Intendant Matthias Brenner

"Das Theater ist eine seelische Bedürfnisanstalt"

35:36 Minuten
Schauspieler Matthias Brenner bei einem Fototermin für die Premiere des Films "Das Wasser des Lebens".
Hat den Durchblick: Matthias Brenner, hier bei einem Fototermin für die Premiere des Films "Das Wasser des Lebens". © Christian Augustin / Getty Images
Moderation: Annette Riedel · 16.06.2021
Audio herunterladen
Er wuchs mitten in einem Kino in Meiningen auf, lernte Dreher in einem Motorradwerk und saß seine Zeit bei der Armee ab. Heute ist der Schauspieler Matthias Brenner Theaterintendant in Halle und mischt sich gern politisch ein. Das hat er auch schon in der DDR getan. (*)
Für all das, was Matthias Brenner beruflich macht, braucht es Zeit: Zeit für die Umsetzung, vor allem auch Zeit für die Aufzählung. Und die bleibt hier wahrscheinlich unvollständig.
Der gelernte Dreher ist Schauspieler und Regisseur, arbeitet für Film und Fernsehen, steht regelmäßig auf der Bühne und leitet als Intendant das "Neue Theater" in Halle an der Saale. Nebenher schreibt Brenner Theaterstücke und Drehbücher. Ja, auch sein Tag habe nur 24 Stunden, versichert der 63-Jährige. "Ich habe gelernt, mich auf die Dinge zu konzentrieren, die dran sind."

Theater muss politisch sein

Der Regisseur arbeitete bereits an vielen Häusern: Am Nationaltheater Weimar, am Theater Basel, am Berliner Ensemble – die Liste ließe sich problemlos fortsetzen. Seit 2010 ist er Intendant in Halle.
Eine bewegte Zeit, in der die AfD in Sachsen-Anhalt 2016 und 2021 jeweils zur zweitstärksten Kraft gewählt wurde. Auch das sei für Matthias Brenner ein Grund, warum sich Theater politisch und gesellschaftlich engagieren müsse. "Ich weiß, wir können die Welt nicht verändern, das kann Theater nicht. Aber Theater kann ermutigen."
Dass die AfD bei der letzten Landtagswahl erneut über 20 Prozent der Stimmen bekam, darin sieht der Intendant eine "grandiose Niederlage". Das Wahlergebnis hänge vor allem auch mit einem Vertrauensverlust der Leute zusammen.

"Kein Grund, Menschen zu beleidigen"

"Um diese Menschen gilt es zu kämpfen, sie sind auch Besucher in meinem Theater. Ich habe keinen Grund, diese Menschen zu beleidigen oder ihnen zu sagen: 'Ihr müsst euer Gehirn einschalten, ihr seid zu dumm.' Sie haben nämlich auch eine ganz große seelische Potenz, nicht nur nach Sicherheit, sondern auch danach, gemeint zu sein und nicht nur als Stimmvieh gebraucht zu werden."
Obwohl Matthias Brenner zeitweilig auch in Berlin wohnt, in vielen großen Städten gespielt und inszeniert hat, schätzt er das "Neue Theater" und die Stadt Halle sehr.
Matthias Brenner im Gespräch mit dem halleschen Bürgermeister Wiegand, daneben der Schriftzug "Engagement".
Engagiert: Matthias Brenner im Gespräch mit dem halleschen Bürgermeister Wiegand über den Zustand der Bühnen. © IMAGO / VIADATA
"Ich habe bei Halle das Gefühl, dass sich dort Menschen einfinden, weil diese Stadt dankend Platz gibt für kreative Energien, natürlich mit einem sehr kleinen Bürgertum und einer ganz hohen Anzahl von Menschen, denen es nicht gut geht. Auch die gesellschaftlichen und sozialen Spannungen sind in dieser Stadt so geballt, dass ich feststelle, wie die Stadt ein Theater braucht. Ich nenne es auch eine Bedürfnisanstalt in der Stadt, seelische Bedürfnisanstalt ist Theater."

