In Rumänien fehlt "Tradition der Zivilgesellschaft"

Jan Koneffke im Gespräch mit Susanne Führer · 01.08.2012
Der Schriftsteller Jan Koneffke führt die gegenwärtige politische Krise in Rumänien auf die Art der Auseinandersetzungen und auf die Akteure zurück. So seien Politiker im Parlament, nur um Geld in die eigene Tasche zu wirtschaften. Zudem fehle eine Tradition der Zivilgesellschaft.
Susanne Führer: Wer sich duckt, wird nicht geköpft, so lautet ein rumänisches Sprichwort. Ob es aus den Ceausescu-Jahren stammt oder noch älter ist, das weiß ich nicht, es scheint jedenfalls eine verbreitete Haltung zu beschreiben. Zwar tobt in Rumänien ein Machtkampf zwischen Regierung und Präsident, zwar bricht die Regierung ungeniert Verfassung und Gesetze, zwar leben laut er Organisation Childhood 40 Prozent der Rumänen unterhalb der Armutsgrenze – aber man hält still.

Über Zivilgesellschaft und Resignation in Rumänien möchte ich nun mit dem Schriftsteller Jan Koneffke sprechen, er lebt in Wien und in Rumänien, den Sommer verbringt er auf dem Land in den südlichen Karpaten, wo wir ihn jetzt erreichen. Guten Tag, Herr Koneffke!

Jan Koneffke: Schönen guten Tag, Frau Führer!

Führer: Am Sonntag hat ja ein beispielloser Machtkampf zwischen Regierung und Präsident erst einmal ein Ende gefunden. Der Präsident bleibt im Amt – wie interessiert werden diese politischen Vorgänge in der Hauptstadt Bukarest eigentlich bei Ihnen da auf dem Lande verfolgt?

Koneffke: Lassen Sie mich erst sagen, dass die Geschichte noch nicht ganz zu Ende ist, denn heute hat sich erst einmal das Verfassungsgericht getroffen, um eine Entscheidung darüber vorzunehmen, ob das Referendum gültig ist oder nicht. Wenn es nämlich für nicht gültig erklärt wird, weil die 50 Prozent Wahlberechtigten nicht erreicht worden sind in dem Fall, bleibt Basescu im Amt, falls es doch für gültig erklärt wird, dann muss er seinen Amtssessel räumen. Und die Regierung ...

Führer: Ich hatte ... Der Ministerpräsident Ponta hat es ja anerkannt, deswegen hatte ich jetzt einfach geschlossen, dass ...

Koneffke: Ja, das sieht eben im Land etwas anders aus als dann in den Äußerungen gerade Victor Pontas gegenüber der westlichen Presse. Hier tobt ein Kampf darüber, also von der Regierungsseite aus, was die Anerkennung dieses Referendums, die Gültigkeit oder Ungültigkeit dieses Referendums angeht, und es wird mit Zahlen operiert.

Gestern hat der interimistisch regierende Präsident Crin Antonescu eine Pressekonferenz gehalten und hat dort gesagt, ja, es gebe eine Zahl, die das Innenministerium ausgegeben habe von etwa 18 Millionen Wahlberechtigten, aber das sei eine bürokratische und legale Zahl, während das Verfassungsgericht sich doch bitte an der Realität orientieren sollte, das heißt, an einer Bevölkerung, die viel geringer ist.

Führer: Also auch er und Ponta sind sich offenbar nicht einig. Aber kommen wir mal zurück jetzt zu der Frage, Herr Koneffke. Diese ja nun sehr verwickelten und aus unserer Sicht auch recht skandalösen Vorgänge, werden die interessiert verfolgt bei Ihnen in den südlichen Karpaten?

Koneffke: Hier bei der Landbevölkerung eigentlich weniger. Wir telefonieren hier – also ich stehe hier am Telefon – von benachbarten Bauern in einem Ort, der heißt (…) in den Südkarpaten, und das ist ein wirklich etwas armseliger, ein bisschen verlotterter Bauernhof mit einem eher schlecht als recht gepflasterten Hof, der zu einem Fluss abfällt, der bis vor noch wenigen Jahren als wilde Mülldeponie diente, bis es die Verwaltung hier, die Ortsverwaltung endlich geschafft hat, Abfalltonnen bereit zu stellen, also noch vor zwei bis drei Jahren war das so.

