Informationen sind "die einzige Waffe, die die Opposition im Moment in Syrien hat"

Salam Said im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 16.08.2011
Die in Syrien aufgewachsene Wissenschaftlerin Salam Said berichtet über die Schwierigkeiten, an verlässliche Informationen über die Lage in ihrer Heimat zu kommen. Mit anderen Netz-Aktivisten versucht die Bloggerin, im Internet über soziale Netzwerke zu kommunizieren.
Matthias Hanselmann: Seit Monaten demonstrieren in Syrien Hunderttausende für einen politischen Wandel. Präsident al-Assad lässt jedoch die Proteste nach wie vor blutig niederschlagen. Gestern wurde aus der syrischen Küstenstadt Latakia gemeldet, dass Assad mit Panzern, Kanonenbooten und Scharfschützen ein gnadenloses Dauerfeuer auf Oppositionelle veranstaltet – wir haben es eben wieder in den Nachrichten gehört. Die Stadt Latakia soll komplett umzingelt sein, Flucht so gut wie unmöglich, heißt es in den einen Meldungen, anderen Meldungen zufolge sollen allerdings Tausende von palästinensischen Flüchtlingen aus ihrem Lager in Latakia geflohen sein – wohin, ist unklar.

Wie man an dieser Meldungslage sieht, ist es enorm schwierig, an verlässliche Informationen über die Lage in Syrien zu kommen. Ausländische Journalisten wurden ausgewiesen oder müssen undercover unter abenteuerlichen Bedingungen arbeiten. Ein "taz"-Kollege zum Beispiel, der in Damaskus recherchiert, darf bei seinen Gesprächen mit Oppositionellen noch nicht mal einen Schreibblock dabei haben, sonst droht ihm die Festnahme. Aber es gelingt den syrischen Machthabern dennoch nicht, den Informationsfluss völlig zu unterbinden.

Bei uns ist Salam Said, die seit zehn Jahren mit ihrem deutschen Mann in Berlin lebt und in Syrien aufgewachsen ist. Frau Said arbeitet als Wirtschaftswissenschaftlerin in Erlangen zurzeit. Ihre Familie ist nach wie vor in Syrien. Und Frau Said hält Kontakt nach Syrien, unterstützt die Opposition durch Informationsbeschaffung und Verbreitung hier in Deutschland. Herzlich willkommen, Frau Said, schön, dass Sie gekommen sind!

Salam Said: Danke schön!

Hanselmann: Würden Sie sich als eine Art Aktivistin der Opposition bezeichnen?

Said: Ich würde dann mich bezeichnen als eine der Hunderte Syrer, die sich für die Freiheit ihres Landes einsetzt im Ausland.

Hanselmann: Stehen Sie denn hier in Deutschland mit anderen syrischen Aktivisten in Verbindung? Tauschen Sie sich aus?

Said: Ja, klar! Von Anfang an haben wir für uns versucht, so zu finden, und miteinander zu kommunizieren, damit wir organisierter unsere Stimme für das deutsche Publikum reichen können, und das erfordert natürlich eine gewisse Kommunikation zwischen uns im Ausland.

Hanselmann: Wie Sie das machen, wie Sie sich vernetzen, darüber reden wir gleich noch ein bisschen genauer. Vielleicht zunächst einmal, da wir es auch jetzt in den Nachrichten wieder gehört haben: Was wissen Sie über die aktuelle Lage in Latakia? In der Küstenstadt?

Said: Ja, in Latakia, wie auch jetzt gerade in den Nachrichten gesprochen wurden, das ist jetzt in Kriegslage quasi. Die Stadt wurde von Kriegsschiffen angegriffen, von Panzern und von auch natürlich Scharfschützen von allen Seiten, und Leute versuchen zu flüchten, aber sie können gar nicht. Gerade habe ich auch vom Internet Zahlen geholt, die zum Beispiel in Latakia heute waren mehr als 34 Tote auf den Straßen gefunden worden, es gibt kein Internet, keine Elektrizität – die Stadt wurde blockiert, vollkommen. Und das ist natürlich ganz hart. Vor Latakia gibt es auch dieses Flüchtlingslager. Das palästinensische Flüchtlingslager wurde auch beschossen. Ich glaube, ein zweiter Versuch von dem Staat, die Palästinenser da mit einzumischen in den Konflikt. Die haben auch quasi es schwierig gerade in Latakia.

