Kaufen Sie aber einen Apparat, der störungsfreien Empfang gewährleistet! Kommen Sie zu uns. Wir führen Ihnen durch fachkundig geschultes Personal die neuesten Modelle vor. Sie kaufen bei uns zu Originalpreisen und genießen den Vorzug bedeutender Zahlungserleichterungen. Vox-Haus G.M.B.H. Abt. Radio. Berlin W9, Potsdamer Straße 4."

Als der Rundfunk erfunden wurde, kostete ein Brot 80 Milliarden Mark

Radio-Hörspiel (1924): "Geh nur, meine guude Pauline, hol e mal e Hammer. Und Nääschel. Jetz wär isch erstemal de Andenne spannen! Wo hab ich denn den Draht hingelecht? Ach hier. Soo, de Leiter is ooch da. Das glappt ja großardsch. Da wärmer das Ding glei ham. So, ejne Stufe, zwee Stufen, dreie, das heeßt … hier weht aber e Höhenluft! Eeen Nachel soo … Pauline! Gehste vom Draht herunter?! Jetz haste mer de ganze Welle verbogen!"
Der Potsdamer Platz heute. Wo sich einst das Vox-Haus befand, steht heute der 25-geschossige Neubau des Architekten Hans Kollhoff. Dessen rostfarbene Klinker sollen an die Frühzeit der amerikanischen Hochhausarchitektur erinnern. Im Erdgeschoss die Filialen einer Steakhaus-Kette und einer amerikanischen Pizzarestaurant-Kette,
1923, gleicher Ort, die Wirtschaft in der Krise. Deutschland befand sich in einer Hyperinflation. Als der Rundfunk in Deutschland erfunden wurde, kostete ein Brot 80 Milliarden Mark. Trotzdem wird das Radio sich durchsetzen.
Steinführ: "Es hatte sich damals ne große Gemeinschaft an Radiobastlern herausgebildet, und die waren in der Lage, über Versandhäuser und Geschäfte, die sich dann sehr schnell bildeten, dann schnell die Bauteile zu besorgen, man konnte Kataloge sich kommen lassen, wo dann die Bauteile, die man brauchte, beschrieben waren, und dann bestellte man die sich und baute die sich zusammen, und freute sich, wenn man einen möglichst guten Empfang mit den kleinen Selbstbaugeräten hatte."

Das Gedächtnis des Deutschen Rundfunks

Der Berliner Rainer Steinführ hat sich der Geschichte des Rundfunks verschrieben. Der Verein Deutsches Rundfunk Museum, in dem er sich mit Gleichgesinnten engagiert hat, hat sich aufgelöst. Die etwa 1.600 Exponate aus der Rundfunktechnik – von den Anfängen bis zur Gegenwart – betreut Steinführ nun in den Lagerräumen des Deutschen Rundfunkarchivs in Potsdam-Babelsberg, das die Bestände übernommen hat. Rainer Steinführ und seine Mitstreiter sind das Gedächtnis des Deutschen Rundfunks, dessen Geschichte und Geschichten. Seit der ersten Sendung am 29. Oktober 1923, 20 Uhr, Potsdamer Straße 4.
"Die Nachrichten waren hochinteressant"
Steinführ: "Also es begann mit leichter Unterhaltung, aus damaliger Sicht zumindestens. Aber dem erwarteten Publikumsgeschmack folgend wurden mehrere Musikstücke hintereinander vorgetragen, zum Teil als echte Musik gespielt, also die Musiker standen dort und machten richtig Musik. Es wurden aber auch Schallplatten teilweise abgespielt, es war also ne Mischform. Und es war an dem ersten Abend eigentlich nur diese Musik. Erst später entwickelte sich dieses Medium, dass immer mehr Sprachbeiträge reinkamen, die Nachrichten waren hochinteressant, weil das ja sozusagen die schlagkräftigste Version des neuen Mediums war, es kamen Vorträge hinzu."
Bredow: "Radio will in Deutschland keine Sensation sein. Nicht den schlechten Instinkten schmeicheln, sondern das Gute und Edle im Menschen wecken und seine Sehnsucht zu innerer Vervollkommnung stillen. Als besonders wichtig wird es für die Volksbildung betrachtet. Alle diejenigen, die bisher aus sozialen Gründen, oder weil sie weitab von Kulturstätten lebten, den geistigen Dingen des Lebens ferner standen, wird durch Vorträge auf allen Gebieten von Kunst, Technik und Wissenschaft vorwärts geholfen."
Märchensendung (1924): "Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, dass es kein Kämmerchen hatte, darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr, darin zu schlafen, und endlich gar nichts mehr als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in der Hand."
Bredow:"Und dann die Kranken, die Krüppel und Blinden. Die vom Leben so hart angefasst sind. Ihnen erschließt sich wieder neues Leben. Sie stehen wieder mitten in der Welt der Geschehnisse, denen sie so lange entrückt waren. Licht und Wärme kommen wieder zu ihnen."
Märchensendung (1924): "Es war aber gut und fromm! Und weil es so von aller Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld."

