Internationale Steuerpolitik

Steueroase Deutschland?

Eine Miniaturfigur trägt zwei Geldkoffer auf einem Scrabble-Spiel in eine Bank (Illustration), auf dem das Wort Steueroase liegt.
Wenn es um Steuerpolitik geht, spielt Deutschland mitunter in der gleichen Liga wie die Schweiz, meint der Steuerexperte Markus Meinzer © picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Markus Meinzer im Gespräch mit Nana Brink · 11.09.2015
Steueroasen - das sind Länder wie Andorra, Liechtenstein oder Luxemburg, aber doch nicht Deutschland. Falsch, sagt Markus Meinzer vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. "Steueroase Deutschland" heißt sein Buch, das am Freitag erscheint.
Wenn es um internationale Steuerpolitik geht, wähnen sich die Deutschen gern als die "Guten". Dem Politikwissenschaftler Markus Meinzer vom Tax Justice Network zufolge besteht dazu aber weniger Anlass, als wir glauben.
Zum Beispiel sei der Umgang mit der Abgeltungssteuer in Deutschland vergleichbar mit dem der Schweiz. Auch in Deutschland gelte nur für Steuerinländer eine Abgeltungssteuer auf Zinsen. "Nach meinen Berechnungen befinden sich hierzulande zwischen 2,5 und drei Billionen Euro von Steuerausländern, die steuerfrei bleiben", sagt Meinzer. "Davon kommen ungefähr 300 Milliarden aus Schwellen- und Entwicklungsländern, und wenn wir darauf die Abgeltungssteuer erheben würden, dann wären das knapp 21 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen, die dadurch entstehen könnten."
"Ein obrigkeitsstaatliches Prinzip von Transparenz"
Meinzer kritisiert außerdem die "Bremserrolle" Deutschlands bei internationalen Steuerabkommen. "Zum Beispiel bei europäischen Geldwäscherichtlinie setzte sich Deutschland massiv dafür ein, dass es keine öffentlichen Register für Briefkastenfirmaeigentümer geben soll." Nach dem Willen Deutschlands sollten allein die Steuerbehörden Einblick erhalten. "Hier vertritt Deutschland so eine Art obrigkeitsstaatliches Prinzip von Transparenz."

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Wenn das Wort Steueroase fällt, dann denken wir meistens ja an Liechtenstein oder an bestimmte karibische Inseln oder an einen wackeren SPD-Politiker und späteren Kanzlerkandidaten, der die Kavallerie in die Schweiz schicken wollte, um dort die Finanzsümpfe trocken zu legen, aber wir denken bei Steueroase eigentlich nicht an Deutschland. Markus Meinzer tut das doch – er arbeitet beim internationalen Sekretariat des Tax Justice Network, das ist eine Nichtregierungsorganisation, die sich für mehr Transparenz auf den internationalen Finanzmärkten einsetzt, und er hat ein Buch geschrieben über die "Steueroase Deutschland", das heute erscheint. Guten Morgen, Herr Meinzer!
Markus Meinzer: Guten Morgen!
Brink: Ich dachte, wir in Deutschland wären die Guten. Und Sie nennen Ihr Buch "Steueroase Deutschland" – hat sich da nichts getan in den letzten Jahren?
Meinzer: Ich denke, man muss da ein wenige unterscheiden. International hat sich durchaus viel getan, vor allem aber bisher nur auf der rhetorischen Ebene – viele der Reformen, die besprochen und diskutiert werden, müssen erst noch umgesetzt werden, und da könnte sich ein Stück weit etwas ändern. Allerdings hat Deutschland bei vielen dieser Verhandlungen eine Bremserrolle gespielt und ...
Brink: Wo denn zum Beispiel konkret?
