In Wolkenkuckucksheim leben ...

23.05.2008
Diesmal geht es um die Redensarten: In Wolkenkuckucksheim leben, Herein, wenn’s kein Schneider ist, Jemanden über den grünen Klee loben, Muffensausen haben, Mein lieber Freund und Kupferstecher, Das kommt nicht in die Tüte u.a.
In Wolkenkuckucksheim leben

Im Englischen sagte man von Leuten, die so luftige Vorstellungen haben "with the head in the clouds", und wolkige Vorstellungen kennen wir auch im Deutschen, aber wieso hausen um alles in der Welt die Kuckucke dort? Und was hat das mit nebulösen Gedanken, mit utopischen, weltfremden Ideen zu tun?
Arthur Schopenhauer ist schuld und vor ihm noch Aristophanes. Der schrieb nämlich im antiken Griechenland satirisch-politische Komödien am laufenden Band: hoch aktuelle Zeitstücke, bissig und sehr provozierend. Eines davon heißt "Die Vögel". Darin wollen die Vögel einen eigenen Staat gründen, und den nennen sie "Nephelokokkygia". "Nephele" heißt "Wolke", "kokkygos" der Kuckuck und "ia" ist die Endung, welche anzeigt, dass es sich um einen Ort oder ein Land handelt. Unter Gebildeten war die Komödie bekannt, der Ausdruck ebenso. Gebräuchlich wurde er aber erst, als einer unserer besten Wortkünstler, Arthur Schopenhauer eben, dessen Stil manche über seine Philosophie stellen, ihn übersetzte: mit "Wolkenkuckucksheim", eine Heimstatt eben für die Vögel. Das leuchtete ein, und weil es sich im Drama um eine Utopie handelt, bürgerte sich die Wendung ein, um Luftschloss-Denkart zu bezeichnen.

Herein, wenn’s kein Schneider ist!

Wieso müssen Schneider draußen bleiben? Und warum bringt man dann nicht gleich ein Schild an, das jenem mit den traurig dreinblickenden Hunden gleicht, nur eben Schneider zeigt, die nicht hineindürfen? Die Schneider haben es nicht leicht und das schon immer; außer im Märchen natürlich, wenn sie tapfer sind. Aber selbst das tapfere Schneiderlein ist ja eine Karikatur, die zeigt, was man sonst so von Schneidern hielt.
Das war reichlich wenig. Man siedelte ihr Handwerk knapp überm Flickschuster an. Sie hatten zwar viel zu tun, waren aber Stubenhocker. Dazu gehörte ihr Handwerk nicht zu den handfestesten. Was brauchte ein Schmied für Muskeln, wie kraftvoll musste ein Steinmetz hinlangen, und selbst der Bäcker knetete mit Macht den Teig! Ein Schneider dagegen mit Nadel und Faden und dünnen Stoffen – den nahmen die Kollegen nicht ernst. Den nahmen die Kunden aber auch nicht ernst, weshalb sie die Rechnungen ungern wie bei anderen, aber noch seltener bezahlten. Der arme Schneider wurde nicht umsonst sprichwörtlich, denn er musste oft umsonst auf seinen Lohn warten. "Einen Schneidergang tun" nannte man es, wenn man Schulden eintreiben wollte, aber nichts zu erreichen war. Es gab auch den Ausdruck "Dastehen wie ein geleimter Schneider", wenn jemand um seinen Lohn betrogen wurde. Die Schneider hatten dementsprechend viele Gänge durch ihr Städtchen oder Dorf zu absolvieren, um irgendwie doch zu ihrem Geld zu kommen. Oft vergeblich. Von Kundenseite erntete dieses Bemühen wieder nur Spott, eben mit der Redensart: "Herein, wenn’s kein Schneider ist." Mit dem müsste man sich ja nur wieder über ausstehende Zahlungen streiten.
Übrigens parodiert genau diese Fassung des Spruches einen Schneiderspruch. Wenn die Zunft der Schneider in geschlossener Gesellschaft tagte, dann beschied man jedes Klopfen an der Türe mit dem Ausspruch: "Herein, wenn’s ein Schneider ist!" Alle anderen hatten keinen Zutritt.

Jemanden über den grünen Klee loben

Das frische Kraut, der saftige Klee, die neuen Triebe der Bäume, all das stand dem Volksmund für reine Lebenskraft und rundum Gutes, was sich an Ausdrücken wie "jemandem grün sein", "komm an meine grüne Seite", "grün ist die Hoffnung" oder "etwas über den grünen Klee loben" erkennen lässt. Dieser Ausdruck hat mit mittelalterlichen Dichtern zu tun, die den grünen Klee so oft in ihren Werken lobten, dass er als Optimum erscheinen konnte. Ging jemand im Lob noch darüber hinaus, war es übertrieben. Seit längerem dagegen und heute besonders, da selbst Superlative gern gesteigert werden ("das Perfekteste", "das Optimalste") hört man den Ausdruck auch nur leicht ironisch und eher positiv verwendet.

