"Insgesamt ist Kino prüde geworden"

Detlev Buck im Gespräch mit Waltraud Tschirner · 21.10.2012
Der Regisseur Detlev Buck hat beklagt, dass das Kino Gewalt in jeglicher Form zelebriere, während Zwischenmenschliches ausgeblendet werde. Darum habe er in seiner Verfilmung des Kehlmann-Bestsellers "Die Vermessung der Welt" wirklich praktizierte Liebe zeigen wollen.
Waltraud Tschirner: Daniel Kehlmanns Roman "Die Vermessung der Welt" war überaus erfolgreich. Allein in deutscher Sprache hat er sich 1,4 Millionen Mal verkauft. Klar, dass man da von vornherein mit kräftigem Gegenwind rechnen muss, wenn man so ein ungewöhnliches Stück Literatur verfilmt. Warum wollten Sie sich dieser Herausforderung stellen ?

Detlev Buck: Es geht nicht um mich – es hört sich immer so hochtrabend an, ich will nichts beweisen. Mich haben – und ich komme da wirklich von den Charakteren – diese beiden Individuen wirklich interessiert, die was anderes versucht haben. Und es ist immer so, wenn Menschen was anderes rausfinden wollen, als wie es ist, bewegen sie sich auch immer ein bisschen außerhalb von der Gesellschaft und der Norm sogenannt.

Das sind ja eigentlich auch zwei Spinner, zwar geniale, aber Spinner, und deshalb – mir hat damals auch immer "Amadeus" oder so was gefallen, wo man Figuren näher kommt, die nicht andauernd … Das sind keine Imperatoren oder Diktatoren und keine Welteroberer, aber Weltforscher, und das ist spannend, auf solche Leute auch mal eine Perspektive zu werfen. Und dann über diese 3D-Verfilmung gab es plötzlich auch das Tool um das auch als Erfahrung zu machen.

Man kann von Prinzipien – Prinzipien ändern sich ja nicht – immer auch etwas lernen. Und das ist das auch, was mir gefällt, eben diese Unruhe von diesen beiden, eben sich nicht zufrieden zu geben bis ins hohe, hohe Alter. Also die geben ja nicht auf, Gauß wird ein bisschen depressiv, aber Humboldt definitiv nicht, der hat ja mit 80 noch den Kosmos geschrieben, um Dinge zu verstehen. Und das hat mich einfach fasziniert.

Tschirner: Die literarische Grundlage ist klar, kommt von Daniel Kehlmann. Den haben Sie gleich mal mit ins Boot genommen, also von der Seite gibt es vermutlich jetzt keine Kritik mehr, weil Sie, nehme ich an, durchaus miteinander gerungen haben. Sie haben gemeinsam das Drehbuch geschrieben, nachdem Entwürfe vorher nicht so waren. Wie schwierig war es, sich anzunähern? Sie sind da doch wohl sehr unterschiedlich.

Buck: Ja, aber das ist ja so wie in der Liebe, wo man sagt, entweder es funkt oder es funkt nicht. Da kannst du dich ja ewig annähern, und wenn es nicht klappt, klappt es nicht. Und wir waren dann – haben sehr ähnliche Vorstellungen von den Figuren gehabt, und ich habe mehr oder weniger mit dem Griff, dass ich sage, ich will diesen Film physisch haben, und Kehlmann dann darüber auch fast verführt zu sagen, jetzt hat er auch wieder Spaß, weil er war ein bisschen durch auch – und er ist ein Filmfan.

Und dann war er auch angetan, also mit Slawomir Idziak, mit dem Kameramann, das ist ja auch jemand, der von Filmen kommt wie "Harry Potter" oder "Black Hawk Down", die letztendlich … also du hast einen Look, der anders ist, einen Stil. Die Werke, die alle zusammenkommen, ob das Kostüm oder Setdesign ist, haben gemerkt, das ist irgendwas Besonderes. Es ist nicht ja irgendein Film, und dadurch klingelte das plötzlich in einer bestimmten Energie.

Tschirner: Das ist interessant, es ist in der Tat ein besonderer Film, aber versuchen Sie mal, Leuten zu erklären, die sagen, das Buch war so toll, was wollen jetzt Bildkomponenten dem hinzufügen, was macht das Besondere aus Ihrer Sicht aus? Warum sollte man da unbedingt dann noch mal hingehen?

Buck: Eine Frau, die das Interview mit mir geführt hat, die das Buch sehr geliebt hat, hat gesagt, für sie ist der Film berührender oder persönlicher.

Tschirner: Es ist wirklich interessant: Die beiden Hauptdarsteller haben auf mich unterschiedlich gewirkt. Der …

Buck: So soll es ja auch sein!

Tschirner: … ja, erstens das, und zweitens …

Buck: Es ist ja auch keine Anziehung!

