Internationale Messe in München

"Handwerker sind keine Marktschreier"

Ein Installateur kniet bei der Montage eines Waschbeckens im Badezimmer auf dem Boden. Mit der Wasserwaage tariert der Sanitärfachmann die korrekte Lage des Beckens aus.
Der Handwerksberuf bleibt ein praktischer Beruf, auch wenn die Digitalisierung hier längst eingezogen ist. © dpa / Thomas Schmidt
Hans-Peter Wollseifer im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 25.02.2016
Auf der Internationalen Handwerksmesse in München präsentiert sich das Handwerk 4.0. Ob nun Malermeister oder Klempner, längst sind die mittelständischen Betriebe digital unterwegs, sagt ZDH-Präsident, Hans-Peter Wollseifer - auch wenn das in Brüssel offenbar noch nicht ausreichend bekannt sei.
Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Hans-Peter Wollseifer, hat darauf hingewiesen, dass 95 Prozent der Handwerksbetriebe digital tätig sind. Das habe eine Umfrage in Handwerksbetrieben bereits vor zwei Jahren festgestellt, so dass die restlichen fünf Prozent vermutlich inzwischen dazu gekommen seien, sagte Wollseifer im Deutschlandradio Kultur. Offenbar werde die Modernität und Innovationsfähigkeit des Handwerks verkannt, sagte Wollseifer in Reaktion auf eine Videobotschaft des EU-Digitalkommissar Günther Oettinger aus Brüssel zur Eröffnung der Internationalen Handwerksmesse in München. Der CDU-Politiker hatte das Handwerk dazu aufgefordert, die Chancen der Digitalisierung stärker zu nutzen und davor gewarnt, das Thema nicht aktiv genug anzugehen.

Digitale Leuchttürme in München ausgestellt

"Ich glaube, dass Herr Oettinger die vielseitigen Möglichkeiten des Handwerks noch nicht so kennt", sagte Wollseifer. Er hätte sie ihm gerne bei der Handwerksmesse vorgestellt. "Hier haben wir wirklich die digitalen Leuchttürme ausgestellt." Die Handwerker seien bereits in allen Bereichen digital unterwegs. "Handwerker sind keine Marktschreier", sagte Wollseifer, deshalb werde die Entwicklung vielleicht nicht ausreichend erkannt. Von der Messe solle nun ein Impuls ausgehen, um die Betriebe mit der Digitalisierung zu infizieren, weil das zukünftig die Wettbewerbsmäßigkeit ausmache.

Flüchtlinge als Chance

Mit Blick auf den Zuzug von Flüchtlingen sprach Wollseifer von einer Chance für das Handwerk und für die Gesellschaft. "Nachhaltige Qualifizierung ist nachhaltige Integration", sagte der ZDH-Präsident. "Wir wollen die Bundesregierung dabei unterstützen bei dieser Herkulesaufgabe, die da vor uns ist und die wir zu bewältigen haben." Das Handwerk versuche auf diesem Wege, mehr Facharbeiter zu bekommen, aber die Facharbeiterlücke könne so nicht geschlossen werden. "Es ist vielleicht ein kleiner Baustein dazu, aber nicht die große Lösung."