Im Kino aufgewachsen

Matthias Brenner wird 1957 im thüringischen Meiningen geboren und wächst in einem Kino auf, "das war mein Paradies". Seine alleinerziehende Mutter, Mutter von vier Kindern, findet keine Wohnung, also wird die Familie in einem Lichtspielhaus untergebracht. Links vom Rang sind Wohn- und Schlafzimmer, rechts davon Küche und Bad. An Geburtstagen spielt Tante Hilde, die Kinobetreiberin, Wunschfilme für den kleinen Matthias. "Es war eine unglaublich, wie ich heute weiß, eine bildende und herrlich spielerische Zeit." Matthias Brenner stottert in diesen Jahren und kommt auf eine Sprachheilschule. "Diese Schule habe ich geradezu verehrt. Ich wollte erst gar nicht hin. Die erste Woche habe ich nur geschwänzt, weil ich Angst hatte, auf eine Idiotenschule zu gehen. Ich war nach einem halben Jahr therapiert."
Nach der Schule möchte Brenner eigentlich zur See fahren, die vielen Kinofilme haben sein Fernweh geweckt. Doch die DDR-Behörden erfinden einen "starken Farbsehfehler". Später liest der Regisseur in seinen Akten den wahren Grund: Die Familie hat Westverwandtschaft.

Erst Dreher, dann Schauspieler

Im Mopedwerk in Suhl macht er eine Lehre als Dreher mit Abitur. Parallel spielt Brenner hier in einer Laientheatergruppe. "Das war die Initialzündung." In dieser Zeit tritt er in die SED ein, mit 30 wieder aus. "Als Nicolae Ceaușescu, glaube ich, den Karl-Marx-Orden bekommen hatte, da war bei mir Feierabend."
Ende der 1970er-Jahre schafft Matthias Brenner die Aufnahmeprüfung an der Ost-Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Bis heute steht er nicht nur auf der Bühne, sondern auch vor der Kamera. Brenner war in "Das Leben der Anderen", "Systemsprenger" oder in der Fernsehserie "Charité" zu sehen. Im Bremer "Tatort" verkörpert er den Rechtsmediziner Dr. Katzmann.
Matthias Brenner als König Ansgar in der Märchenverfilmung "Das Wasser des Lebens", daneben Prinzessin Friederike.
Gefragter Schauspieler: Matthias Brenner als König Ansgar n der Märchenverfilmung "Das Wasser des Lebens". © ullstein bild Dtl. / Kontributor
Schauspieler und Regisseur zu sein, das bedeute auch immer eine große Herausforderung, so Brenner, gerade, wenn man Stücke von Kolleginnen und Kollegen einschätzen soll.

Film oder Bühne?

"Ich habe keinen Grund, weil es mir nicht gefallen hat, denjenigen in meinen Ärger zu ziehen, sondern ihm von meinem Ärger zu berichten. Damit zeige ich Wertschätzung und ermögliche, dass er sich mir gegenüber nicht rechtfertigt, sondern mir gegenüber sein Herz öffnet und mir viel von den Dingen erzählt, die ich eben gesehen habe."
Die Arbeit lässt Matthias Brenner scheinbar auch im Schlaf nicht los. "Ich habe einen Albtraum gehabt, dass ich vor Gericht stehe. Ich wurde schuldig gesprochen und müsse mich jetzt zwischen Bühne und Film entscheiden."
Sollte er wirklich vor die Wahl gestellt werden, er würde, so Brenner, die Bühne wählen.
"Das hat einen urbanen Grund: Da komm ich her. Und live zu spielen, das ist für mich ein unschätzbares und eben nicht so einfach herzustellendes Mirakulum."
(ful)
(*) Redaktioneller Hinweis: Wir haben die Berufsbezeichnung korrigiert.
Mehr zum Thema