Tschirner: … jetzt sage ich auch noch, warum: Also Humboldt – von Albrecht Abraham Schuch gespielt –, er ist beherzt, er will die Welt an der Achse packen, er ist neugierig und er ist immer preußisch auch, das spielt er sehr gut. Und Florian David Fitz spielt den Gauß, ganz erstaunlich für mich zunächst, da ist plötzlich ein absolut junger Florian David Fitz, der vor allen Dingen sexy ist – Sie haben richtig sehr schöne, erotische Szenen eingebaut, schöne Bilder –, da muss man erst mal überlegen: Das soll dieser gnatzige misanthropische Gauß sein? Eigentlich ist er am Anfang als junger Mann eher diesem RTL-"Doctor’s Diary" Mark Meier ähnlich. Ich finde, das ist eine gute Idee für einen Einstieg. Wer hatte die?

Buck: Florian ist sehr, sehr, sehr intelligent, sodass er eben auch schlau genug war, das Genie nicht einfach genial zu spielen, sondern er hat das auch versucht zu verstehen, was der er ist, und der junge Gauß war ja Genie und hatte eine Ausstrahlung, eine Aura, die auch Johanna irgendwie fasziniert hat. Und das Kino, finde ich, in Deutschland, das ist prüde geworden, oder insgesamt ist Kino prüde geworden: Gewalt wird zelebriert in jeglicher Art und Weise, aber das, was uns am meisten zusammenhält, sagen wir mal, das Zwischenmenschliche oder auch die Liebe, da wird weggeschwenkt, und dann sind alle ratlos … das ist ein Tabubruch, ganz schnell, ich bin ja ganz enttäuscht von. Wenn du gehst, auch ins Ausland, da ist Gewalt, das wird noch und noch zelebriert, aber Liebe, sind sie ratlos. Und die ist wirklich sehr, sehr geschmackvoll gefilmt, und dann kommt auch was rüber, was gemeint ist, dass er plötzlich Ideen hat beim Beischlaf, und dass es klingelt, und dadurch ist es für mich – ich weiß nicht, sollte man mehr Liebe in den Filmen, also auch wirklich praktizierte Liebe zeigen als Gewalt, weil es irrsinnig fad ist.

Ich meine, wenn ich "Batman" gucke, dann denke ich schon: Beim nächsten Mal kommt hier irgendein Attentäter reingelaufen oder was weiß ich. Ja, weil es auch passt, ha ha. Ja, aber für mich ist es, die sollten mehr Liebe machen – Make Love, Not War. Das ist definitiv so für mich das Bedürfnis, und ich wollte deswegen auch delikat filmen.

Tschirner: Das nehmen wir jetzt als Aufruf, wir starten eine Initiative.

Buck: Ja.

Tschirner: Ich stelle mir vor, dass es ziemlich kompliziert war, für den Film diese beiden Ebenen – also da der eine, der immer in der Welt unterwegs ist in toller Kulisse, Sie haben in Ecuador gedreht, und da der, der so ein bisschen das Motto lebt, die wahren Abenteuer finden im Kopf statt, und ein Homie ist, wie man heute sagen würde –, das irgendwie verschränkt zu kriegen, dass der Film ein Ganzes wird. War das kompliziert?

Buck: Ja, die Struktur gibt es so nicht als Vorlage, man kann auch kein anderes Filmbeispiel nehmen, das war definitiv auch eine Herausforderung. Das ist letztendlich sehr viel auch im Schnitt entstanden – im Schnitt haben wir die Struktur noch mal komplett umgestellt, als es im Drehbuch war. Wort und Bild verhält sich meiner Meinung nach komplett anders. Es ist auch mal für mich immer so, bestimmt, man hat einen Roman gelesen, und entweder schafft der Film es noch mal, eine neue Blume darauf zu setzen und eine Eigenständigkeit zu kriegen, oder er hängt einfach dem Ideal nach. Mein Lehrer Szabó, István Szabó sagte immer, nimm einen schlechten Roman, und ich sagte: Was, "Mephisto" findest … ja, den fand er damals ein bisschen nicht so toll … und eine gute Idee, und nimm nicht ein Meisterwerk. Und man darf dem nicht hinterher hecheln, dem Roman.

Tschirner: Sie hatten es schon erwähnt, der Film ist in 3D entstanden. Was muss man eigentlich, mal von der anderen Technik abgesehen, als Regisseur anders machen, anders bedenken, wenn man im Dreidimensionalen denkt.

Buck: Keine Angst haben vor 3D, wir sehen 3D, ich sehe dich 3D, der Mensch sieht 3D, das ist nur Technik, und die soll man dann nutzen.

Tschirner: Sie sind mit einer ziemlich großen, aufwendigen Technik und mit großem Stab und eben insgesamt viel Übergepäck nach Ecuador gefahren zum Drehen, da habe ich gleich so ein bisschen "Mañana, Mañana" im Hinterkopf. Ist alles glatt gelaufen, oder gab es schon durchaus Tage, wo Sie dachten, Nervenzusammenbruch, geh um mich rum?