Hanselmann: Wenn Sie sagen, Latakia ist komplett eingeschlossen, es gibt keinen Informationsfluss, Internet funktioniert nicht mehr und so weiter, woher wissen Sie dann von diesen 34 Toten?

Said: Ja, das ist eine gute Frage. Natürlich, wenn man sagt, da ist keine Elektrizität, keine Telefonate und so weiter, und so fort, heißt nicht, niemand kann fliehen. Natürlich konnte vielleicht von 100 oder 200 Menschen, eine Person konnte das schaffen, aus der Stadt zu fliehen, und diese Person hatte die Verantwortung, direkt diese Informationen zu verbreiten. Und das ist das, was die machen, eigentlich. Jeder fühlt sich verantwortlich dafür, die Informationen zu verbreiten, weil das ist die einzige Waffe, die die Opposition im Moment in Syrien hat.

Hanselmann: Die syrische Regierung leugnet immer wieder, dass sie unbewaffnete, friedliche Oppositionelle verhaftet, foltert oder gar tötet; zum Beispiel, dass Latakia mit Kanonenbooten beschossen wird, das sei völlig unwahr, sagte, glaube ich, der Außenminister. Im Gegenteil, dort gäbe es bewaffnete Männer, die Maschinengewehre, Handgranaten, Sprengsätze benutzten, es wird also der Waffeneinsatz damit begründet, dass die Opposition bewaffnet sei. Wissen Sie etwas darüber, wissen Sie, ob das zum Teil stimmt?

Said: Diese Geschichte, hat das Regime von Anfang an versucht, zu verbreiten oder bestätigen zu lassen, aber es hat sich nicht bestätigt. Jeder weiß, das Regime machte quasi Theater, manchmal steckte es Waffen in die Häuser der normalen Menschen. Dann sagt es: Okay, guckt mal, jetzt gibt es eine bewaffnete Opposition, und damit haben wir das Recht, diese Opposition brutal zu unterdrücken. Und das ist natürlich das, was die Opposition versucht, durch ihre friedliche Bewegung abzuweisen. Das kann sein, das sind ein paar Leute – natürlich, die Leute sind so müde und auch total angegriffen von der ganzen Brutalität von dem Staat, und natürlich, manche von denen wollen gerne mal eine Waffe haben, um sich selber zu verteidigen, anstatt quasi friedlich einfach den Beschuss zu empfangen. Aber das es auf keinen Fall die Regel ist und auch nicht die Mehrheit, das sind auch vielleicht wütende Worte, die man sagt, wenn man wirklich verletzt ist, oder gerade den Sohn oder das Kind verloren hat.

Hanselmann: Was macht Ihnen eigentlich zurzeit Hoffnung. Die Türkei zum Beispiel hat Syrien wieder gewarnt, Assad solle seine Militäreinsätze stoppen. Der türkische Premier Erdogan hat gegenüber Barack Obama die Hoffnung geäußert, dass Syrien sogar innerhalb von zehn bis 15 Tagen Reformen einleiten werde. Macht Ihnen das Hoffnung?

Said: Ja, die Türkische Situation ist ganz interessant. Am Anfang hat die Opposition in Syrien viel Hoffnung in Erdogans Äußerungen, die Reaktion von der Türkei. Aber mittlerweile sind sie ein bisschen enttäuscht, weil die Türkei versucht eher, Zeit zu …