Und die Hausherrin hier zum Beispiel, ich stehe hier vor einem großen Webstuhl mit Metallrahmen, und die hat uns schon vor drei Wochen, kurz nach der Suspendierung von Basescu hier mal empfangen, und auf unsere Frage hin, ob sie etwas gehört hätte über das, was in Bukarest geschieht, hat sie erst gesagt, nein, sie wisse gar nichts, hat auf den Webstuhl gezeigt und hat gesagt, ich sitze hier zehn Stunden am Tag am Webstuhl für im Monat umgerechnet 130 Euro, und sichere mir damit das Überleben, und dann bin ich abends zu müde, um irgendwelche politischen Nachrichten oder Talkshows zu verfolgen.

Die einfache Bevölkerung hier nimmt das nicht wahr. Denen wird dann mitunter, um das Wahlinteresse zu wecken, nachgeholfen. Es gab ja im Vorfeld des Referendums ein Strategiepapier der Sozialdemokratischen Partei, darin stand, es müssten Tombolas stattfinden und Geschenke verteilt werden, so, dass man die Bevölkerung – aber nur für diejenigen natürlich, die zum Referendum gehen, die ihre Stimme abgeben –, um eben dieses Wahlquorum zu erreichen. Und es muss nachgeholfen werden, denn viele sind einfach mit ihrem täglichen Überleben beschäftigt.

Führer: Andererseits hat nun auch der Philosoph und frühere Minister Andrei Plesu, der nun nicht politik-uninteressiert ist, gesagt, er werde an dieser Wahl – also vor dem Referendum am Sonntag –, er werde sich daran gar nicht beteiligen, weil er es satt habe, immer nur das kleinere Übel wählen zu dürfen. Ist das vielleicht auch unter den politisch interessierteren Kreisen in Rumänien eine verbreitete Stimmung?

Koneffke: Ja, sagen wir mal so, das Quorum unterliegt ...

Führer: Oder anders gefragt, wer interessiert sich überhaupt noch für Politik?

Koneffke: Ja, ja, es gibt natürlich auch Leute, vor allem die städtische Bevölkerung, die sich mehr für Politik interessiert, und es sind ja immerhin 46 Prozent der Wahlberechtigten, also dieser 18 Millionen, dieser offiziellen Zahl, wählen gegangen.

Das heißt also doch, 8,5 Millionen Wähler sind zu den Urnen geströmt, und das ist ja dann doch nicht so wenig, wenn man sich überlegt, dass bei den Lokalwahlen beispielsweise 58 Prozent zu den Wahlen gegangen sind.

Übrigens eine sinkende Tendenz, das heißt, in den frühen 90er-Jahren, kurz, nachdem – 1990 beispielsweise bei den Präsidentschaftswahlen haben 80 Prozent sich an den Wahlen beteiligt. Okay, dieses Quorum wurde nicht erreicht aufgrund derjenigen, die sowieso seit Jahren nicht mehr zur Wahl gehen, weil sie insgesamt enttäuscht sind, sich nicht interessieren, enttäuscht sind von der politischen Klasse, die ja durch und durch korrupt ist, und dann gibt es noch einen Teil, der den Boykottaufruf von Basescu und seiner Partei, den Liberaldemokraten, PNL, gefolgt ist, eben damit (…).

Führer: Entschuldigen Sie, Herr Koneffke, lassen Sie uns mal nicht so in die Details gehen. Mich würde wirklich mal interessieren, weil man so den Eindruck hat – ich möchte noch mal Andrei Plesu zitieren, der eben sagt, es gebe eine undemokratische Atmosphäre in seinem Land. Also politische Auseinandersetzungen würden wie Kriege geführt. Da habe ich mich gefragt, herrscht diese undemokratische Atmosphäre vielleicht auch nicht nur bei den amtierenden Politikern?

Koneffke: Hauptsächlich ist es das Spektakel zwischen den Politikern, und dann gibt es einige Fernsehkanäle, die von Medienmogulen betrieben werden, die auf dem Rücken der Bevölkerung ihr Süpplein kochen wollen und die eben entsprechende Propaganda machen. Das sind erbitterte Feinde, wie zum Beispiel Dan Voiculescu erbitterte Feinde des Staatspräsidenten Basescu, weil Basescu bei allen falschen Entscheidungen, die er getroffen hat, trotz seines autoritären Verhaltens doch immerhin versucht, der Justiz den Rücken freizuhalten.

Die Menschen nehmen das häufig als Spektakel wahr im Fernsehen, dort werden also heftigste Wortgefechte ausgetragen in den Talkshows, aber sie trauen dem Ganzen dann doch nicht so recht, weil sie wissen, dass die politische Klasse im Grunde, dass es im Grunde auf dasselbe hinausläuft. Das sind Menschen, die lassen sich ins Parlament wählen, um sich Staatsaufträge zu sichern, um Geld in die eigene Tasche zu wirtschaften, sich persönlich oder der Verwandtschaft, der näheren Verwandtschaft.

