Indiens Stand-up-Comedy boomt

Heikle Witze über Sex und Götter

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Rajnessh Kapoor gehört zu den besten Stand-up-Comedians in Indien. © Rajnessh Kapoor
Von Sonja Ernst · 19.06.2017
Humor in Indien ist kompliziert. Es gibt viele Tabus, erst recht seit dem der Hindu-Nationalist Narendra Modi Premierminister ist. Jeder Auftritt von Stand-up-Comedians gleicht einem Balance-Akt. Vielleicht haben sie genau deshalb Zulauf.
"Niemand mag Delhi. Niemand. Aber ich habe keine Lust mehr auf diese Verallgemeinerungen. Alle in Delhi seien laut, dumm, kriminell. Alle seien Vergewaltiger. Nein! Ganz offensichtlich sind nicht alle Vergewaltiger: Nur die Männer."
Das Publikum lacht, Rajneesh Kapoor grinst auch. Seinen Auftritt habe ich bei YouTube gefunden. Er ist ein indischer Stand-up Comedian über den offenbar viele lachen. Seine Videos werden hunderttausendfach geklickt. Auch wenn es um Themen geht, die nicht witzig sind, wie Vergewaltigung.
Indiens Hauptstadt Delhi hat einen schlechten Ruf. Immer wieder kommt es zu sexuellen Gewalttaten. Das machen Comedians wie Rajneesh Kapoor auf der Bühne zum Thema und haben damit Erfolg. Stand-up Comedy ist ein relativ neues Phänomen in Indien. Vor allem viele Besserverdienende zieht es in die Live-Shows.

"Die nächsten fünf Jahre sind Boom-Zeit"

Abends in Dehli. Ich bin mit Rajneesh Kapoor am Khan-Market verabredet. Hier trifft sich die Ober- und Mittelschicht – zum Shoppen oder zum Bar- und Restaurant-Besuch.
Wir landen im "Blue Door Cafe". Es ist wenig los. Die Küche ist europäisch angehaucht. Die Preise sind hoch.
Rajneesh trägt weißes Hemd und Jeans. Eher Unauffällig sieht das aus. Laut der "Times of India" zählt er zu den zehn besten Stand-up-Comedians des riesigen Landes, so steht es auf seiner Internetseite. Es läuft gut für ihn – und für die Stand-up Comedy.
"Im Moment boomt es. Denn es ist neu und kostengünstig. Ich glaube, etwas Ähnliches passierte in den USA in den 1990er-Jahren, als das Kabelfernsehen Comedy entdeckte. Denn die Kosten sind quasi null. Du brauchst nur einen Typen mit einem Mikrofon. Das Fernsehen wird zwangsläufig mit einsteigen. Und der Fernsehmarkt in Indien ist riesig. Dann gibt es noch YouTube oder auch Twitter: Das sind schon jetzt Multiplikatoren. Die nächsten fünf Jahre sind Boom-Zeit. Keine Frage. Also, wer gerade in Deutschland zuhört und in Indien Comedy machen will – jetzt ist eine gute Zeit dafür."
Indischer Stand-up-Künstler Rajnessh Kapoor steht am Mikrofon und lacht.
Indischer Stand-up-Künstler Rajnessh Kapoor erwartet rosige Zeiten für seine Branche.© Rajnessh Kapoor
In Indien ist Stand-up-Comedy seit wenigen Jahren im Kommen. Bislang aber eben noch nicht im Fernsehen. Dafür hat heute jede große und fast jede mittelgroße Stadt in Indien einen Comedy Club. Ebenso bieten viele Bars und Restaurants regelmäßig Stand-up-Shows an. Zentrum dieser Welle ist die Megastadt Mumbai, dann folgt Delhi.
Der Boom hat verschiedene Gründe. In den Städten gibt es mittlerweile eine Mittel- und Oberschicht, die sich solche Abende leisten kann. Und dann sind da noch die neuen Medien als Alternative zum Fernsehen: Comedians können sich auf YouTube und Facebook präsentieren, werden weiterverbreitet über Whatsapp. So werden sie auch ohne Fernsehen bekannter.

