Integration

Was leisten Migrantenorganisationen?

Serap Güler (CDU), Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in Nordrhein-Westfalen.
Serap Güler (CDU), Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in Nordrhein-Westfalen. © Deutschlandradio / Ellen Wilke
Serap Güler im Gespräch mit Dieter Kassel  · 04.06.2018
In Berlin beginnt heute die Konferenz der Migrantenorganisationen. Erst zum zweiten Mal treffen sich die Vertreter, weshalb viele nach deren Beitrag zur Integration fragen. Eine Kritik, die nicht ganz zutrifft, sagt die CDU-Politikerin Serap Güler.
Dieter Kassel: Was haben zum Beispiel der Bundesverband russischsprachiger Eltern, die iranische Gemeinde in Deutschland, der polnische Sozialrat und die türkische Gemeinde in Deutschland miteinander gemein? Sie treffen sich ab heute zusammen mit Vertretern von über 60 weiteren Organisationen zur zweiten Bundeskonferenz der Migrantenorganisation.
Ideen zur Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft sollen in Berlin entwickelt und vorgestellt werden. Das ist erst die zweite Konferenz dieser Art und die letzte war im vergangenen November, insofern stellt sich die Frage: Welche Rolle haben diese Verbände eigentlich bisher bei der Integration gespielt und was können sie, wenn sie zusammenarbeiten, alles leisten? Wir wollen darüber jetzt mit Serap Güler sprechen, die CDU-Politikerin ist Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Schönen guten Morgen, Frau Güler!
Serap Güler: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Wie gesagt, das ist jetzt erst die zweite Bundeskonferenz, die erste war erst letzten November. Was haben Sie denn für einen Eindruck, welche Rolle haben denn die Migrantenorganisationen bisher gespielt bei der Integration?
Güler: Das ist jetzt die zweite Konferenz in diesem Format, dass sich so viele Migrantenorganisationen zusammengeschlossen haben, aber Migrantenorganisationen gibt es natürlich viel länger, und für uns sind sie wichtige Partner für die Integration. Sie sind für uns als Politik wichtige Multiplikatoren in verschiedene Einwanderercommunities, und auch wichtig, wenn es darum geht, dass wir endlich wieder positive Narrative in der Integrationspolitik brauchen.

Oft mangelt es an Professionalität

Kassel: Aber man hat ja immer wieder gehört, wenn bestimmte Einwanderergruppen negativ aufgefallen sind durch Gewalt, durch Straftaten oder auch nur gewisse Äußerungen, dass sich dann die Migrantenorganisationen, so war es zumindest immer wieder in den Medien zu vernehmen, zu spät oder gar nicht gemeldet hätten. Ist das nicht wirklich so, dass die teilweise bei gewissen Debatten, die einfach stattfinden – ob man möchte oder nicht – zu wenig teilnehmen?
Güler: Ja, dieses Gefühl bekommt man. Man darf aber nicht vergessen, Migrantenorganisationen engagieren sich überwiegend ehrenamtlich, und das ist auch gut und wichtig, denn das Ehrenamt gehört zur deutschen Leitkultur, wenn Sie so wollen. Gleichzeitig ist das aber auch ihr Problem. Ihnen fehlt es oft an Professionalität, da vieles eben nicht ehrenamtlich aufgefangen werden kann. Und deshalb kann man das auch als Vorwurf gegenüber den Migrantenorganisationen, glaube ich, so nicht ganz stehen lassen.
Kassel: Aber zeigt nicht schon die Zusammensetzung dieser Konferenz, ich habe ja ein paar Beispiel genannt, es gibt noch viel mehr, wie schwierig es ist, eine Lösung für die Integration von den Einwanderern zu finden. Kann man wirklich einen Weg gehen, der, sagen wir mal, Russlanddeutschen, Zuwanderern aus Vietnam und Flüchtlingen aus dem Irak gleichermaßen gerecht wird?
Güler: Nein, das ist sehr, sehr schwierig, das ist klar. Allerdings haben viele Migranten oder Menschen mit Migrationsgeschichte beispielsweise in der zweiten oder dritten Generation oft ähnliche Herausforderungen. Beispielsweise im Bildungswesen: Dass viele Kinder mit Migrationsgeschichte nach wie vor keine Gymnasialempfehlung bekommen, weil der Lehrer oft denkt, gar nicht aus diskriminierenden Gründen, aber das Kind hat gar nicht den Halt oder die Unterstützung im Elternhaus, um das Gymnasium zu schaffen, also ist es vielleicht besser, wenn es direkt an eine Realschule oder an eine Gesamtschule geht.
Das ist etwas, mit dem sich viele Migrantenorganisationen heute auch viel intensiver beschäftigen, als das vor zehn, fünfzehn Jahren der Fall war. Und deshalb gibt es ähnliche Herausforderungen in verschiedenen Migrantencommunities und deshalb ist auch so ein Zusammenschluss an sich richtig. Oder halt auch Hürden oder Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt, wenn Sie daran denken, dass Menschen mit Migrationsgeschichte sich x-mal mehr bewerben müssen als Menschen ohne einen migrantisch klingenden Namen – weil viele Arbeitgeber nach wie vor, ja, Bedenken haben, einen Menschen mit ausländisch klingendem Namen einzustellen, dann sind das schon ähnliche Herausforderungen, dann ist es egal, ob er einen russisch klingenden Namen, einen arabisch klingenden Namen oder einen türkisch klingenden Namen hat.