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Dass die gute alte Wirtschaft und das schöne neue Internet immer mehr ineinander verwoben sind, ist bekannt. Das hat auch einen schicken Namen: Industrie 4.0. Die Debatten darum, was das bedeutet, laufen seit geraumer Zeit und greifen jetzt langsam, aber sicher über in einen Bereich, bei dem wahrscheinlich die wenigsten jetzt schon an Digitales denken: das Handwerk. Klempner, Dachdecker, Tischler: Berufe – das hat jetzt EU-Kommissar Günther Oettinger bei der Internationalen Handwerksmesse in München per Videobotschaft verkündet –, die die Digitalisierung nicht verschlafen dürfen, sonst – so die Mahnung aus Brüssel – werden sie in fünf oder zehn Jahren nicht mehr bestehen. Handwerk 4.0, wie geht das? Was muss dafür passieren? Am Messe-Ort in München haben wir für diese Fragen den Deutsches-Handwerk-Präsidenten am Telefon, Hans-Peter Wollseifer. Ich grüße Sie, guten Morgen!
Hans-Peter Wollseifer: Ja, guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Sie sind gelernter Malermeister und Lackierer. Machen Sie uns doch mal an diesem Beruf deutlich: Was heißt Digitalisierung?
Wollseifer: Ach, das mache ich sehr gerne! Digitalisierung hat eigentlich in allen Betriebsabläufen schon Eingang gefunden, von der Kommunikation über dieses Produktmanagement über die Produktionsprozesse. Und im Maler- und Lackiererhandwerk ist es so, dass wir Gebäude visualisieren, Räume visualisieren, Fassaden am Computer farblich anlegen und dem Kunden offerieren können und bildlich machen können. Aber natürlich in den Betriebsabläufen gibt es da Beispiele.
Wissen Sie, früher habe ich meine Mitarbeiter, meinen Aufmaßtechniker mit Zollstock und mit Aufmaßblock losgeschickt und dann hat der das Aufmaß gemacht, um ein Angebot zu machen. Nachher ging es so, dass wir einen Laser hinzugenommen haben, und heute ist es so, dass der ein iPad dabei hat, der fotografiert eine Fassade, der legt die Konturen an, dann rechnet das iPad die Quadratmeterzahlen aus, wir schicken das Ganze als Aufmaß zum Büro, dort wird dann sehr schnell das Angebot erstellt werden können mit den Daten, wir drucken dann die Materialliste aus, die Zeitvorgaben aus, alles das ist heute digital möglich. Und die Betriebe, die das machen, für die, glaube ich, gibt es eine gute Zukunft, denn die sind sehr wettbewerbsfähig.

Oettinger kennt die Möglichkeiten des Handwerks noch nicht

Frenzel: Gute Zukunft sagen Sie. Günther Oettinger, der Digitalkommissar der EU, macht sich ein bisschen Sorgen, dass das deutsche Handwerk da hinterherhinkt. Hat er recht?
Wollseifer: Ich glaube, dass Herr Oettinger die vielseitigen Möglichkeiten des Handwerks noch nicht so kennt. Gerne hätte ich sie ihm bei der IHM hier in München mal vorgestellt, weil, hier haben wir wirklich digitale Leuchttürme ausgestellt, im Land des Handwerks. Dort zeigen wir die digitale Welt des Handwerks, was alles in den einzelnen Branchen so möglich ist. Und da muss man sich wundern. Nun ist es natürlich so: Handwerker sind keine Marktschreier. Wir bringen Lösungen, wir lösen Probleme, aber es wird nicht lange darüber gesprochen. Und hier in München zeigen wir das, von hier aus soll das auch ausgestrahlt werden. Wir möchten so ein bisschen die anderen Betriebe infizieren mit der Digitalität, weil das eben in Zukunft die Wettbewerbsfähigkeit ausmacht.
Frenzel: Handwerker sind keine Marktschreier. Sind sie vielleicht einfach auch zu bodenständig, also lieber Hammer als Laptop?
Wollseifer: Das glaube ich nicht. Ich sagte Ihnen ja eben: In allen Bereichen sind die Handwerker schon digital unterwegs. Ich könnte Ihnen das für die Gesundheitshandwerke, für die Nahrungsmittelhandwerke genauso wie für die Bauhandwerke in Beispielen festmachen. Aber es ist also so, dass also in allen Prozessen des Betriebs die Digitalität im Handwerk schon Fuß gefasst hat. Wir haben dazu natürlich auch eine Umfrage gemacht und vor zwei Jahren bestätigten uns 95 Prozent der Betriebe, dass sie in irgendeiner Weise schon digital arbeiten. Und ich denke also, nach den zwei Jahren ist es so, dass die letzten fünf Prozent auch noch dazugekommen sind. Also, man verkennt wahrscheinlich die Modernität und die Innovationsfähigkeit des Handwerks, und das möchten wir ja ändern in München. Von hier ausgehend wollen wir natürlich auch einen Impuls setzen.