Indiens Comedy ist English

Rajneesh erzählt von seinen Auftritten in Delhi und in Mumbai. Er tourt auch im Süden Indiens, in Großstädten wie Bangalore oder Chennai. Doch egal wo, sein Publikum spricht vor allem Englisch. Und Englisch ist auch die Hauptsprache der indischen Stand-up. Das sagt viel über sein Publikum, aber auch über Indiens Gesellschaft.
"Die Sache in Indien ist die: Egal in welche Stadt man geht, das Publikum, das englischsprachige Unterhaltung konsumiert, ist identisch. Mit dem englischsprachigen Publikum meine ich die reichen Leute. Ich habe mir einmal den letzten Zensus für Indien angeschaut: Nur fünf Prozent der Menschen haben Zugang zu einem Auto innerhalb der eigenen Familie. Aber in unserem Publikum hat jeder Zugang zu einem Auto. Jedes Mal, wenn wir auf die Bühne gehen, reden wir also zu den oberen fünf Prozent der indischen Gesellschaft."
Dieser Zwiespalt bringt Rajneesh Kapoor ins Grübeln. Er lebt gut von diesem Publikum – und er gehört selbst zu den Privilegierten im Land. Aber er ist auch ein kritischer Kopf, der die soziale Realität Indiens nicht so einfach hinnehmen will.
Es gibt die sehr reiche Oberschicht, eine wachsende, aber schmale Mittelschicht, und es gibt eine breite Masse an Menschen, die in Armut und Elend lebt. Daran wird Rajneesh mit seinen Witzen nichts ändern. Aber seine Motivation ist auch noch eine andere, das merke ich, umso länger wir reden. Er liebt schlichtweg Stand-up-Comedy. Er ist jetzt Mitte 40 und noch immer tüftelt er unablässig an seinem Humor.
"Es ist faszinierend, wie ein Witz konstruiert ist. Und das ist das Gute an Stand-up-Comedy. Ich kann heute einen Witz schreiben; in den nächsten 20 Tagen gehe ich dann zwanzig Mal auf die Bühne und ändere jeden Tag ein Wort – und ich beobachte, was passiert. Das ist wunderbar. Es ist fast wie mit Spielzeug spielen und so aufregend: Wir können die Leute zum Lachen bringen."

Witze auf "Hinglish"

Rajneesh performed auf der Bühne vor allem in Englisch – aber einige seiner Witze und Flüche macht er in Hindi; diese Mixtur "Hinglish" macht es für mich leider unmöglich seine ganze Comedy zu erfassen. Aber damit bin ich nicht allein.
Auch viele Inder verstehen seine Gags nicht so ganz, denn Hindi wird vor allem im Norden gesprochen. Hinzu kommt aber noch etwas, teils fehlt mir der kulturelle Resonanzraum. Den neusten Tratsch aus Bollywood, kenne ich nicht, auch nicht die Top-Spieler des Nationalsports Cricket, oder die vielen Gottheiten und Politiker. Wobei darüber Witze zu machen, ist heikel.
"Andere Comedians haben Ärger bekommen für Witze über Politiker und Götter. Witze, die man vor fünf Jahren noch machen konnte, gehen jetzt nicht mehr. Leute kamen auf die Bühne und haben gesagt: Keine Witze mehr über diesen oder jenen Gott. Schluss. Aber ich mag, wenn Humor zensiert wird. Man muss dann smart sein und Wege finden, trotzdem das zu sagen, was man sagen will. Ich wünschte, es gebe keine Zensur, aber es wird eine Menge Zensur geben. Und es wird ein Spaß sein, die Zensur zu bezwingen. Und wenn ich erwischt werde, dann habe ich meine Entschuldigung parat."

Keine staatliche Zensur

Immer noch Delhi. Es ist Nachmittag. Ich fahre Richtung Süden. Ich will Neeti Palta treffen, eine der wenigen weiblichen Comedians in Indien.
Indische Stand-up-Künstlerin Neeti Palta hält die Hand vor ihren Mund
Die indische Stand-up-Künstlerin Neeti Palta© Lokesh Dang & Saurabh Suryan
Die Zensur von der mir Rajneesh erzählte, ist keine staatliche. Ärger macht das Live-Publikum, das sich womöglich angegriffen fühlt, und wie er sagt sogar auf die Bühne stürmt. Vor allem aber werden Comedians im Internet mit Hass-Postings und üblen Drohungen überzogen.
Das öffentliche Klima in Indien wandelt sich derzeit. Schon lange gehörten Religion und Sexualität zu den Tabuthemen des öffentlichen Diskurses. Einige gesellschaftlichen Gruppen reagieren hier sehr sensibel. Dazu kommt nun, dass Hindu-Nationalisten im Aufwind sind. Spätestens seitdem einer von ihnen Premierminister wurde: 2014 gewann Narendra Modi die Wahl. Seit drei Jahren fühlen sich radikale Hindu-Nationalisten nun bestärkt, den Kulturbetrieb Indiens zu maßregeln – dabei schrecken sie auch vor Gewalt nicht zurück.
In einer Shopping-Mall steht Neeti Palta. Auch hier kommt nur die Mittel- und Oberschicht zusammen. Alles schick – und klimatisiert.
Neeti schlürft an einem Kaffee. Die 38-jährige Stand-upperin hat kurze, schwarze Haare. Trägt T-Shirt und Jeans. Neeti wirkt natürlich und sehr sympathisch. Sie plaudert sofort los.
Ihr ist klar, welche Macht die digitalen Medien haben. Deshalb überlegt sie bei ihren Auftritten sehr genau, was online geht oder nicht.
"Im Moment leben wir in sehr heiklen Zeiten. Mein Limit zurzeit ist: Was ich auf der Bühne mache, geht nicht notwendigerweise online. Denn dann kann es jeder sehen. Auf der Bühne kann man immer noch versuchen, sein Publikum einzuschätzen. Wie reagieren sie auf dich? Dennoch: Im Moment mache ich keine Witze über Religion. Ich streife das Thema lediglich ein bisschen. Aber ich würde zum Beispiel keine Gottheiten beleidigen."