Buck: Na ja, man hat ihn dann auch, aber das Level oder die Anspannung und das Risiko ist so hoch, weil man dann mit 150 Mann irgendwo im Dschungel in Coca am Tor zum Äquator sitzt, wo … und wir konnten ja nicht zu den indigenen Völkern so fahren mit 150 Mann, die sind ja nur 80, 90, teilweise 100. So haben wir eine sehr tolle Vorbereitungszeit gehabt mit dem Team dort, denen das ein Bedürfnis war, das Leben von Humboldt zu verfilmen, also sind die zu uns gekommen, die Guaranis und die Shuars

Und das war ein Erlebnis quasi, kommen die, kommen die nicht, die Familie, die kommen dann mit der ganzen Familie, die haben ihre Schlange mit, die stehen alle morgens um vier auf, dann erzählen sie sich ihre Träume – also man taucht in eine andere Welt, und du bringst Welten zusammen – und das gefällt mir eigentlich so –, die gar nicht zusammen passen, aber ich mag gerne international arbeiten, weil man dann aufmerksamer ist. Man ist nicht so, kenne ich schon, das ist so und so, sondern man ist aufmerksamer und man kriegt mehr mit.

Tschirner: Das klingt so, als ob das da durchaus so ein paar Elemente vom Dokumentarfilmdreh auch hatte, weil man muss am Ende ja drehen, abbilden, was sich einem da ... nicht?

Buck: Nein, das ist ja letztendlich schon, dass auch die Guaranis – gut, die laufen teilweise mit ihrer Penisschnur noch rum, die hat man jetzt nicht groß umstellen müssen. Wir haben sehr viel recherchiert für den Film, also es kamen auch Stück für Stück – man beschäftigt sich ja auch Jahre und steigt in eine andere Welt und versucht, die nachzubauen, nachzusteigen. Man kann sie nicht dokumentarisch einfangen, weil es sie nicht mehr gibt, nicht mal den Dschungel. Der ist eigentlich durch die Erdölleitung, wird der zerrissen, das ist ja auch die große Problematik, die dort ja immer noch dieses Yasuni-Gebiet, wo eben riesige Ölvorkommen sind, und erhält man es oder erhält man es nicht? Es gibt die Welt nicht mehr, man kann sie nicht dokumentarisch einfangen, sie verschwindet.

Tschirner: Eine Sache ist mir noch aufgefallen: Es gibt verschiedene Arten von Humor, in dem Film und in dem Buch. Also Kehlmann hat in seinem Erfolgsbuch einen stilleren, einen leiseren, manchmal zum Schmunzeln Humor, und Sie sind ja bekannt dafür und auch geliebt dafür, dass Sie auch manchmal durchaus brachial den Humor zelebrieren. War das von vornherein klar, dass Sie der Regisseur sind und am Ende der Film einfach viel von ihrem Humor auch hat, oder war das auch so ein Streit zwischen Ihnen beiden?

Buck: Nein, wir sind da eigentlich einer Meinung, und ich weiß gar nicht, man lacht vielleicht über Dinge, über den Herzog von Braunschweig kann man lachen, aber andererseits war der …

Tschirner: Ja, der ist ein gutes Beispiel, der ist einfach wirklich ziemlich dick aufgetragen.

Buck: Ja, aber letztendlich, der Herzog von Braunschweig ist ja eine tragische Figur, und wenn man tragische Figuren hat, der in den Krieg ziehen musste gegen Napoleon, der nie wollte, der einen Augenschuss bekommen hat und irgendwie jämmerlich in Altona verreckt ist, der vier behinderte Kinder hatte, und wenn ich das zeige, dann kann man das als Brachialhumor empfinden, aber es ist in dem Moment auch schon gleichzeitig tragisch, und das ist das: Humor hat immer auch was mit Drama zu tun für mich, weil sonst ist es Comedy-Verkauf. Und hier ist es, ich mag gerne sehr, sehr straighten Humor, der aber mit der Wahrheit schon zu tun hat, das erfinde ich ja nicht in dem Moment, ich verkaufe keinen Charakter für einen Witz.

Tschirner: Was würden Sie sich wünschen? Haben Sie so mal heimlich überlegt, also erst mal wird der Film sicher in andere Länder verkauft, an Zahlen.

Buck: Es gibt Fakten, die heißen, wenn Buchverkaufzahl Zuschauerzahl ist, dann kann man sehr zufrieden sein, weil die Produktion sehr aufwendig war – sie zu finanzieren war sehr schwierig. Es stand nicht zu sagen, supi, machen wir, weil es eben kein Vorbild für diesen Film gibt, also tun sich alle schwer, und klar ist es risikoreich. Aber am Ende hoffe ich natürlich, dass so was aufgeht, dann wird noch mal was Besonderes gewagt, sonst wagen die Menschen nur immer das Same Same. Die wagen dann immer, sagen wir mal, Franchise-Filme, und Franchise-Filme kann ich schon nicht mehr ab. Es wird keine "Vermessung Teil zwei" geben.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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