Führer: Aber wenn das alle wissen, warum gibt es keine Proteste, zumindest von der Presse?

Koneffke: Ja, das liegt daran, dass es eben wirklich keine Tradition der Zivilgesellschaft gibt. Es gibt keine Tradition der Zivilgesellschaft. Sie haben vorhin zu Anfang dieses Sprichwort zitiert: Wer sich duckt, wird nicht geköpft. Das ist tatsächlich sehr viel älter, schon der Begriff des Köpfens deutet darauf hin, das stammt noch aus osmanischer Zeit. Es gibt keine Tradition der Zivilgesellschaft, deshalb hat das auch mit dem Kommunismus hier funktioniert, wie es funktioniert hat, also auch mit dieser autokratischen Herrschaft Ceausescus, weil es diese Tradition nicht gibt. Daran ist zum Teil auch die orthodoxe Kirche schuld, denn anders als die katholische oder die evangelische Kirche hat die orthodoxe Kirche, kennt überhaupt kein weltliches Engagement. Sie ist also nur für das Himmelreich zuständig und passt sich jeder Herrschaft an.

Führer: Herr Koneffke, Sie haben gerade Ceausescu erwähnt, der wurde ja 89 gestürzt. Nun gehört Rumänien seit fünf Jahren zur Europäischen Union. Ich habe gelesen – in einem Ihrer Artikel übrigens –, dass sich 41 Prozent der Rumänen Ceausescu als Staatschef zurückwünschen. Da habe ich mich gefragt, wie ist das denn möglich? Also in diesem Fall kann man ja noch nicht einmal sagen, dass es den Rumänen unter Ceausescu besser gegangen wäre. Damals sind die Menschen ja buchstäblich verhungert und erfroren.

Koneffke: In den letzten Jahren, aber Sie wissen ja, wie das mit der Erinnerung ist: Dann denkt man wieder an die Zeiten – also in den letzten Ceausescu-Jahren –, dann denkt man wieder an die Zeiten, als man wenigstens einen sicheren Arbeitsplatz hatte und aus dem Kollektiv, dem Land – wie nennt man das? – LPG hieß es, also landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, eben auf rumänisch, als man sich da entsprechende Dinge einfach mitnehmen konnte, weil es wurde natürlich nach allen Regeln der Kunst geklaut, nicht nur von denen da oben, sondern auch von denen da unten. Das heißt, dieser Schlendrian war eben weit verbreitet und ist es bis heute, auch in der Verwaltung, und die Menschen erinnern sich daran, dass sie sozusagen sichere Verhältnisse hatten, und eben nicht dieses Spektakel und nicht dieses Hin und Her ...

Führer: Und erinnern sich nicht an Hunger und Kältetod?

Koneffke: Und das tritt dann ein bisschen in den Hintergrund, und dann gleichzeitig – das habe ich in meinem Artikel ja auch beschrieben –, dann gleichzeitig ist der ehemals sehr populäre Traian Basescu, der Staatspräsident, sehr unbeliebt geworden, als er 2010 ein drastisches Sparprogramm verkündet hat. Darauf hat die Gesellschaft reagiert, wie jede Gesellschaft reagieren würde.

Stellen Sie sich vor, Angela Merkel, jetzt sogar wegen der Eurokrise, verkündet ein drastisches Sparprogramm. Er ist also unbeliebt, und dann haben sich viele Menschen eben auch an den anderen Ceausescu erinnert, den sie nicht mögen, den Tyrannen der 80er-Jahre, der, um die Schulden, die Auslandsschulden zu bezahlen, den Strom sperren ließ, die Lebensmittel verknappte, und so weiter und so fort, damit sie exportiert werden können.

Das heißt also, auch diesen Ceausescu gibt es in der kollektiven Erinnerung noch, und die Opposition, damalige Opposition, heutige Regierung, ist ja auch überall aufgetreten, auch so selbst in Brüssel – keiner hat darauf reagiert, weil es absurd war – und hat behauptet, Basescu ist ein Diktator, deswegen, weil sie gerade sozusagen diesen Ceausescu wieder für die Bevölkerung hervorholen wollten.

Führer: Der Schriftsteller Jan Koneffke. Sein in Rumänien spielender Roman "Die sieben Leben des Felix Kannmacher" ist übrigens bei DuMont erschienen. Ich danke fürs Gespräch, Herr Koneffke!

Koneffke: Herzlichen Dank!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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