Witze aus Frauensicht in Indien

Neeti Palta kommt aus der Werbebranche. Anschließend schrieb sie für die indische Sesamstraße. Zur Stand-up-Comedy kam sie durch Zufall. Sie war bei einem Open Mic, jeder darf hier auf die Bühne und sich ausprobieren. Neeti tat das – und kam gut an. Sie sattelte dann erfolgreich um und tritt nun auch bei Veranstaltungen von Firmen auf. Das bringt gutes Geld. Und sie hat Buchungen im Ausland. Die "Times of India" – Indiens größte englischsprachige Tageszeitung – hat auch Neeti unter die Top Ten der Stand-up-Comedians in Indien gewählt.
Neeti wollte nie als Feministin antreten, erzählt sie mir. Dennoch handeln vieler ihrer Witze von Sexismus und Diskriminierung. Denn das Futter für ihr Programm sind ihre persönlichen Erfahrungen – und sie ist nun mal eine Frau in Indien.
"Jeder männliche Comedian würde über seine Erfahrungen sprechen. Ich klinge anders, weil ich mich über MEINE Erfahrungen lustig mache. Dazu kommt, dass auf der Bühne kaum andere Vertreterinnen meines Geschlechtes stehen. Da spürt man schon eine gewisse psychologische Last, einen bestimmten Humor zu wählen. Über bestimmte Probleme zu reden. Ich wollte nie einen Wandel bringen, aber irgendwie ist das ganz natürlich Teil meiner Comedy geworden."
Und auf der Bühne klingt das dann zum Beispiel so:
"Ihr kennt alle das Problem mit den vielen Analphabeten in unserem Land. Oder? Druckt doch einfach das Alphabet auf das T-Shirt eines Mädchens. Wir wären dann natürlich eine Nation sehr langsamer Leser."

Regionale indische Stereotype

Auch Neeti Palta tritt, wie ihr Kollege Rajnessh Kapoor, überall in Indien auf. Zuletzt war sie in kleinen Städten, von denen sie vorher nur wenig wusste. Wobei "klein" im indischen Kontext bedeutet eine Million und mehr Einwohner. Das Leben in diesen "kleineren" Städten ist meist sehr viel konservativer als zum Beispiel in Mumbai oder Delhi. Und jetzt kommt Stand-up-Comedy, das mehr Meinung und Satire beinhaltet als die Slappstick-Comedy-Shows, die schon im Fernsehen für die ganze Familie laufen.
Für Neeti ist noch etwas wichtig: Stand-up-Comedy setzt auf Alltag und Beobachtung. Sie nennt ihren Humor beobachtend. Auf der Bühne spielt Neeti mit regionalen Stereotypen, denn sie kennt viele Ecken Indiens: Ihr Vater war beim Militär, sie lebten auch im Bundesstaat Punjab - im Norden Indiens. Die Punjabis gelten als Angeber, feiern gern und pompös ihre Hochzeiten.
"Wer von euch war schon einmal bei einer Punjabi-Hochzeit? Da gibt es so viele Lichter und Geglitzer. Eines Tages vertauscht ein Flugzeug die Hochzeit mit einer Landebahn. Die Punjabis verkörpern einfach dieses Temperament. Sie tanzen als ob niemand zuschaut. Sie lachen als ob niemand hinhört. Und sie fahren Auto als ob sie allein auf der Straße wären."

Hoffen auf Freiheit wie in den USA

Wegen ihrer Witze über Punjabis hatte sie schon einmal Ärger. Aber eher harmloser. Wegen ihrer Männer-Witze gab es noch nie Stress. Noch nicht einmal in Delhi. Neeti schmunzelt.
Wie für Rajneesh ist auch für sie klar, der Boom der Stand-up-Comedy wird anhalten. Wir sind fast schon Mainstream, sagt sie. Seit es Aufregung um einzelne Comedians gegeben habe, sei Stand-up-Comedy raus aus der Nische und auf dem gesellschaftlichen Radar. Aber Neeti wünscht sich noch mehr.
"Ich hoffe, es wird eine ehrliche TV-Show geben wie die Tonight Show in den USA. In der Gäste die Freiheit haben, Witze über unsere Politiker zu machen. Auch über andere Personen, die unangreifbar sind. Aber das wird noch lange dauern. Ich habe gesehen, wie sie in den USA über Trump gesprochen haben. Und wenn ich solch eine offene Gesellschaft sehe. Nun ja, man muss sagen, es ist eine Gesellschaft, die ihn ins Amt gewählt hat. Aber Schwamm drüber. Diese Freiheit, die wünsche ich mir auch für mein Land."
Mehr zum Thema