Meinzer: Zum Beispiel bei der europäischen Geldwäscherichtlinie, da setzte sich Deutschland massiv dafür ein, dass es keine öffentlichen Register für Briefkastenfirma-Eigentümer geben soll, die werden jetzt auf Deutschlands Blockade hin nur optional öffentlich gemacht. Also hier vertritt Deutschland so eine Art obrigkeitsstaatliches Prinzip von Transparenz: Allein die Steuerbehörden sollen Einblick erhalten, die Öffentlichkeit soll weitgehend im Dunkeln gelassen werden, was die tatsächlichen Ergebnisse und Wirkungen dieser Reformmaßnahmen sind.
Auch in Deutschland gibt es keine Abgeltungssteuer für Steuerausländer
Brink: Was sind weitere Reformmaßnahmen, die noch wichtig wären?
Meinzer: Die länderbezogenen Rechtspflichten beispielsweise für Konzerne. Wir wissen seit vielen Jahren, dass Konzerne, in Einzelfällen immer wieder beleuchtet, sich der Steuer entziehen können, was uns bislang aber fehlt, sind systematische aussagekräftige Daten darüber, wie viel Steuern denn Konzerne tatsächlich in einzelnen Staaten entrichten und das auch gemessen an ihrer Wirtschaftskraft, also wie viele Verkäufe haben sie in diesen jeweiligen Ländern und so weiter. Diese Daten beispielsweise hat auch Deutschland bisher bekämpft, dass sie öffentlich werden sollen. Im Bankensektor sind sie schon öffentlich geworden, man hat gesehen, das hat der Wirtschaft nicht geschadet, dennoch setzt sich Deutschland hier leider bislang nicht für Öffentlichkeit ein.
Brink: Aber das alles macht doch Deutschland noch nicht zur Steueroase.
Meinzer: Das ist wahr, aber wenn Sie zum Beispiel die Schweiz als Vergleichsbeispiel nehmen: Die Schweiz ermöglicht es Steuerausländern, dass sie deren Geld dort hinbringen und deren Zinsen sind dann unversteuert und Meldungen unterbleiben an die Heimatfinanzbehörden. Genau das gleiche tut Deutschland auch – die Abgeltungssteuer auf Zinsen gilt nur für Steuerinländer, und nach meinen Berechnungen befinden sich hierzulande zwischen 2,5 und 3 Billionen Euro von Steuerausländern, die steuerfrei bleiben.
Brink: Hier in Deutschland, also die ihr Geld nach Deutschland bringen und was nicht zahlen müssen – die Abgeltungssteuer?
Meinzer: Auf die Zinsen, genau. Das sind 2.500 Milliarden Euro an Anlagen, die Zinsen abwerfen, und das ist übrigens vergleichbar mit der Schweiz, das ist der gleiche Sport, das ist die gleiche Liga. Davon kommen ungefähr 300 Milliarden aus Schwellen- und Entwicklungsländern, und wenn wir darauf die Abgeltungssteuer erheben würden, dann wären das knapp 21 Milliarden Euro mehr Einnahmen, die dadurch entstehen könnten.
Der Mythos vom Steuerwettbewerb
Brink: Warum passiert da nichts? Wie erklären Sie sich das? Also wenn wir bei diesem konkreten Beispiel bleiben.
Meinzer: Ich denke, das hat viel mit einer Ideologie vom Steuerkrieg zu tun, vom Steuerwettbewerb. Wir haben in den letzten Jahrzehnten zunehmend eine Meinung, die unwidersprochen wurde mehr und mehr, der Alternativlosigkeit, man müsste Kapitaleigentümer und Wirtschaftsunternehmen von der Steuer befreien, damit sie nicht in Scharen die Flucht ergreifen. Ich denke, das ist der zugrundliegende Mythos, der hier eine große Rolle spielt in den Köpfen vieler Politiker.
Brink: Das sind aber die ganz großen Sachen, die Sie ja jetzt gerade beschreiben, aber es geht ja auch um die vielen kleinen Fälle, das haben wir ja auch in der Schweiz zu sehen. Beschreiben Sie denn auch in Ihrem Buch die Tricks, die es gibt, Steuern zu vermeiden? Können Sie da ein paar Beispiele geben?
