In der Türkei isst man Döner vom Teller

Remzi Kaplan im Gespräch mit Dieter Kassel · 27.10.2011
Nach Ansicht des Unternehmers Remzi Kaplan haben sich die Türken in dem halben Jahrhundert seit Beginn der Anwerbung in Deutschland sehr verändert. Er selbst hat es vom kleinen Markthändler zum millionenschweren Döner-Produzenten gebracht und hat vor, in Zukunft international noch mehr aus dem Döner zu machen.
Dieter Kassel: Es gibt in Deutschland ungefähr 60.000 türkische oder türkischstämmige selbstständige Unternehmer, die bieten Arbeit für fast 400.000 Menschen, und sie erwirtschaften im Jahr einen Umsatz von ungefähr 35 Milliarden Euro. Das sind nackte Zahlen, aber hinter diesen Zahlen stecken natürlich Menschen, hinter diesen Zahlen stecken Leute wie zum Beispiel Remzi Kaplan. Er ist der Gründer und Geschäftsführer der Kap-lan Dönerproduktion, und das ist der größte Hersteller von Döner in Europa. Und jetzt sitzt er ganz entspannt hier bei mir im Studio. Schönen guten Tag, Herr Kaplan!

Remzi Kaplan: Guten Tag!

Kassel: Essen Sie eigentlich selber noch Döner?

Kaplan: Natürlich, ich esse in der Woche bestimmt zweimal auch Döner, da muss ich auch Qualität kontrollieren. Ich esse auch fremde Hersteller, auch von denen esse ich auch einen Döner, das macht mir auch Spaß.

Kassel: Also Essen und Arbeit zugleich. Sie produzieren ja inzwischen an verschiedenen Standorten, nicht nur in Berlin – da ist natürlich immer noch die Zentrale. Ist eigentlich Döner, so wie wir ihn aus Berlin, aus Deutschland kennen, inzwischen auch in der Türkei verbreitet? Weil diese Art von Döner wurde ja in Berlin erfunden.

Kaplan: Richtig. Also Döner ist in Berlin erfunden worden, Erfinder ist der Herr Kadir Nurman, der lebt noch, und er war gestern auch bei mir. Mittlerweile in Berlin - vor zwei Jahren - gab das über 35 Dönerproduktionen. Am Tag nur in Berlin waren das 60 Tonnen, die die auch hergestellt haben. Natürlich, in Türkei gibt es auch seit 400 Jahren Döner, aber nicht wie in Deutschland oder nicht wie in Europa. Hier in Deutschland isst man Döner auf dem Fladenbrot, auch unterwegs, mit drei, vier verschiedenen Salatsorten, Soßen, Brot und alles dabei. Aber in der Türkei isst man Döner auf dem Teller. Hier in Deutschland wird das Döner überwiegend aus Kalbfleisch hergestellt, in der Türkei aus Rind oder Lamm.

Kassel: Dieser Döner, den wir kennen, ist in Berlin geboren, Sie nicht, Sie sind noch in der Türkei geboren, sind als Junge, so mit elf, zwölf Jahren nach Berlin gekommen, 1971. Können Sie sich noch erinnern, was war denn ihr erster Eindruck von Deutschland und von Berlin?

Kaplan: Also als ich 1971 nach Deutschland kam, war ich elf Jahre alt. Mittlerweile bin ich jetzt auch 52 geworden. Natürlich kam ich mit den Gefühlen eines elf Jahre alten Kindes, meine Eltern waren hier, ich habe in Ankara gelebt, zwei Jahre war ich von meinen Eltern getrennt, die waren zwei Jahre vor uns hier. Aber ich habe auch in der Türkei, in Ankara, habe ich auch gehandelt. Ich war auch auf dem Markt. Damals hat mein Vater mir eine Kiste Apfelsinen gegeben immer, stückweise, hat er gesagt, da sind 50 Stück, die musst verkaufen. Na ich musste nicht, aber er hat es mir immer beigebracht. Also dieses Handelsgefühl oder Markthandelsgefühl habe ich immer gehabt. Und als ich hier in Deutschland war, hab ich auch meinem Vater immer geholfen. Ich habe gesagt, Papa, also in der Schule war ich gar nicht so richtig, ich war nicht so gut, sage ich mal so …

Kassel: Da muss man sagen, Sie haben keinen Schulabschluss bis heute, Sie haben nur so ein Abgangszeugnis.