"Das Radio verbreitet Freude und Anregung um sich"

Bredow: "Ein liebes Familienmitglied ist Radio Millionen von Menschen geworden. Denn es verbreitet Freude und Anregung um sich, es wird zum Mittelpunkt neuer Interessen."
Radio-Hörspiel (1924): "(Klopf klopf klopf) Sooo …(Klopf klopf klopf) So, nun noch de andere Seite … (Klopf klopf klopf) Au! Mein Daumen! So eine Gemeenheit … Nun noch n Draht an de Wasserleitung … Färtsch, soo, nu hab ich schoon de Andenne gespannt! Großardsch, großardsch war das! Jetz werden wer mal Berlin suchen, bass uff! Merde, mach doch da nich an der Wellenlänge rum! … Horch, horch … das ist Berlin!"
Das ist Berlin. Potsdamer Platz. Der Reporter und sein Mikrofon erregen die Aufmerksamkeit eines privaten Sicherheitsbediensteten.
Wachmann:"Entschuldigung, Sie machen hier was?"
Autor: "Was geht denn Sie das an?"
Wachmann:"Weil das Privatgelände ist. Der ganze Potsdamer Platz ist Privatgelände. Haben sie ne Genehmigung dafür?"
Autor: "Nö."
Wachmann: "Ja, dann einmal bitte vom Gelände!"

Eine Gedenktafel für das Vox-Haus sucht man vergebens

Auch das ist Berlin. Der Potsdamer Platz, einst der wohl öffentlichste Ort der Stadt, ist heute in Privatbesitz, inklusive der meisten ihn durchlaufenden Straßen. Seine Eigentümer setzen ihr Hausrecht mithilfe schwarzer Sheriffs durch. Das erklärt auch, warum – erst jetzt fällt es auf – die sonst allgegenwärtigen Bettler, Punker und Straßenmusiker fehlen in diesem sterilen Einerlei. Auch eine Erinnerung an die Vergangenheit dieses Ortes fehlt.
Steinführ: "Mein Wunsch wäre zum Beispiel, dass gegenüber des Gebäudes, an geeigneter Stelle zum Beispiel ne Gedenktafel angebracht wird, aber dazu kommt's anscheinend nicht. Ne, denn es war schon was: Im Vox-Haus hat vor 90 Jahren der Deutsche Rundfunk offiziell begonnen, und das ist ja eigentlich ein markanter geschichtlicher Punkt. Leider funktioniert das wohl mit der Gedenktafel nicht so richtig."
Musik: "Die schöne Adrienne / tschingderadadadadada-Radio / hat eine Hochantene / Tschingderadadadadada-Radio / Aus aller Herren Ländern / tschingderadadadadada-Radio / empfängt sie hundert Sender / Trara – trara –tra-Ra-di-o."

"Sie können hören, was in Honolulu für Musik gemacht wird!"