Meinzer: Es sind letztlich Einzelfälle, die ich auch im Buch aufzeige, wie das im Einzelnen geschah, beispielsweise Diktatorengelder, die hier liegen in Deutschland und anders als in der Schweiz noch nicht einmal aufgespürt werden, zum Beispiel bei Sani Abacha geschehen. Da schaut man in Deutschland im Grunde von der Finanzaufsichtsseite auch nicht hin, wenn es im Grunde solche Diktatorengelder gibt, bisher schaut man weg und möchte nicht genau hinschauen.
Brink: Das heißt, weiß man das wirklich nicht? Können Sie das definitiv ausschließen?
Meinzer: Man weiß es in Deutschland. Man hat definitiv in Deutschland nicht geprüft, ob beispielsweise Sani Abacha Gelder hier versteckt hatte, während die Schweiz und Großbritannien das getan haben, und Anstrengungen laufen oder liefen, diese Gelder zurückzuführen. Hier schneidet Deutschland sehr viel schlechter ab, das ist eine Kultur des Wegsehens. Im Einzelfall, da könnte ich jetzt verschiedene Beispiele nennen – es gibt Beispiele, wo die Deutsche Bank verschiedene Korrespondenzbankkonten mit der Ukraine oder auch mit Montenegro zugelassen hat, die fragwürdig sind, um es gelinde auszudrücken, hier also Gelder anderer Banken verwaltet, die eindeutig aus sehr dubiosen Quellen stammten.
"Es fehlt in erster Linie an politischem Willen"
Brink: Aber wenn Sie jetzt gerade die Deutsche Bank erwähnen, dann frage ich mich schon, das ist ja ein international operierendes Unternehmen. Welche Handhabe hat denn der deutsche Staat überhaupt, um so etwas beispielsweise zu verhindern oder aufzuspüren?
Meinzer: Oh, jede Handhabe! Es gibt rechtliche Mittel zuhauf, die werden nicht genutzt. Es gibt eine große Scheu, geldwäscherechtliche Verfahren auch gegen große Spieler in Stellung zu bringen, besonders in den Fällen der Steuerflucht, in den Fällen der Mafia oder Korruptionsproblematik. Das sehen wir, dass andere Staaten hier ganz anders vorgehen, dass die USA dieses Instrumentarium voll ausschöpfen und hier sehr viel rigoroser gegen Banken vorgehen. Aber selbst Länder wie Dubai, was man kaum glauben mag, die Vereinigten Arabischen Emirate, scheuen sich nicht, auch geldwäscherechtliche Untersuchungen beispielsweise gegen die Deutsche Bank anzustrengen. Hier ist es in Deutschland offenbar sehr viel schwieriger von staatsanwaltlicher, polizeilicher oder auch Finanzaufsichtsseite ... Der politische Willen scheint mir da in erster Linie zu fehlen.
Brink: Das heißt, Sie unterstellen auch ein bewusstes Wegsehen und bewusstes Nichts-dagegen-Tun von Seiten des Staates.
Meinzer: Ja, ganz gewiss. Das ist in vielerlei Fällen auch dokumentiert, dass es hier Hinweise gab, denen nicht gefolgt wurde und denen nicht nachgespürt wurde: Staatsanwälte, die Ermittlungsakten auf den Tisch gelegt bekommen haben von anderen Ermittlungsbehörden mit Dokumenten über Auslandskonten, und woraufhin die Reaktion der Staatsanwälte war: ich kann hier keinen Anfangsverdacht erkennen. Diese Beispiele sind dokumentiert, und da haben wir ein großes Problem in Deutschland.
Brink: Markus Meinzer, Autor des Buches "Steueroase Deutschland", es erscheint heute. Danke, Herr Meinzer, für das Gespräch hier in Deutschlandradio Kultur!
Meinzer: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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