Kaplan: Nein, ich habe ein Abgangszeugnis, ich habe kein Schulzeugnis. In der Schule war ich nur, um Zeit zu verbringen. Ich wollte immer handeln, ich wollte auf den Markt gehen. Damals habe ich zwei Mark, also zwei Deutsche Mark, habe ich am Tag verdient, Müll weggebracht, Kisten habe ich gestapelt, bis 1974 habe ich meinem Vater geholfen damals. Damals gab es keine Genehmigungen, keine Gewerbeerlaubnis, keine Aufenthaltsberechtigung und so was, damals gab es das nicht. 1974 hat mein Vater mit einer Firma, haben die zusammen so einen Zwischenvertrag gemacht, dass er da eingestellt wird und dass er selbst den Laden allein führt, das war ein …

Kassel: Und ganz offiziell war irgendein Deutscher der Chef, damit das rechtlich ging, ja?

Kaplan: Ja, das musste sein. So haben wir 1974 angefangen. Ich habe mit meinem Vater vier Jahre lang zusammengearbeitet. Danach habe ich gesagt: Papa, ich bin jetzt 18, ich möchte mich auch mal selbstständig machen. Ein Jahr lang habe ich bei AEG-Telefunken gearbeitet, dass ich auch ein bisschen Geld sparen konnte. Als ich 18, 19 Jahre alt war, habe ich mich selbstständig gemacht, habe in Berliner Wochenmärkten, türkische Spezialitäten verkauft: Schafskäse, Oliven, Obst und Gemüse. Also so war das erste Gefühl, als ich 1971 in Deutschland ankam.

Kassel: War es eigentlich so am Anfang – Sie waren ja sehr fleißig, Sie haben ja immer gearbeitet, nicht so gern in der Schule, aber außerhalb der Schule immer viel gearbeitet –, hatten Sie überhaupt viel Kontakt damals, so in den 70er-Jahren, als junger Mann zu Deutschen? Hatten Sie deutsche Freunde damals?

Kaplan: Natürlich, ja. Damals gab es wenige Türken. Wir haben immer deutsche Freundinnen oder Freunde gehabt, also wir haben immer mit Deutschen Kontakte gehabt. Aber wie die Deutschen in den 1970er- und 80er-Jahren die Ausländer oder Türken behandelt haben, kann man heute so nicht erwarten, das ist wieder ganz anders geworden. Damals war das auch menschlicher, gefühlvoller. Aber heute ist das vorbei. Ausländerfeindlichkeit und so was, damals gab es so was nicht. Bis 80 haben wir sowas nie erlebt, wir waren immer miteinander, wir waren immer in der Schule, wir haben zusammen gespielt, wir haben zusammen Fußball gespielt, da gab es keine Kinderstreiterei oder was weiß ich, mit: Du bist ein Türke, du bist ein Deutscher, und so was. Es gab so was nicht. Also ich persönlich kann mich nicht erinnern.

Kassel: Haben Sie irgendeinen Moment bemerkt, wann sich das geändert hat? Denn eigentlich, Herr Kaplan, ist es ja komisch. Man sollte ja sagen, am Anfang ist es vielleicht schwierig, man kennt sich nicht, aber jetzt – wir reden ja auch miteinander unter anderem wegen dieses 50. Jahrestags des Anwerbeabkommens –, nach einem halben Jahrhundert Türken in Deutschland, theoretisch müsste es ja jetzt leichter sein als früher. Aber Sie sagen, es ist ja eher schwieriger geworden.

Kaplan: Nein, ich sage nicht, schwieriger geworden. Aber ich meine, in den 70er-Jahren gab es sowas nicht. Also vielleicht wegen der geringeren Zahl an Türken, vielleicht hat es deswegen hat keinen gestört. Aber jetzt mittlerweile, weil hier in Berlin oder in Deutschland gibt es um die drei Millionen Türken. Deswegen kann man sagen, es hat sich geändert, oder was weiß ich. Aber in den 70er-Jahren war das wirklich nicht so. Wenn jeder seine Arbeit richtig und sauber gemacht hat, gab es kein Problem. Natürlich gibt es auch bei uns Türken, da gibt es natürlich ein paar – was sagt man? Also …

Kassel: Schwarze Schafe.