Der Beruf wird deshalb nicht akademischer

Frenzel: Ins Handwerk zu gehen, was Praktisches zu machen, das war ja auch immer der Weg für die, die sich im Büroleben nicht so wohlgefühlt haben, da nicht zu Hause sind. Wie verändert sich denn der Beruf durch die Digitalisierung? Wird er akademischer?
Wollseifer: Der wird nicht akademischer. Wir brauchen bei aller Digitalität natürlich auch in den Handwerksberufen die Handwerksmeister, die das Ganze umsetzen, die also das Equipment in ihre Betriebe aufnehmen, die auch ihre Mitarbeiter schulen oder schulen lassen. Also, das befeuert nicht die Akademiker in den Betrieben, sondern ist eher eine Aufgabe für die Meister in den Betrieben.
Frenzel: Aber das, was Sie anfangs beschrieben haben, die Veränderung in Ihrem Bereich beim Malen und Lackieren, das, was man früher mit der Hand gemessen hat, wo man richtig am Objekt war, jetzt nimmt man ein Laptop, macht ein Foto, ein iPad … Das ist doch alles nicht mehr so konkret, nicht mehr wirklich ein Beruf zum Anfassen!
Wollseifer: Doch, das ist ein Beruf zum Anfassen, denn letztlich sind es ja die Handwerker, die es nachher umsetzen müssen. Weil, wer saniert nachher die Fassade, wer bringt die Wärmedämmung auf, wer saniert den Beton oder streicht die Fenster? Da brauchen wir die Handwerker nach wie vor. Nur, wir sind produktiver, wir sind wettbewerbsfähiger. Wir können Produkte schneller herstellen, wir können sie auch kostengünstiger für die Kunden herstellen. All das wollen wir auch in unseren Kompetenzzentren zeigen. Wir haben mit dem Bundeswirtschaftsministerium jetzt ein Kompetenzzentrum Digitales Handwerk auf den Weg gebracht und dort werden wir an vier Standorten, im Norden, Süden, Westen und Osten der Republik ein Netzwerk aufbauen, wo wir also all diese Möglichkeiten der Digitalität im Handwerk schon darstellen und wo wir also die Betriebe wirklich heranbringen können, beraten können, ja, sie eigentlich infizieren können im positiven Sinne mit der Digitalität.
Frenzel: Was bedeutet das für das Erlernen des Berufs? Früher war ja das Motto: Schnell runter von der Schule, was Praktisches machen, in den Betrieb reingehen. Brauchen wir da jetzt längere schulische Begleitung, Ausbildung auch außerhalb des Betriebs?
Wollseifer: Im Handwerk, in der dualen Ausbildung werden die Berufsbilder ständig weiterentwickelt. Wir brauchen nicht neue Berufsbilder, aber wir brauchen veränderte Berufsbilder. Und da sind wir auch dann ständig dabei. Denn unsere Mitarbeiter müssen das ja mittragen, die müssen es umsetzen können. Und da gibt es Veränderungen, aber das Handwerk ist da sehr flexibel, ist auch sehr anpassungsfähig an die Märkte. Und wir werden das also in die Berufsbilder mit aufnehmen und werden also, glaube ich, doch sehr schnell dort auch Veränderungen vornehmen können.

Unterstützung für die Herkules-Aufgabe

Frenzel: Handwerksbetriebe haben ja seit Jahren Schwierigkeiten, junge Leute zu finden, die in diese Berufe gehen wollen in ausreichender Zahl. Jetzt sind Hunderttausende Menschen nach Deutschland gekommen, viele junge Männer, junge Menschen darunter. Ist das eine Chance, diese Lücke zu schließen, mit Flüchtlingen?
Wollseifer: Es ist eine Chance für das Handwerk, es ist auch glaube ich eine Chance für die Gesellschaft, diejenigen, die kommen und die hier eine Bleibeperspektive haben, nachhaltig zu qualifizieren. Und nachhaltige Qualifizierung ist nachhaltige Integration. Dem wollen wir uns stellen, wir wollen die Bundesregierung dabei unterstützen, bei dieser Herkules-Aufgabe, die da vor uns ist und die wir zu bewältigen haben. Wir sehen natürlich auch danach, dass wir Facharbeiter in unsere Reihen bekommen. Aber es ist, um Ihre Frage zu beantworten, nicht so, dass wir die Facharbeiterlücke damit schließen können. Es ist vielleicht ein kleiner Baustein dazu, aber nicht die große Lösung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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