Albert Fischer: "Erste deutsche Rundfunkübertragung (1923). Aufgeregt kam eines Tages ein Schüler zum Unterricht. Nicht schnell genug konnte er mir seine Neuigkeit erzählen. 'Professorchen,' sprudelte er los, 'denken Sie bloß mal an, ich habe zu Hause etwas ganz Großartiges zusammengebastelt. Ich habe ein kleines Kästel, an dem Schrauben und Draht dran sind. Wen ich diesen Draht in eine Steckdose bringe und Ihnen zwei Telefonmuscheln an die Ohren halte, können Sie hören, was in Honolulu für Musik gemacht wird!' Zunächst glaubte ich, er sei übergeschnappt, jedenfalls tippte ich sacht mit dem Zeigefinger an meine Schläfe und erklärte ihm: 'Hänschen, das erzähle mal deiner Oma, die glaubt es dir vielleicht, ich aber nicht! Ne, ne, so was gibt es nicht!' Fast beschwörend flehte er mich an: 'Meister, es ist wirklich so, Sie können es mir glauben! Darf ich heute Abend mit meinem Kästel mal zu Ihnen kommen?' Ich wollte ihm die Freude nicht nehmen und forderte ihn auf, zu kommen. Tatsächlich erschien er mit seinem Kästel. Voller Eifer steckte er den Draht in die Steckdose, legte mir zwei Hörer an die Horchlappen und drehte wie wild an den Schrauben. Ich aber hörte nichts weiter als 'Huiiii' und 'Hiiiuuuu'."
Steinführ: "Also das was wir jetzt hier sehen, ist ein alter Detektorempfänger. Detektorempfänger wurden ja in der Frühzeit hauptsächlich benutzt, um Radio zu hören, ne ganz einfache Konstruktion. Da ist kein Verstärker drin, man konnte das nur mit dem Kopfhörer betreiben, und die Empfangsleistung war auch nicht besonders groß. Man hörte den Ortssender und vielleicht noch – man sagte damals dazu Bezirkssender. Also auch Sender, die vielleicht etwas weiter weg waren. Und ich werde den jetzt mal versuchen, einzustellen, indem ich jetzt hier auf der Spule die richtige Anzapfung einstelle."
Radio-Hörspiel (1924): "Hallooo, was haste denn da for'n Ding? Das ist ein Odeon-Lautsprecher! Was machste denn damit, häää? Da kannst du hören, was in der Welt vorgeht, zum Beispiel: Willst du mal Wien hören? Det wär jrooßartig! // Halt mal, halt mal! Ick gloobe, det isses schon! Nein, is det aber jrooßartig! Da sieht man ja förmlich de Päärchen tanzen!"
Nach dem Krieg liegt der Potsdamer Platz in Trümmern. Kaum ein anderer Ort in Berlin ist derart schwer zerstört. Das Vox-Haus aber bleibt stehen, es befindet sich nunmehr im Niemandsland Westberlins, kurz vor der Sektorengrenze. Es wird sogar nach dem Krieg teilweise wieder genutzt. Am 22. März 1971 wird es im Auftrag des Bezirksamtes Tiergarten gesprengt.
Steinführ: "Das Vox-Haus wurde ja im Zweiten Weltkrieg beschädigt, aber es war kein Totalschaden, die Struktur stand noch. Es war teilweise ausgebrannt, im Dachgeschoss sind also Bombentreffer zu verzeichnen gewesen, aber es hätte eigentlich seine Struktur behalten können. Wäre Interesse dagewesen, hätte man das Gebäude sicherlich sanieren können. Schräg gegenüber steht ja die Weinhandlung Huth, die ja bis heute da in dem neuen Potsdamer-Platz-Bereich ne dominante Stelle als einziges altes Gebäude noch darstellt, und es wäre sicher möglich gewesen, das Vox-Haus zu retten."
Auf dem in den Neunzigern völlig neu gestalteten Areal des Potsdamer Platzes entstand auch eine Voxstraße. Allerdings ist die 150 Meter entfernt vom Standort des alten Vox-Hauses. Auch einen Hinweis auf die Bedeutung des Straßennamens sucht man vergebens.
Radio-Hörspiel (1924): "Meine Damen und Herren! Unser Programm ist jetzt beendet, und ich bitte sie, nicht zu vergessen, de Andennen zu erden! Wat hatter jesacht? Ich soll de Anna beerdjen? Die ist doch noch jar nicht tot! Aber Onkel, er meint die Antenne! Nun haben wir die ganze Welt gehört, nun sollst du auch Berlin hören! Sach ma, kann man da den Winterjarten hör'n? Aber natürlich! // Aah, hör doch mal …"
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