Muffensausen haben / bekommen

In keinem Land haben die Feiglinge Freunde, weshalb Redensarten, die Angst beschreiben, sehr häufig und sehr spöttisch sind. Dass die Angst ein guter Ratgeber sein kann und ein lebender Hund besser als ein toter Löwe, könnte man dennoch anmerken, um diejenigen zu verteidigen, die "Muffensausen bekommen". Es handelt sich ja um eine rein körperliche Reaktion, gegen die man wenig tun kann. Das Darmhirn denkt für uns – aus dem Bauch heraus – und reagiert in schlimmen Ängsten mit Schließmuskelproblemen, die gepaart mit verflüssigtem Stuhl den sprichwörtlichen "Schiss" auslösen. Die Vorstellung, der Darm sei ein Rohrsystem, der Schließmuskel dessen End- und Verschlussstück, das man in der Fachsprache "Muffe" nennt, ist plastisch. Das "Muffensausen" bezeichnet also entweder das Entweichen der Darmgase oder gar des Darminhalts, weil die Muffe, also der Schließmuskel, durch die Angst seinen Dienst versagt.

Mein lieber Freund und Kupferstecher

Leider weiß man über die Herkunft dieser Wendung nichts. Es gab die Idee, der Dichter Friedrich Rückert, der mit einem Kupferstecher befreundet war, habe sie in die Welt gesetzt, doch ist sie älter. Varianten wie "alter Freund und Bildermann" und "alter Freund und Petschaftsstecher" führen ebenfalls nicht weiter, sind sie auch der bekannt gebliebenen sehr nah. Als besondere Ansprechform kann die Kupferstecherwendung sowohl lobend wie kritisch gemeint sein, was die Erklärung weiter erschwert.

Das kommt nicht in die Tüte

Man weiß, dass der Ausdruck in Berlin aufkam, wohl erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Eine spezielle Erklärung gibt es nicht. Wahrscheinlich hängt die Wendung einfach mit den Verkaufsgewohnheiten der Zeit zusammen. Waren wurden in der Regel nicht einzeln verpackt verkauft, sondern im Laden in großen Säcken, Truhen, Schränken, Schubläden etc. aufbewahrt. Wer etwas kaufte, bekam es in eine Tüte abgepackt. Zwanglos konnte sich also aus dem tausendfach geäußerten neutralen Käuferwunsch "das kommt nicht in die Tüte" die Bedeutung "das will ich nicht haben" herausbilden. Höchst wahrscheinlich handelt es sich darüber hinaus einfach um eine ironische Parallelbildung zu der Redensart "das kommt nicht in Frage".

Es ist alles Essig

Gar zu schnell kippt ein Wein, der grad noch so gut gemundet hat, um. Häufiger noch geschieht das bei der Weinherstellung. Die falschen Bakterien lassen das Getränk zu Essig werden. Und von diesem unerwünschten Weinwandel, der wegen der weniger hygienischen Produktionsmethoden alter Zeit häufig vorkam, stammt die Redensart her.

Klappern gehört zum Handwerk

Eine schöne Erklärung vertrat ich jahrelang, da ich sie in einem Sprichwörterbuch gelesen hatte. Handwerker, die Waren auf dem Markt feilboten, hätten mit Klappern auf sich und ihre Auslagen aufmerksam gemacht. Doch erstens verkauften Handwerker nicht unbedingt in Marktbuden, zweitens aber verwendeten seit dem Mittelalter vor allem Aussätzige die Holzklappern, um damit ihr Kommen warnend anzuzeigen.
Tatsächlich hat das edle Müllerhandwerk mit der Wendung zu tun, wie es schon das bekannte Lied "Es klappert die Mühle am rauschenden Bach" nahe legt. Gewaltig laut arbeitete das Mahlwerk, so dass man es weit hört, drinnen in der Mühle aber kaum sein eigenes Wort. Darüber gab es viele Redewendungen: "Wer in der Mühle Flöte bläst, verschwendet seinen Atem." Und: "In der Mühle sagt man’s zwei Mal". Wenn jemand sich eines "Müllerschlafs" erfreute, konnte er auch bei größtem Lärm einschlafen. Man musste als Müller das Geräusch einfach hinnehmen, wie die Redensart formuliert, zu der es eine Variante gibt: "Wer mahlen will, muss auch das Klappern dulden."

keinen roten Heller haben / das ist keinen roten Heller wert

Alte Währungen leben erstaunlich lange im Wortschatz weiter, vor allem in Redewendungen. Das geht dem Taler so, Mark und Pfennig sowieso, dem Batzen und eben dem Heller. Der trug seinen Namen, weil er in Schwäbisch Hall geprägt wurde und eigentlich "Haller pfenninc" hieß. Das war eine Kupfermünze geringen Werts, die deshalb sehr viel gebraucht und bald zu "Haller" und dann zu "Heller" abgekürzt wurde. Sie eignete sich, um absolute Geldlosigkeit zu beschreiben, wenn man nicht einmal so eine kleine Münze besaß, oder eben vollkommen Wertloses. Das "rot" bezieht sich auf die Kupfermünze. Einen Bezug zu den "roten Zahlen", in die wir hoffentlich nicht so schnell geraten, gibt es nicht. Schon im Mittelalter verwendete man beim Notieren von Kosten rote, beim Notieren von Einkünften schwarze Tinte.