Konkurrenz der Migrantenorganisationen

Kassel: Wobei ich mir da gar nicht absolut sicher bin, Frau Güler. Ich habe auch mal eine Untersuchung gelesen, die schon besagt hat, dass alle es schwierig haben, die nicht Müller oder Schmidt heißen, aber dass es bei arabisch- oder türkischstämmigen schon noch mal anders ist als zum Beispiel bei vietnamesischen Namen, die ja auch sehr exotisch klingen. Worauf ich hinaus will, ist: Bei dieser Einigkeit oder Nicht-Einigkeit der Migrantenorganisationen, gibt es nicht in den Organisationen wie auch in den Communities auch eine gewisse Konkurrenz?
Güler: Eine gewisse Konkurrenz, ja, sicherlich. Wenn man bedenkt, dass es natürlich Gruppen gibt, die sagen, wir sind viel größer, deshalb sollten unsere Probleme vielleicht vordringlicher behandelt werden. Diese Konkurrenzsituation gibt es, aber gerade deshalb ist es ja gut, dass es auch diesen Zusammenschluss gibt jetzt seit letztem Jahr, dass man sagt, wir wollen mit einer Stimme und einer Kraft auftreten. Das ist, noch mal, das ist in allen Feldern nicht immer möglich, aber dass es da eine grundsätzliche Tendenz gibt, indem man sagt, wir wollen jetzt zusammenarbeiten, ich glaube, das ist erst mal ein positives Signal.
Kassel: Ich habe so den Eindruck, was die Signale aus der Landesregierung in Düsseldorf angeht, also aus Ihrem Ministerium, wo Sie Staatssekretärin sind, Kinder, Familie, Flüchtlinge, Integration, auch aus dem Innenministerium, dass Sie doch sehr stark in NRW diesen Weg gehen, ja, man sagt das ja immer so schön, fördern und fordern. Also auch zu sagen, wir bieten an, wir wollen erleichtern, aber wir erwarten auch, dass da eine gewisse Bringschuld anerkannt wird von Menschen, die zu uns kommen. Spielen da die Migrantenverbände eigentlich mit, also sagen die Verbände auch, ja, auch die Leute, die wir vertreten, machen Fehler und wenn sie Fehler machen, dann muss man auch entsprechend darauf reagieren.
Güler: Ja, natürlich, die Migrantenselbstorganisationen, wie wir sie ja in Nordrhein-Westfalen nennen, sind in unserer integrationspolitischen Infrastruktur für uns wichtige Partner. Wir fördern alleine über unser Ministerium so rund 450 Migrantenselbstorganisationen jährlich mit rund 2,5 Millionen Euro. Und natürlich erwarten wir da auch von den MSOs, dass sie kritische Punkte offen ansprechen, und das tun viele allerdings auch.

Oft wird den Gruppen keine Stimme gegeben

Und wenn man Ihnen vorwirft, sie würden das manchmal nicht laut genug tun, dann weiß ich nicht, ob man ihnen auch oft diese Stimme oder die Möglichkeit dazu gibt, aber ihre Funktion ist vor allem die einer Brücke, und wenn sie diese erfüllen und für bestimmte Dinge auch Empathie oder Verständnis verlangen, dann darf man ihnen nicht direkt vorwerfen, sie würden Dinge verschweigen wollen oder nicht ansprechen wollen. Wir machen doch fast täglich die Erfahrung, dass die eine Seite noch immer nicht weiß, wie die andere tickt, wie einige aktuelle Beispiele auch zeigen.
Kassel: Und diese Stimme werden jetzt viele, viele – alle sind es nicht, vollständig kriegt man die gar nicht zusammen –, aber viele Migrantenorganisationen sich selber verleihen auf der zweiten Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen, die heute und morgen in Berlin stattfindet und die wir zum Anlasse genommen haben, um mit Serap Güler zu sprechen, sie ist Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Frau Güler, herzlichen Dank und einen schönen Tag noch!
Güler: Danke, das wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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