Kaplan: … Schwarze Schafe gibt es in allen Religionen, allen Mentalitäten, gibt es auch bei Deutschen. Aber wenn wir die 100 Jahre halbieren. In den 50 Jahren, in denen die Türken in Deutschland sind, haben sie sich auch sehr verändert. Auch mit den, wie Sie vorhin diese Zahlen genannt haben, mit den 36 Milliarden Umsatz, die beschäftigen 400.000 Mitarbeiter. Das ist eine Leistung oder das ist eine Hilfe für deutsche Marktwirtschaft. Also die 35 Milliarden bleiben in Deutschland. Was ich an Geld verdient habe in Deutschland, davon habe ich meine Fabrik gebaut, und ich habe noch eine Fabrik gebaut. Ich habe die Millionen wieder hier in Deutschland eingesetzt. Ich habe diese Gelder – die haben wir nicht in die Türkei gebracht! Deswegen haben wir auch Arbeitsplätze geschaffen, wir haben alles versucht hier, aber mittlerweile sind wir – also die Türken – die Deutschen haben das auch mitgekriegt, dass das auch wirklich einwandfrei läuft: Weil wir haben Politiker, wir haben Fußballer, wir haben Tänzer, wir haben Künstler, wir haben Professoren. Das hat sich auch geändert mittlerweile. Wenn man was richtig macht, denke ich mir mal, dann läuft das auch wunderbar.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute mit Remzi Kaplan, er ist der sogenannte Dönerkönig von Berlin, hat mit seiner Firma inzwischen den größten Dönerhersteller geschaffen in Europa. Sie haben drei Kinder, einen Sohn, zwei Töchter – ich glaube, eine der beiden Töchter ist auch Geschäftsführerin inzwischen in der Firma –, wenn Sie denen – sind ja auch erwachsene Menschen inzwischen – wenn Sie denen so zuschauen, ist das schon ein ganz anderes Leben, das die hier in Deutschland geführt haben, als Ihres noch?

Kaplan: Natürlich. Meine Kinder, die sind hier in Berlin geboren, die sind mittlerweile – meine jüngste Tochter ist 27, der älteste Sohn, ich habe zwei Töchter und einen Sohn, der ist jetzt 33 –, die sind hier in Deutschland geboren, also in Berlin geboren. Die haben auch als Kind damals zu Marktzeiten, haben die immer mitgearbeitet. Und die haben auch zwei Kulturen, die deutsche und die türkische Kultur. Also deswegen habe ich auch einen Teil meiner Tochter gegeben, dass sie auch selbstständig sein soll. Das hat sie auch gelernt. Jetzt macht sie den Produktionsbereich. Meine andere Tochter macht auch – die hat es ja auch gelernt – sie macht die ganze Buchhaltung, Personal, und was weiß ich. Und mein Sohn macht die ganze Kundenbetreuung und so was. Also wir sind, kann man sagen, ein reiner Familienbetrieb, und wir haben auch richtiges Personal, deswegen sind wir auch so lange auf dem Markt.

Kassel: Die Zeiten ändern sich ja, eines ändert sich doch sicherlich, ich darf das verraten: Sie haben mit 17 schon geheiratet, sind bis heute glücklich – unterstelle ich mal – mit ihrer Frau.

Kaplan: Immer noch, also …

Kassel: Aber es war – ich nenne das mal eine arrangierte Ehe, damals von Ihren Eltern, oder?

Kaplan: Nein, das war mein Wille.

Kassel: Aber es war schon, ich sage ja, es war so eine Mischung. Aber Sie haben das in einem anderen Interview mal gesagt, es war schon so, dass sie da eine Frau gesehen haben bei einem Türkei-Urlaub, gesagt haben, die ist doch süß, die ist nett, und dann haben Sie ein paar Tage später erfahren, jetzt sind wir schon verlobt.

Kaplan: Ja, ja, ist richtig. Ich war einen Tag auf Urlaub, da habe ich meine Frau gesehen. Ich habe mit meinem Opa gesprochen, ich habe gesagt: Opa, ich möchte mal dieses Mädchen heiraten. Drei Tage, vier, später, war mein Vater in der Türkei und hat gesagt: Okay, jetzt geht es richtig los. Danach haben wir eine Verlobungsfeier gemacht, dann haben wir geheiratet, 1977. Seitdem bin ich glücklich.

Kassel: Ich frage mich natürlich – wir reden nicht über wie viel, aber sie sind ja ein reicher Mann inzwischen –, Sie könnten sagen, ich mache nichts mehr, da würden Sie nicht verhungern, soweit könnten wir gehen. Und Sie fahren in Urlaub in die Türkei, sehen ein paar Orangen und sagen, die will ich haben, verkaufe sie dann wieder weiter. Wenn Sie jetzt mal wirklich bei der Dönerproduktion, wie Sie gesagt haben, so ein bisschen sich zurückziehen, die Kinder machen lassen, was machen Sie denn als nächstes? Machen Sie einen neuen Betrieb auf?

Kaplan: Nein, um Gottes willen, ich mache keinen neuen Betrieb auf, aber für Döner tue ich was anderes, das Beste, was man daraus machen kann. Also, wir müssen auch mal gucken, was da in Afrika passiert mit Döner, oder was in Spanien, oder was in Italien oder so, was passiert. Das müssen wir auch hören!

Kassel: Der Getriebene des Döner, sozusagen, aber das stimmt ja nicht, Sie machen es ja freiwillig und sehr gerne. Remzi Kaplan war zu Gast in Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie bei uns waren und wünsche Ihnen noch ganz, ganz lange so viel Arbeit, wie Sie wollen! Danke schön!

Kaplan: Danke auch, alles Gute!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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