Inszenierungen für vorbeifahrende Züge

Die Landschaft als Bühne

Ein Hai guckt aus der Saale. Das ist nur eine von vielen Instatllationen, die das Projekt "Bewegtes Land" entlang der Zugstrecke Jena-Naumburg inszeniert.
Ein Hai guckt aus der Saale. Das ist nur eine von vielen Instatllationen, die das Projekt "Bewegtes Land" entlang der Zugstrecke Jena-Naumburg inszeniert. © Datenstrudel
Von Matthias Dell · 28.08.2017
Ein Hai guckt aus der Saale, ein Chor singt auf dem Bahnsteig, Heuballen schweben in der Luft: Das Kunstprojekt "Bewegtes Land" macht die Bahnstrecke Jena-Naumburg zur Bühne. Und die Bewohner des Saaletals zu Komparsen in einer Landschaftsperformance.
"Nächster Halt: Naumburg (Saale) Hauptbahnhof. Unsere Zugfahrt endet hier. Dada, hahaha, hahaha…"
Es kommt nicht häufig vor, dass eine Zugfahrt so viel Begeisterung auslöst. Am Samstag war ordentlich was los auf der halben Stunde Fahrt zwischen Naumburg und Jena. Blasmusik beim Halt in Bad Kösen, Chorgesänge auf dem Bahnsteig am Bahnhof Jena-Paradies ...
Chor: "Lauf, lauf, lauf, denn diese Noten sind nun mal die schnellen…"
Und dazwischen: großes Amüsement an den Fensters des fahrenden Zuges.
"Aahh, ooah ... Da guck mal, Trabbis, Trabbis, hahaha, hahaha … Da ist der Hai, der Hai – hahahaha …"
Trabbis, die ein Westauto verfolgen, ein Hai, der aus der sonst so beschaulichen Saale guckt: Das waren zwei der knapp 30 Inszenierungen, die sich Jakob Hüfner und Jörn Hintzer von "Datenstrudel" ausgedacht haben. Dafür konnten sie 200 freiwillige Performer aus der Umgebung gewinnen.
Jakob Hüfner: "Dieses Tal ist schon besonders geeignet dafür, weil halt durch die Enge des Tals, durch diese Bergreihe, hat man wie im Theater ne Art Rückwand, und wenn man da irgendwas auf die Wiese stellt wie hier oder an anderen Orten, da hat man sofort den Eindruck: Da ist ein Bild, da passiert was sozusagen."

"Ein Film ohne Kamera"

Die Landschaft als Theaterbühne, auf der sich ein "dokumentarischer Surrealismus" entwerfen lässt. Wo Irritationen lauern, wenn auf freiem Feld ein Mann plötzlich vor einer Ampel steht. Oder Bilder vom idyllischen Landleben aus Sicht der vorbeifahrenden Städter auftauchen. Populäre Medienkunst. Oder wie Hüfner sagt:
"Das ist ein Film ohne Kamera. Oder man kann sagen: Es ist eigentlich ein Film. Das Zugfenster ist das Objektiv, der Zuschauer ist selbst die Kamera. Und das ist auch interessant: Der ICE hat ja so ein 16:9-Format als Fenster, und der Abellio hat so ein altes 4:3-Format, ja, aber es ist ja tatsächlich so: Der Zug gibt den Rahmen vor, durch den man das Ereignis sieht. Ist eigentlich wie ein Film ohne Kamera."
Die meisten Reisenden in der Regionalbahn, dem sogenannten Abellio, waren über die Kunstaktion informiert.
"Was wollen die denn da machen? Ist das Programm extra für 'n Zug?"
– "Extra für heute."
Fernzüge fuhren leider nicht:
"Eigentlich fährt ja auf dieser Strecke noch der ICE zwischen Berlin und München, der fährt nur dieses Wochenende nicht, weil gebaut wird. Und da sitzen die Leute, die tatsächlich nur von Berlin nach München wollen und mit der Landschaft dazwischen gar nichts anfangen können, drin, die das eher durch Zufall entdeckt hätten. Ich finde, es funktioniert ja in beide Richtungen. Es funktioniert sowohl für die, die gar nichts wissen und zufällig aus dem Fenster gucken. Und es funktioniert aber auch für die, die wissen, das was stattfindet, und aus dem Fenster schauen."
Erklärt Christian Holtzhauer, der scheidende Leiter des Kunstfests Weimar, der am Samstag selbst im Zug unterwegs war.
Aus einem fahrenden Zug heraus sind in Jena Installationen für das Kunstprojekt "Bewegtes Land - Inszenierungen für vorbeifahrende Züge" zu sehen.
Aus einem fahrenden Zug heraus sind in Jena Installationen für das Kunstprojekt "Bewegtes Land - Inszenierungen für vorbeifahrende Züge" zu sehen.© picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Die Arbeit von Datenstrudel funktioniert natürlich auch noch für die Mitwirkenden wie den Jungen Leon, der zu einer idyllischen Bauernfamilie in historischen Kostümen am sogenannten Wendehaus gehörte.
"Sobald der Zug an den Schranken ist, tut Adrian pfeifen, und dann ziehen wir an den Strippen, dann geht das Bild hoch, und dann fährt der Zug vorbei. Dann wird der Zaun aufgestellt, die Kleine tanzt mit ihrer Mum dann auf den Feldern."
Und wozu macht er das? Was bringt das den Zuggästen?
"Na, mal was anderes als das Gleiche. So seh ich das."
Die Reise ist eine Art Wahrnehmungsschulung, die permanente Kunsterwartung wirft Fragen auf, die man sich sonst wohl nicht stellen würde.
"Ob das dazu gehört? Nee, der hat das jetzt live, einfach so spontan gemacht."

Projekt mobilisiert die Bewohner

Aufgrund der Bereitschaft der Leute im Zug, jeden Saale-Paddler oder jede Radfahrerin vor dem Fenster für ein Kunstwerk zu halten, kann man sich sogar kritisch fragen, ob die Inszenierung "Bewegtes Land" die Aufmerksamkeit nur einmalig eventisiert. Kunstfest-Leiter Holtzhauer:
"Na, das tun wir mit Festival ja ohnehin schon immer. Natürlich ist es ein Event, das ist auch ein einmaliges Event, weil es so aufwendig ist, dass man's gar nicht wiederholen kann. Das ist aber auch etwas, was ja die Bewohner dieser Region, in der sonst wirklich nicht viel los ist, mobilisiert hat, durchaus mit Stolz erfüllt hat, und mit einem sportlichen Ehrgeiz angestachelt hat, auch mitzumachen. Und ich hoffe, dass das, dieser Stolz und dieser Ehrgeiz, hier was auf die Beine stellen zu wollen, anhält. Und insofern hat dieses Projekt doch eine gewisse Nachhaltigkeit."
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