Info-Offensive von RTL und ProSieben

Werden die Privaten jetzt politisch?

30:59 Minuten
Zwei junge Menschen sitzen auf einem Sofa und schauen sich etwas auf dem Fernseher an – im Fokus sind ihre beiden Hände an der Fernbedienung.
Wie wird ein Sender mehr als eine beliebige Nummer auf der Fernbedienung? RTL und ProSieben setzen vermehrt auf gesellschaftliche Relevanz. © dpa / Christin Klose
Moderation: Gesa Ufer · 23.06.2021
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Immer mehr Nachrichtenprofis wechseln von der ARD zu RTL und ProSieben. Die Privaten wollen so relevanter werden. Wie verändert das die Fernsehlandschaft? Das fragen wir die Medienexperten Stefan Niggemeier und Ferda Ataman.
Der ARD läuft das Personal weg: Erst ging Tagesschau-Chefsprecher Jan Hofer in Rente – und kurz darauf zur privaten Konkurrenz von RTL. Dann wechselte seine ehemalige Kollegin, Tagesschau-Sprecherin Linda Zervakis, zu ProSieben und interviewte dort exklusiv die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock. Kurz darauf folgte Tagesthemen-Moderatorin Pinar Atalay und ging ebenfalls zu RTL.
Die Privaten, sonst vor allem bekannt für "Germanys Next Topmodel", "Deutschland sucht den Superstar" oder "Die Simpsons", haben eine Info-Offensive gestartet und stärken den Journalismus in ihrem Programm. Sie wollen so vor allem eines: Relevanter werden.

Private starten regelmäßig Info-Offensiven

Was aus dieser Info-Offensive wird, müsse man abwarten, sagt der Journalist Stefan Niggemeier vom Medienmagazin "Übermedien": "So lange es die Privaten gibt, gibt es regelmäßig Info-Offensiven. Und dieses Bekenntnis, jetzt mehr auf Nachrichten und Information zu setzen, hält nicht immer lange an."
Gerade vor Bundestagswahlen seien solche Entwicklungen häufig zu beobachten. So war der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück 2013 bereits bei ProSieben zu Gast - in der von Joko & Klaas moderierten Show "Circus Halligalli". Die Privaten könnten durch solche Formate Menschen erreichen, die zuvor vielleicht noch keinen Kontakt mit Steinbrück hatten, sagt Niggemeier.
RTL habe sich bereits mit Peter Klöppel über Jahre einen Ruf als seriöse Nachrichtenquelle erarbeitet und könne darauf nun aufbauen, sagt Niggemeier. ProSieben komme dagegen "so ein bisschen aus dem Nichts". Die Personalwechsel würden jedoch darauf hindeuten, dass die Neuausrichtung dieses Mal nachhaltiger sein könnte als in vergangenen Jahren.

Hoffnung auf besser verständliche Nachrichten

Ferda Ataman, Journalistin und Gründerin der "Neuen deutschen Medienmacher*innen", glaubt bei diesen Neuausrichtungen an die "große Macht des Images": "Ich bin sehr skeptisch, ob man sein Image mit ein paar neuen Gesichtern und ein paar neuen Sendungen wirklich nachhaltig verändern kann. Um von ,Bauer sucht Frau’-Niveau auf ,Tagesthemen’-Niveau hochzukommen, wird für RTL ganz schön schwer."
Dennoch sieht sie in dieser Info-Offensive großes Potenzial: "Ich fände es super, wenn es gelingt, auf RTL, Sat.1 und ProSieben gute, seriöse Nachrichten zu machen, die weniger akademisch sind, als bisher in den Öffentlich-Rechtlichen."
Eine solche Entwicklung könne auch die Tagesschau zum Nachdenken bringen, "ob die wirklich immer so niedrigschwellig zugängig ist für alle Menschen in Deutschland, die Deutsch können und Interesse an Politik haben – ich habe da so meine Zweifel."

Verliert die ARD an Diversität?

Trotz des Wechsels von Linda Zervakis und Pinar Atalay sieht Ferda Ataman noch genug Personal "mit Migrationsvordergrund" bei den Öffentlich-Rechtlichen - das sehe man schon an der ,Tagesthemen’-Nachfolgerin Aline Abboud. Doch Ataman begrüßt, "dass diese Moderator*innen jetzt auch als heiße Ware gehandelt werden. Das ist natürlich schön, dass das endlich diesen Stellenwert hat und dass man das als Plus erkennt."

Ohne Relevanz keine Wahrnehmung

Insgesamt sei es sehr zu begrüßen, wenn die Privaten nun mehr über Politik reden möchten. Die Grenze zum Populismus sei dann zwar nah, weil es im Privatfernsehen darum gehe, viele Leute zu erreichen, "aber deswegen pauschal zu sagen, ,oh, dann lieber nicht’ – ich glaube, das kann nicht die Antwort sein."
Vielleicht, glaubt Niggemeier, bestehe die Konkurrenz auch nicht vorrangig zwischen ARD/ZDF und RTL/ProSieben. Alle Anbieter müssten sich die Frage stellen, wie sie in einem immer zersplitterter werdenden Markt aus Sendern und Streamingdiensten noch als etwas Besonderes wahrgenommen werden könnten "und nicht als irgendeine Sendernummer 317 auf meiner Fernbedienung." Und ohne gesellschaftlich relevante Formate sei das schwierig.
(sed)
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