Hanselmann: … zu schinden …

Said: … zu schaffen …

Hanselmann: … oder zu schaffen, ja …

Said: … für das Regime, um sich zu reformieren. Und das Regime natürlich macht nichts anderes, als seine Brutalität fortzusetzen. Das, diese Bedrohungen oder diese Äußerungen sind ja schön beruhigend vielleicht, oder der sagt ja: Schön, dass jemand das verurteilt, die ganze Gewalt. Aber von der Erfahrung in den letzten drei, vier Wochen sieht das aus, dass die Türkei will doch diese Chance Syrien geben. Und was ist die Alternative, die Konsequenz von dieser Bedrohung ist auch ganz schwierig vorherzusehen oder vorherzusagen, weil das ist ja – geht in Richtung Sanktionen, schärfere Sanktionen und am Ende vielleicht Interventionen, was die Opposition ablehnt im Moment, von außen.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit der in Syrien aufgewachsenen Wissenschaftlerin Salam Said und wollen doch mal wissen, wie kommen Sie eigentlich an die Informationen heran, die Sie jetzt haben und uns vermitteln. Sie haben gesagt, Sie sind vernetzt. Wie ist die syrische Oppositionsbewegung, wie sind Sie mit dem Ausland und mit Syrien vernetzt?

Said: Von Anfang der Bewegung war ich total unruhig, ich wollte auf jeden Fall demonstrieren, in Berlin auch in Demonstrationen gehen, und da bin ich durch Facebook auf bestimmte Leute gekommen, die in Berlin aktiv sind. Wir haben uns dann getroffen, wir haben einen Verein gegründet, der heißt "Gemeinsam für ein freies Syrien". Und wir versuchen immer, Aktivitäten zu organisieren und so weiter, und so fort. Und jeder von uns hat seine quasi Freunde, Bekannte und Gruppen, die im Inland arbeiten oder aktiv sind. Und wir versuchen uns über Internetplattformen wie Facebook, Skype oder anderen Möglichkeiten, E-Mails weniger, aber wir versuchen, dadurch zu kommunizieren. Und wenn im Internet irgendeine Nachricht verbreitet ist, wo man sagt, okay, die ungefähr so verdächtig aussieht, dann konnte man bestimmte Personen ansprechen und fragen: Können Sie bitte genauer sehen, ob das wirklich stimmt oder nicht, dass das ein Gerücht oder eine Wahrheit ist? Und dann bekommen wir die Antwort später. Also, das heißt, jetzt haben wir das gelernt, nicht alles, was in Facebook steht, das stimmt, sondern wir fragen danach genauer nach.

Hanselmann: Und um das genauer zu erreichen, kann man ja im Internet Gruppen bilden, …

Said: Ja!

Hanselmann: … in die zum Beispiel Geheimdienste nicht eindringen können, weil alle Personen sich gegenseitig kennen und zumindest eine große Sicherheit ist, dass die Informationen dann auch wirklich stimmen. Können Sie eigentlich noch Bekannte in Syrien einfach so anrufen und was fragen?

Said: Ja, kann man theoretisch machen, aber letztes Mal zum Beispiel nach dem Hama-Massaker – ich habe versucht, auch eine Information zu bekommen an einen alten Kollegen oder Kommilitonen von der Universität von mir, der aus Hama kommt und dort wohnte, und es ist ihm gelungen, aus der Stadt zu fliehen, und da hat er mir gesagt: Auf keinen Fall per Telefon, weil alle Telefonate sind leicht zu kontrollieren und jedes Telefon, das vom Ausland einen Anruf bekommt, das ist verdächtig. Das heißt, wir haben gechattet per Facebook, und ich konnte ein paar Informationen oder Fakten von ihm bestätigen lassen, und das war wichtig eigentlich für unsere Glaubwürdigkeit, wenn wir was äußern, quasi jetzt rede ich über die Opposition im Ausland.

Hanselmann: Das Internet bietet die nach wie vor beste Möglichkeit, solche Informationen zu bekommen.

Said: Ja, der Staat konnte nicht zwei Millionen Informationen Austausch im Internet kontrollieren und im Gegensatz dazu, Anrufe sind leichter zu kontrollieren.

Hanselmann: Ganz herzlichen Dank! Das war Salam Said bei uns im Studio. Danke für Ihren Besuch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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