Internationale Sommerakademie Salzburg

Wie kann Kunst in Zukunft gelehrt werden?

Contessa Maria Camilla Pallavicini malt an einem Bild von einer Frau. Im Hintergrund sieht man eine weitere Künstlerin.
Contessa Maria Camilla Pallavicini gehört zu den "Stammschülern" der Internationalen Sommerakademie Salzburg, die 1953 von Oskar Kokoschka und Friedrich Welz gegründet wurde. © dpa / picture alliance / Gerhard Rauchwetter
Von Jochen Stöckmann · 07.08.2016
Zwischen Selbstorganisation und Kunstmarkt: Vertreter von Kunstschulen aus Europa, Afrika, Asien und Lateinamerika diskutieren an der Salzburger Sommerakademie neue Modelle der Künstlerausbildung. Die Positionen und Probleme könnten nicht unterschiedlicher sein.
"Körper und Geist mobilisieren", "Landezonen der Kunst außerhalb der Hipster-Ghettos schaffen", "für die Emergenz unseres Selbst sorgen". Auch mit solchen, na ja: "Konzepten" war Hildegund Amanshauser konfrontiert, als die Direktorin der Salzburger Sommerakademie auf Internetseiten nach innovativen Kunstschulen suchte.
"Nach der zehnten habe ich mir schon gedacht: Sind das jetzt alles nur Worthülsen? Das sind sie auch. Ich meine, auch auf unserer Homepage stehen Worthülsen. Die Frage ist immer nur, wie füllt man sie mit Leben. Wie definiert man die dann im Dialog?"
Kein schlechter Ansatz für eine Tagung über eine in Salzburg langfristig geplante "Globale Akademie". Denn die Frage, wie und ob Kunst in Zukunft überhaupt gelehrt werden kann, sie ist wohl nur "performativ" zu beantworten, im direkten Gespräch über handfest praktische Erfahrungen.

"Verschiebung vom praxisorientierten Lernen zur Theorie"

Was etwa "global" bedeutet, hätte zum Beispiel die Direktorin der "Roaming Academy", der durch alle Erdteile vagabundierenden Wanderakademie des Dutch Art Institute anschaulich schildern können. Aber Gabrielle Schleijpen "positionierte" sich lieber:
"Our feminist and decolonial orientation allows for a variety of artistically and theoretical positions: from communist engagement to accelerationist embrace of technology."
Also: die künstlerischen Positionen reichen vom kommunistischen Engagement bis hin zur "akzelerationistischen" Technikeuphorie – theoretisch gibt man sich feministisch und post- oder genauer: dekolonial. Damit hatte Sam Thorne seine Kronzeugin gefunden.
Vom Initiator des seit 2012 in London kostenlos angebotenen Studienprogramms "Open School East" erscheint demnächst ein Buch über "Self-Organized Education", über selbstorganisierte Künstlerschulen und deren jüngste Geschichte:
"Im 20. Jahrhundert gab es die Verschiebung vom praxisorientierten Lernen zur Theorie. Ganz ausgeprägt in den Siebzigern, Achtzigern, Neunzigern. Und nun schlägt das Pendel etwas zurück."

Unterschied zum 68er-Protest

Das lässt hoffen. Besonders in fast aussichtsloser Lage: So hat Koyo Kouoh, Gründungsdirektorin der RAW Material Company in Dakar, Ausstellungsaktivitäten aufgeben, weil in Afrika staatliche Strukturen kollabieren. Selbst die Produktion von Kunst ist kein Thema mehr.
Stattdessen betreibt die ehemalige documenta-Kuratorin ein Bildungsprogramms, das durch die Begeisterung für Kunst soziale und politische Initiativen wecken soll. Die nämlich bleiben aus, weil Eliten wie etwa die Absolventen der Universität von Dakar, einst Flaggschiff frankophoner Bildung, das Land verlassen.
An deren Stelle setzt Kouoh einen Wissensaustausch, der nicht mehr einseitig ist, der mit dem "Denken lernen" Theorie und Anwendung in der alltäglichen oder auch künstlerischen Praxis verbindet:
"You necessary learn how to think and how to structure your thinking and how to apply that thinking in your immediate environment."
Nicht Selbstorganisation, sondern Impulse der Kreativindustrie oder des Kunstmarktes prägen andere Projekte. Diana Campbell Betancourt etwa popularisiert die Kunstausbildung in Bangladesh und macht zugleich als Chefkuratorin des Dhaka Art Summit Spitzenkunst bekannt. Alles gefördert durch Samdani Art Foundation, die Stiftung eines Sammlerpaares, das gerne von westlichen Museen konsultiert wird, wenn es um Kunst aus Südasien geht.
Da hat sich vieles geändert seit der Forderung nach "Kunst für alle" in der antiautoritären Revolte. Sam Thorne:
"Der große Unterschied zum 68er-Protest: Damals ging es gegen veraltete Unterrichtsmethoden. Heute richtet sich die Opposition gegen hohe Gebühren und immense Verschuldung der Studenten, gegen Standardisierung durch eine Bürokratie, für die Unis juristische Wirtschaftsgebilde sind."

"Wir sind klein, wir sind flexibel"

An den schon vor Jahrzehnten veralteten Frontalunterricht erinnern viele Dias und Beamerprojektionen dieser Vorträge: Meist scharen sich ein, zwei Dutzend junge Leute in "Klassenzimmern” – die gerne auch einmal Bambushütten sind – oder bei der Exkursion um einen Referenten oder Lehrer.
Wie gehabt – nur ist jetzt immer ein Laptop dabei. Andererseits stellt die indonesische Künstlerinitiative ruangrupa gleich alles Althergebrachte in Frage: Ihr "Institut ruangrupa" verzichtet auf Studiengebühren und feste Lehrpläne, vergibt keine Diplome – "hackt" stattdessen Institutionen wie andere Leute Computer. Der Architekt Farid Rakun:
"In our group in Jakarta we’ve managed to hack institutions. May be, we’ll become an institution ourselves, but in the way of hacking other stuff."
Eine Gebrauchsanweisung gab es nicht. Leider. Also bleibt das Problem der Verschuldung der Studenten, jährlich 1,2 Milliarden Dollar in den USA, wo die Ausbildung zum "Master of Fine Art" zu den teuersten der Top Ten zählen.
Oder in Europa der Bologna-Prozess, dessen marktgerechte Standardisierung auch das Kunststudium mit Evaluierung und Akkreditierung, Magister und Bachelor längst erfasst hat. Und dem sich eine Sommerakademie wunderbarerweise entzieht. Weshalb Hildegund Amanshauser für eine temporäre Kunstschule plädiert:
"Wir haben nichts zu tun mit MA und BA. Das gibt viel mehr Freiheit, wenn wir uns nicht dauernd irgendwelchen Prozessen unterordnen müssen. Unser Glück: wir sind klein, wir sind flexibel, wir können uns jedes Jahr neu erfinden."
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